„Wenn Ausstattung, Design und Leistung nicht nur mit den bestehenden Supersportwagen mithalten, sondern sie in vielerlei Hinsicht übertreffen würden, würde niemand ein schwedisches Auto-Startup erst beim zweiten Mal in Betracht ziehen.“ Diese Worte offenbarten den selbstbewussten Mindset des Automobilvisionärs Christian von Koenigsegg (heute 53), als er seinen allerersten Prototyp entwickelte. Drei Jahrzehnte später genießen diese schwedischen Hypercars noch immer große Bewunderung. Doch während die Marke Koenigsegg binnen kurzer Zeit zum Star wurde, geriet der Prototyp, mit dem 1994 alles begann, von der Bildfläche und in Vergessenheit. Nun bereitet sich dieser allererste Koenigsegg darauf vor, die Besucher der Monterey Car Week zu begeistern und bei The Quail alle Blicke auf sich zu ziehen. Doch wer war der Mann, der ihn nach einer vierjährigen Recherche aufspürte, restaurierte und schließlich sogar zu einer VIN- und Chassisnummer verhalf? Dies ist seine Story.
Bevor wir unseren Protagonisten vorstellen, müssen wir zunächst zu den Wurzeln dieser Hypercar-Legende zurückkehren. Die Originalskizzen des Koenigsegg CC stammen von Christian von Koenigsegg persönlich und wurden dann vom schwedischen Industriedesigner David Crafoord in ein 1:5-Modell umgesetzt. Auf dessen Basis der Bau des ersten CC-Prototyps mit Codenummer XP001 begann, mit bereits vielen Markenzeichen der späteren Kultmarke. Das abnehmbare Hardtop, das dem CC im montierten Zustand eine coupéartige Silhouette wie bei keinem anderen Cabriolet verlieh, war ein zentraler Bestandteil des Designs. War das Dach im vorderen Stauraum untergebracht, genossen die Insassen unbegrenzte Kopffreiheit. Ein absolutes Alleinstellungsmerkmal waren die Dihedral Synchro-Helix Actuation Doors, eine besondere Form der Scherentüren, die beim Öffnen um 90 Grad von der Vertikalen in die Horizontale und zeitgleich ein Stück nach vorne fuhren. Unter der Karosserie befand sich ein Monocoque aus Halbcarbonfaser mit integrierten Hilfsrahmen und Verstärkungen aus Chrom-Molybdän-Stahl; ein früher Vorläufer der Vollcarbon-Monocoques, die für die modernen Hypercars von Koenigsegg heute obligatorisch sind.
Der zunächst silberne CC-Prototyp wurde zunächst auf schwarz und schließlich auf den heutigen Metallic-Bronze-Ton umlackiert. Koenigsegg hatte ursprünglich ein auffälliges, leuchtendes Orange geplant, doch ein Missverständnis führte zu diesem gleichwohl wunderschönen Farbton. Der Antriebsstrang bestand aus einem manuellen Getriebe und einem 4,2-Liter-V8 von Audi– Überbleibsel aus einer angedachten Zusammenarbeit, die jedoch scheiterte, als Christian verriet, wie weit er den Motor über die von Audi empfohlene Maximalleistung hinaus tunen wollte.
Großer Zeitsprung ins Jahr 2019: Der faszinierende Prototyp war da schon längst ein Mythos – und hier kommt Gaurav Dhar aus Dubai ins Spiel. Dhar, Sammler von Prototypen und Slotcars der Spitzenklasse, ist Verwalter der Numero Uno-Sammlung. Während der 2019er RM Sotheby’s Auktion auf der Yas-Marina-Rennstrecke diskutierte er mit seinen Freunde darüber, welche Sammlerautos wohl als nächstes die Auktionsschlagzeilen beherrschen würden. Die Ikonen der 1990er-Jahre – der Jaguar XJ220 und der McLaren F1 – wurden zuerst genannt, gefolgt von Boutique-Hypercar-Herstellern wie Pagani. Was die Frage aufwarf: Was geschah eigentlich mit dem allerersten Koenigsegg?
Im März 2020 nahm Dhar nach dem Ausbruch von Covid den letzten Flug von Lissabon nach Dubai. Nun von zuhause arbeitend hatte er viel Zeit und war besessen davon, das Rätsel um den Koenigsegg zu lösen. Er durchforstete Foren und Internetarchive und erstellte gleichzeitig ein schwarzes Buch mit Personen, die mit dem exklusiven Hersteller in Verbindung standen – von Ingenieuren und Historikern bis hin zu Museums- und Transportmitarbeitern. Es war ein langer Prozess, aber nach acht Monaten wurde er belohnt, als er endlich den Standort des Autos identifizierte.
