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Dieser Ferrari 250 GT trägt unverkennbar die Handschrift Giurgiaros

Iso Grifo, DeLorean DMC-12, Maserati Ghibli und Alfa Romeo Giulia Sprint GT – sie alle entstammten der Feder Giorgetto Giugiaros. Aber ehe diese Ikonen Gestalt annahmen, entwarf der Designer die Karosserie eines Ferrari 250 GT, der einen faszinierenden Vorgeschmack auf die folgenden Autos bot.

Für viele gilt Pininfarinas kompakte und schwungvolle Karosserie des Ferrari 250 GT Short Wheelbase als die schönste, die je das Werk in Modena verließ – und als Verkörperung eines variablen Grand Tourer schlechthin. Wäre es dann nicht geradezu ein Sakrileg, wollte man sie gegen den auf den ersten Blick weniger perfekten Körpers eines völlig anderen Karrosseriebaumeisters austauschen? Aber so war das eben in den goldenen Tagen des Karosseriebaus: Als wohlhabender Gentleman, der sich von der Masse abheben wollte, bestellte man eben ein ganz persönliches Auto. Hauptsache, es war speziell.

Freunde mit Möglichkeiten

Dottore Enrico Wax zählte zu diesem exklusiven Zirkel. Er war ein vermögender italienischer Geschäftsmann, dessen Unternehmen Alkohol importierte, und er war gut mit Enzo Ferrari befreundet. Leider ist nicht bekannt, ob die Freundschaft damit zu tun hatte, dass Wax mit Johnnie Walker auch mit dem Lieblingswhisky des Commendatore handelte. Er hatte schon eine ganze Reihe von Ferraris besessen, die sich alle durch höchst individuelle Sonderausstattungen auszeichneten. Als er Wind davon bekam, dass Ferrari mit dem 250 GT Short Wheelbase einen neuen Sport- und Rennwagen in Angriff nahm, meldete er prompt sein Interesse an. 

Auftritt Giugiaro

Ohne lange zu überlegen, reservierte Enzo Ferrari das noch im Aufbau befindliche Chassis #1739GT, das als eines der ersten SWBs als Werkswagen ausgerüstet war, für Wax. Aber statt dieses Chassis quer durch die Stadt zu Scaglietti zu schicken, wählte er Bertone in Turin mit der Vorgabe, eine Karosserie zu entwerfen, die sich drastisch von jener Pininfarinas unterschied. Das war der Moment von Giorgetto Giugiaro. Mit gerade einmal 21 Jahren war der junge Mann erst kürzlich von Nuccio Bertone auf Grund einiger Skizzen angeheuert worden – und nun sollte Giugiaro genau diesem Auto Form verleihen. Das Resultat war nicht nur ein eindrucksvoller Beweis für das Talent des Designers für kompromissloses und kühnes Styling, es bot auch einen verlockenden Vorgeschmack auf die Meisterwerke aus der Feder des wohl größten Automobildesigners des 20. Jahrhunderts. 

Ferrari pur

Auch heute noch weiß Guigiaros Ferrari 250 zu beeindrucken: Die Karosserie wird von der hohen und gerade gezeichneten Gürtellinie bestimmt, die an einige frühe Ferraris von Vignale erinnert und dadurch das gebürstete Edelstahldach zusammen mit dem Glasshouse besonders filigran wirken lässt. Die breite Frontpartie wird durch das wunderbar gearbeitete Metallgewebe des Kühlergrills und das seltsam große Ferrari-Emblem akzentuiert. Man kann nur annehmen, dass es Wax sehr wichtig war, seinen Mitmenschen zu signalisieren, in welchem Fahrzeug er sich bewegte – es war aber eben auch ein Ferrari in einer Klasse für sich. Genau genommen war das Auto bereits typisch Giugiaro. Wenn man Vergleiche mit späteren Autos wie dem Alfa Romeo 2000 oder dem Maserati Ghibli anstellt, wird die Ähnlichkeit augenscheinlich. Aber auch wenn Giugiaros charakteristische Handschrift für die Formen dieses Ferraris verantwortlich ist, so verweist sich der großzügige und detailreiche Einsatz von Chrom auf die persönlichen Vorlieben von Dottore Wax. Außerdem feiern einige Merkmale dieses 250 GT – wie beispielsweise die Heckscheibenheizung, der SNAP-Auspuff und die Räder aus einer Magnesiumlegierung – ihre Premiere bei Ferrari . 

Dem Luxus verpflichtet

Auch das Interieur zeichnet sich durch das Besondere aus. Luxuriös durch und durch, besaß dieser Ferrari komplett einstellbare Sitze, elektrische Fensterheber, einen Schaltknauf in „Pistolengriff”-Form und mittig platzierte Tacho- und Drehzahlmesserinstrumente, denen man später im Ferrari 250 GT Lusso wieder begegnen sollte. Das prachtvolle Leder in burgunderrot ist nicht original, denn das Auto wurde mit türkisgrünem Interieur ausgeliefert – aber uns überzeugt tatsächlich das tiefe Rot. Es ist in dieser Kombination umwerfend.

Enrico Wax ist mit seinem Short Wheelbase nie Rennen gefahren, dennoch ist der Anspruch des Motorsports unverkennbar. Blickt man unter die Haube, die den Motorraum wie eine Muschelschale umschließt, dann entdeckt man sogar rote Nockenwellenabdeckungen wie jene des ursprünglichen Testa Rossa. Der V12 mit einer Leistung von 280 PS ist so mächtig wie im späteren und sehr begehrten Modell „SEFAC Hot Rod” und auch sonst geizt dieser 250 GT nicht mit Merkmalen, welche die Gene des Rennsports in sich tragen.

Eine Frage des Charakters

Wenn man die vorderen Karosserieteile genau betrachtet, entdeckt man an den Seiten zwei kleine montierte Schilder mit der Aufschrift „Prototype EW”, die auf den verwegenen Besitzer Enrico Wax verweisen. Dieses Automobil verkörpert seine Persönlichkeit mit einer Fülle von komplexen Details. Mag sein, dass Pininfarinas SWB augenscheinlich attraktiver ist. Aber dieses Design wirkt zehn Jahre jünger und unterstreicht damit Giugiaros zukunftweisende Formensprache. Sein SWB ist ein wunderschön konzipierter Mix aus Verve für die Straße und Zweckmäßigkeit für den Motorsport. Und er ist Ausdruck von zwei sehr selbstbewussten italienischen Charakterköpfen. Für uns ist das Auto mit Chassisnummer #1739GT nichts weniger als ein Triumph.

An dieser Stelle bedanken wir uns sehr beim Besitzer des Fahrzeugs, der unserem Fotografen Rémi Dargegen freundlicherweise erlaubte, den Ferrari 250 GT Speciale im kalifornischen Monterey zu fotografieren.

Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2018

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