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Der Bugatti EB112 war das V12 Weltraum-Ei, das niemals schlüpfte

Der Bugatti EB112 sollte das luxuriöse Pendant zum ultraschnellen EB110 sein. Doch leider beraubten die finanziellen Probleme von Bugatti der Autowelt diese kieselglatt geformte Super-Limousine....

Der Titel des „schnellsten Autos der Welt” wurde im Verlauf des letzten Jahrhunderts Bugatti immer wieder einmal zuteil. Was nicht bedeuten sollte, dass die Marke nicht auch durch ihre langsameren Modelle weltweit Berühmtheit erlangte. Mit dem Anspruch, ähnlichen Luxus wie Rolls-Royce zu verkörpern, bewiesen Autos wie der monumentale Bugatti Royale, dass die Mannen aus Molsheim mehr konnten als nur den Bau eines Weltrekordautos. 

Romano Artioli, der Bugatti in den Neunzigerjahren aus dem Dornröschenschlaf erweckte, hatte ein untrügliches Gespür für diese Markenphilosophie. Wir sind alle vertraut mit dem fabelhaften EB110, der zur Feier des 110. Markengeburtstags gebaut wurde und bewies, dass Bugatti in punkto Top Speed noch immer die Spitze markierte. Doch gab es da noch eine zweite, luxuriösere und gewagtere Hälfte des Bugatti Revival-Aufgebots: den wundersam eiförmigen EB112. 

Erste Designskizzen des legendären Giorgetto Giugiaro wurden von Artioli noch verworfen – sie passten nicht zu seiner glasklaren Vorstellung für eine neuzeitliche Bugatti-Limousine. Nach einer kurzen Rückkehr ans Zeichenbrett zeichnete Giugiaro den EB112 dann so, wie Sie ihn nun vor sich sehen. Auf den ersten Blick wie eine unheilige Hochzeit zwischen einem Bonneville Salzsee Racer und einem – wenn wir gemein sein wollen – Chrysler PT Cruiser wirkend, zeichnen den EB112 die für die Neunzigerjahre typischen, ultraglatten Oberflächen aus. 

Gleichwohl gab er sich unzweifelhaft als Bugatti zu erkennen. Das geteilte Heckfenster und das zentrale „Rückgrat” zitierten den Typ 57S Atlantic; auch die C-Säule griff ein typisches Bugatti Stilelement auf, zugleich zierte die Front ein im Vergleich zum EB110 größerer und hier verchromter Hufeisen-Grill. Das Endergebnis war ohne Zweifel eindrucksvoll, und zum Zeitpunkt der Vorstellung des EB112 verstieg sich der Herausgeber des amerikanischen Magazins Automobile sogar dazu, die Limousine zum „schönsten Auto der Welt” zu küren. Man konnte definitiv Einflüsse des EB 112 in späteren Bugatti Modelle erkennen, doch insgesamt hob sich der EB112 zum Beispiel vom Veyron durch seine besonders elegante Formensprache und Linie ab. 

Unter der Aluminium Karosserie verbarg sich ein technologisches Juwel. Mit der Erfahrung aus dem EB110-Projekt machte Bugatti den EB112 zur damals schnellste Limousine auf dem Markt. Sein als Front-/Mittelmotor installierter 60-Grad-V12-Saugmotor schöpfte aus sechs Litern Hubraum 456 PS und ließ den aerodynamisch ausgefeilten und mit Allradantrieb ausgestatteten Wagen in nur 4,3 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen; die Höchstgeschwindigkeit betrug 300 km/h. Dazu kam ein – für heutige Supersportwagen fast nicht mehr vorstellbar – manuelles Sechsgang-Getriebe. Das Endergebnis war ein Autos, das sich laut Romano Artioli „ähnlich wie ein Go-Kart” bewegen ließ. Was, da sind wir uns sicher, eine absolut unparteiische Feststellung war. Vielleicht noch interessanter seine Bemerkung, dass das Auto mehr Fahrspaß bereitet habe als der immerhin in Le Mans angetretene EB110.  

Der Genfer Autosalon des Jahres 1993 war die Bühne für die globale Präsentation des EB112. Er beeindruckte die Besucher mit seinem auffallenden Design und den damals modern wirkenden Details. Kurz darauf lief im Werk Campogalliano die Produktion an, ehe Bugatti kurz darauf Insolvenz anmelden musste. Zu jenem Zeitpunkt war nur das bei Italdesign gebaute Chassis #39001 in der Farbe burgunderrot fertig; es blieb bis heute im Besitz der Familie Giugiaro. Das hier abgebildete Auto ist Chassis #39002, es ist das zweite von nur drei existierenden Exemplaren, war aber zum Zeitpunkt des Bugatti-Bankrotts nur teilweise komplettiert. Nachdem es ebenso wie sein gleichfalls nicht fertiggestelltes Schwestermodell #39003 zur Versteigerung ausgeschrieben worden war, erwarb der monegassische Geschäftsmann Gildo Pallanca Pastor beide Modelle und übertrug deren Fertigstellung dem Monaco Racing Team.

Chassis #39002 ist das einzige Auto, dessen Aufbau noch im Bugatti Werk begonnen worden war und als eines von nur drei existierenden damit so originalgetreu ist wie nur irgend denkbar. Es wurde im Jahr 2000 in einem dunklen Anthrazit-Ton lackiert und hat mit seinem einzig bekannten Vorbesitzer nur 3.900 Kilometer zurückgelegt. Mit einer Produktionszahl, die die jene des Typ 57SC Atlantic nahekommt, stellt sich die Frage, ob dieser ultraseltene „Bug“ ähnlich stratosphärische Höhen wie der Atlantic erklimmen kann – oder nur eine Fußnote in der Bugatti-Historie sein wird? 

Wenn es Ihnen nach mehr Informationen zum wilden EB112 gelüstet, dann schauen Sie doch mal in eine von Schaltkulisse gerade herausgegebene Dokumentation, in der die italienischen Modelle der Marke – EB EB110 und EB112 – besonders beleuchtet werden. In dem 30-minütigen Film treten Bugatti Legenden wie der EB110-Designer Giampaolo Benedini, der leitende Elektronik-Ingenieur des EB112, Fernando Gabellini und der legendäre Cheftestfahrer Valentino Balboni höchstpersönlich auf. 

Sehen Sie den neuen Bugatti-Film "Aceto Blue" 

Fotos: Remi Dargegen