Wie sich herausstellte, war der Prototyp nach der Vorstellung des Koenigsegg CCV8S ausrangiert und dem Motala Motor Museum in Schweden überlassen worden, wo er für die beiden nächsten Jahrzehnten öffentlich ausgestellt wurde. Genau dort hatte Dhar im Rahmen seiner Recherchen die Spur aufgenommen und versuchte nun hartnäckig, an Daten des Besitzers zu kommen. Schließlich gaben die Museumsmitarbeiter seinen Bitten nach und die alles entscheidende Telefonnummer heraus. Der Besitzer reagierte zunächst freundlich, wunderte sich aber, warum jemand aus Dubai wegen seines Autos in einem schwedischen Museum anrief. Doch bald stellte Dhar erfreut fest, dass der Mann eine Quelle historischer Erkenntnisse und Informationen aus erster Hand war, die nirgendwo sonst auf der Welt zugänglich waren. Ab da erhielt für ihn die Aufklärung der Geschichte hinter dem Prototyp oberste Priorität.
Trotz ihrer gemeinsamen Begeisterung befürchtete der Verwalter offensichtlich, Dhar wolle lediglich einen Gewinn einstreichen. Selbst als er erfuhr, dass sein weitgereister Gast Sammler und Verwalter ähnlich bedeutender Fahrzeuge war, antwortete er auf die Frage, ob das Auto zum Verkauf stünde, sofort: „Auf keinen Fall!“
Doch Gaurav Dhar blieb am Ball, und da der Besitzer des Koenigseggs inzwischen über 70 Jahre alt war, begann er darüber nachzudenken, das Auto vielleicht doch zu verkaufen. Zugleich war ihm bewusst, dass Dhar die Geschichte des Autos mit der Welt teilen wollte, und so lud er ihn nur ein Jahr nach ihrer ersten Begegnung ein, sich das gute Stück persönlich anzusehen. Als der das Auto erstmals live in Augenschein sah, präsentierten sich der Lack, die Karosserie und der Innenraum in einem unglaublich guten Zustand. Jedoch war Dhar klar, dass vor einer Zulassung für die Straße eine vollständige technische Überholung erforderlich war.
Es folgte die Herausforderung, ein solch einzigartiges Stück Sportwagengeschichte zu bewerten. „Ich brauchte drei Monate und all mein Wissen, um eine Nummer für das Auto zu finden. Der Besitzer unterstützte mein Vorhaben, worüber ich sehr glücklich war“, erinnert sich Dhar. So begann der zweite Teil der Reise, bei dem Dhar sofort auf ein Hindernis stieß, da das Auto weder eine VIN- noch eine Chassisnummer besaß „Wenn eine VIN-Nummer fehlt, ist es nur ein Gegenstand“, sagt er. Trotzdem machte er sich auf die Suche – und hatte das Glück auf seiner Seite!
Denn mit umfangreichen Informationen zur Konstruktion, den technischen Merkmalen und der Geschichte des Autos versorgt, entschied die schwedische Regierung nach weiteren acht Monaten schließlich, dass der Prototyp Anerkennung verdiene und – was entscheidend war – ihm für eine Straßenzulassung eine VIN- und Chassisnummer zustünde. Sagt Dhar: „Diese ganze Reise hat vier Jahre gedauert. Vier Jahre, bevor ich wusste, ob ich es schaffen würde oder nicht. Und wir haben es geschafft, es ist unglaublich. Ich hatte großes Glück, war aber auch sehr nervös.“
Es folgte eine behutsame Restaurierung, die von Mitgliedern des Koenigsegg-Teams, das damals den Bau des Prototyps verantwortete, begleitet wurde, und die mechanische Integrität des Wagens unter Beibehaltung des Originallacks und der Innenausstattung sicherte. Nach deren Abschluss durfte Gaurav Dhar endlich in seinem heiligen Gral sitzen und ihn zum ersten Mal starten. „Ich dachte, es würde sehr schwierig und sehr roh werden, aber es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein moderner Hot Rod. Er fährt sich sehr leicht, und man könnte ihn jeden Tag fahren, aber er ist auch ein Biest!“
Und jetzt streift dieses unglaubliche Stück Automobilgeschichte durch die Straßen von Dubai. Mit etwas Glück und unter den richtigen Bedingungen könnte Ihnen dieses Gespenst in einer warmen Wüstennacht über den Weg laufen!
Fotos von Elciviyork