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Treffen Sie den 1000-PS-BMW M1 Turbo, der nie ein Rennen bestritten hat

Die Geschichte des BMW M1 und der aus ihm hervorgegangenen Procar-Serie gehört zu den größten Kapiteln oder – je nach Blickwinkel – Enttäuschungen der Motorsportgeschichte. Vorhang auf für einen Gruppe-5-M 1 Turbo in Jägermeister-Farben, der das letzte Kapitel der M1-Saga schreibt.

Ignorieren Sie das Farbkleid. Oder ignorieren Sie es nicht. Wie bei jedem anderen Jägermeister-Rennwagen dürfte es schwer sein, an diesem orangefarbenen Ungetüm vorbeizugehen, ohne zumindest einen Blick auf die auffällige Lackierung zu werfen. Sie soll Aufmerksamkeit erregen, ganz im Sinne von Günter Mast – dem Chef des Kräuterspirituosen-Herstellers aus Braunschweig, der beginnend mit einem 1972 erfolgreich von Graham Hill pilotierten Formel-2-Brabham den berühmten Hirsch auf der Karosserien von Rennwagen aller Couleur pappte und die orangenen Wagen zu Publikumslieblingen und Ikonen des Motorsport- Sponsorings machte. Das hier fotografierte Auto erschien zehn Jahre später und seine verworrene Geschichte ist so kompliziert ist wie die des BMW M1 selbst. Daher ist diese Lackierung und das ganze Auto nicht das, was sie vorgeben zu sein, denn das Ganze entstammt der Fantasie des Mannes, der das Auto aus verschiedenen Komponenten aufgebaut hat: der legendäre M1-Flüsterer Fritz Wagner. Bei Jägermeister gibt man sich gelassen: Es habe zwar nie einen Gruppe-5-BMW M1 Turbo in den orangenen Hausfarben gegeben, aber bei Classic Cars Events würden auch immer viele Teilnehmer mit dem Hirsch am Auto antreten, nur sei kaum einer davon ein Original. Dagegen vorgehen wolle man aber nicht, versichert Eckhardt Schimpf, Journalist, selbst Rennfahrer und jahrzehntelang zuständig für Sport-Sponsoring bei Jägermeister.

Um es mit Samuel Beckett zu sagen: Es gibt nichts Lustigeres als die Tragödie. Und so könnte man die Geschichte des BMW M1 als eine der kuriosesten, ja tragischsten der Automobilwelt bezeichnen. Der Wagen wurde ursprünglich mit dem Ziel entwickelt, einen der besten Mittelmotor-Rennwagen aller Zeiten zu bauen. Einer, der den dominierenden Porsche 935 in der Gruppe 5 Paroli bieten würde. Die für den M1 per Reglement vorgeschriebene Charge von 400 Autos erscheint nach heutigen Maßstäben winzig – erwies sich aber als das erste Problem auf einer langen Liste von Katastrophen.

Die Genesis des von Giorgetto Giugiaro entworfenen M1 – er hatte den ursprünglichen Prototyp von Paul Bracq (noch mit Flügeltüren) aus dem Jahr 1972 überarbeitet – war im Wesentlichen von Pech und schlechten Entscheidungen geprägt. Zunächst platzte die angedachte Produktion des Wagens bei Lamborghini – der Sportwagenbauer musste 1978 wegen Urheberrechtsbetrugs und Veruntreuung von Geldern Insolvenz anmelden. Nach dem Bau von sieben Prototypen übernahm BMW im April 1978 wieder die Kontrolle über das Projekt, doch führten die Produktionsverzögerungen und Änderungen beim Gruppe-5-Reglement, dazu, mit dem M1 nur noch in der zahmeren Gruppe 4 antreten zu können. Die überstürzte Lösung, nun die Produktion über ganz Europa zu verteilen, war dann so etwas wie der letzte Nagel zum Sarg. Marchese baute den Rohrrahmen, TIR formte das Fiberglas, Italdesign fügte beides zusammen und baute die Innenausstattung ein, dann wurde der M1 von Italien nach Stuttgart verschifft, wo die Karosseriefabrik Baur die BMW-Hardware einbaute, ehe bei BMW Motorsport in München der letzte Schliff und die Qualitätskontrolle folgten. Dadurch wurde der M1 fast ein Viertel teurer als jeder vergleichbare Ferrari oder Lambo, der zu dieser Zeit verkauft wurde. Fall abgeschlossen.

Britische Generäle scherzten im Zweiten Weltkrieg oft, die Deutschen seien nicht sehr gut, wenn es um einen Plan B geht. Doch BMW-Motorsportchef Jochen Neerpasch bewies das Gegenteil und machte aus der Not eine Tugend: Er erfand die mit M1 ausgetragene Procar-Serie, in der Formel-1-Piloten wie Niki Lauda, Clay Regazzoni und Nelson Piquet im Rahmenprogramm der Formel 1 gegen Privatfahrer antraten. Eine tolle und über zwei Saisons (1979/80) gehende Show. Nachdem BMW das Programm aufgegeben hatte, um in die Formel 1 einzusteigen, fanden die Teams, denen es schließlich gelang, in der Gruppe 5 zu fahren – wie GS oder Sauber – den M1 einfach nicht konkurrenzfähig. Der nur einmal in dieser Form von Schnitzer gebaute M1 mit Bi-Turbo-Aufladung, der im Training bis zu 1000 PS und im Rennen zwischen 720 und 800 PS leistete, brachte es mit „Strietzel“ Stuck am Steuer 1981 immerhin zu zwei Siegen in der Deutschen Rennsport-Meisterschaft.

Damit sind wir bei diesem besonderen, eher ungewöhnlichen Exemplar angelangt. Es war für das Rennteam des Schweizers Walter Brun vorgesehen, wurde durch Bruns Umstieg in die Gruppe C ab 1982 jedoch nicht fertig gestellt. Bruns Freundschaft mit BMW-Motorenguru Paul Rosche, der unter anderem den BMW 2002 mit einem Turbolader ausgestattet hatte, verfolgte die Idee entstehen, den ursprünglich für den Gruppe-5-M1 von March vorgesehenen M88-Turbomotor in ein modifiziertes M1-Procar-Chassis einzubauen, das dann in eine Gruppe-5-Karosserie gehüllt war. Der Wagen wurde jedoch nie in einem Rennen eingesetzt. Geschweige denn im Jägermeister-Dress.

Fast 40 Jahre später hat nun Fritz Wagner, der erklärte M1 Godfather, das nie realisierte BMW M1 Turbo Projekt abgeschlossen. Der BMW-Mechaniker hatte seinerzeit fast alle Teile für diese Autos, als sie noch wenig wert waren, aufgekauft. So trug er einen umfangreichen Fundus von Bauteilen zusammen, die es ihm gestatteten, ganze M1 von Grund und unter Verwendung von Originalteilen neu aufzubauen. Und so kam es, dass nach anderthalb Jahren Recherche – unter anderem im BMW M Archiv – und der Suche nach vielen Teilen in Südafrika, Amerika, England und Bayern, darunter so wichtige Komponenten wie der für diesen Motor spezifische Zylinderkopf oder die Kurbelwelle, dieser einzigartige M1 auf Steroiden 2022 beim M1 Procar Revival zum ersten Mal die Rennstrecke sah. Auch in der DTM Classic DRM Trophy war er bereits zu sehen.

Eine besonders gute Nachricht, wenn man bedenkt, dass dieses 1090 kg schwere Geschoss damals auf dem Prüfstand nicht nur die erwähnten bis zu 1000 PS, sondern auch 930 Nm Drehmoment leistete. Jetzt ist dieser spannende Neuaufbau in den Händen eines neuen Besitzers, der vorhat, regelmäßig Rennen zu fahren. Er wird reichlich Gelegenheit haben, zu glänzen und so ein neues M1-Kapitel aufschlagen...

Fotos: Daniel Nikodem für Classic Driver

Sie können diesen mysteriösen BMW M1 Turbo in seiner vollständig restaurierten Pracht am 20. Mai 2023 während der Como Car Week erleben. Zu sehen in der Villa Erba in Cernobbio am Comer See während des von BMW Classic organisierten Treffens „Amici & Automobili“.