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The times, they are a-changin’ – beim Concorso d’Eleganza Villa d’Este 2025

Was bislang eine Unmöglichkeit war, ist jetzt die neue Norm: Sportwagen, Hypercars und Rennwagen dominierten das Teilnehmerfeld beim weltweit bedeutendsten Concours d’Élégance.

Ein schwacher Sonnenstrahl erscheint über den Bergen und durchdringt die Wolken an einem nebligen Samstagmorgen am Comer See. Der Strahl spiegelt sich im silbernen Wasser des Sees, erinnert an das Quecksilber in einem altmodischen Thermometer, und wird von einer verchromten Espressomaschine zurückgeworfen. Es ist sechs Uhr morgens, im Grand Hotel Villa d’Este herrscht bereits reges Treiben. Doch das Klirren von Gläsern, Tassen und Besteck sowie das Rascheln der Tischdecken sind nicht der einzige Soundtrack zur Choreografie der Kellner; laute Rennmotoren werden gestartet und wecken alle im Umkreis von fünf Kilometern, die noch schlafen. Langsam tauchen die Autos aus den Tiefen der Hotelgarage auf und bahnen sich ihren Weg durch den Garten. Fachmännisch unterstützt von gefühlt Hunderten von BMW-Classic-Mitarbeitern, die sie an ihre endgültigen Positionen lotsen.

Das wichtigste Concours-Wochenende der Welt hat begonnen – die Spannung liegt in der Luft und wird vom Rhythmus aggressiver Rennnockenwellen bestimmt. Dieses Jahr treten 54 historische Sammlerautos in acht Klassen gegeneinander an, zusätzlich sind in der Klasse der Konzeptautos und Prototypen fünf Teilnehmer gemeldet. Ich komme schon seit vielen Jahren hierher, und der Ablauf ist jedes Mal mehr oder weniger derselbe. Doch als ich über das Gelände eines der luxuriösesten und einzigartigsten Hotels der Welt blicke, fällt mir eine Besonderheit auf: Nur in einer einzigen Fahrzeugklasse ist kein Renn- oder Hochleistungsfahrzeug vertreten. Es ist die Klasse H mit dem ominösen Titel „Opulenz trifft Eleganz, bevor sich die Zeiten für immer ändern“. Ich halte kurz inne und sinniere darüber, wie schnell sich die Dinge in der Automobilwelt ändern, wo wir gerade einen Übergang von Verbrennungsmotoren zu Hybrid-, Elektro- und schließlich selbstfahrenden Autos erleben, und wie wir nie wirklich verstehen, was kommt und geht, bis es zu spät ist.

Aus diesem Grund sind Sammlerautos und ihre Geschichte so wichtig – sie lehren uns etwas über die Vergangenheit, woher wir kommen. Doch wie wir an diesem Wochenende erfahren haben, ist selbst diese Welt der Nostalgie nicht immun gegen Trends und Veränderungen. Vor 15 Jahren war die Concours-Welt begeistert von atemberaubenden Limousinen und Grand Tourern aus der Vor- und Nachkriegszeit. Heute scheint uns nur noch ein Hardcore-Rennsieger in Wallung zu bringen. Das ist keine Überraschung: Die meisten Fortschritte in der Technik sind entweder, nun ja, Kriegstreiberei oder dem Wunsch geschuldet, alle anderen auf der Rennstrecke zu schlagen. Vielleicht liegt es daran, dass moderne Autos immer komfortabler, luxuriöser und steriler werden (da alle Marken letztendlich gegen den Strom schwimmen), dass wir uns nach intensiveren, direkteren, authentischeren, unabhängigen und analogen Erlebnissen sehnen – und die können wir vor allem in Gestalt von Hochleistungsfahrzeugen aller Art finden. Nachdem das einmal gesagt ist, und da dies ein Rückblick und keine Kolumne ist, wollen wir uns die einzelnen Klassen ansehen und, unabhängig von den Klassensiegern, einen Blick auf unsere Lieblingsmodelle des diesjährigen Concorso d’Eleganza Villa d’Este werfen.

Herrlicher Überfluss: Die Entwicklung des Autos, bei dem Geld keine Rolle spielt

Die Klasse A umfasste Autos aus den Jahren 1920 bis 1940 und war ebenso vielseitig wie interessant. Wir bestaunten Giganten wie den Duesenberg SJ von 1933, der die meiste Zeit seines Autolebens in Mexiko-Stadt verbrachte, mit seiner beeindruckenden Karosserie und dem fortschrittlichen Motor – zwei obenliegende Nockenwellen und vier Ventile pro Zylinder holten aus seinem 6,9-Liter-Reihenachtzylinder 265 PS, mehr als doppelt so viel wie jeder Bugatti oder Rolls-Royce aus dieser Zeit. Daneben parkte der wunderschöne Lancia Astura, ein Art-déco-Meisterwerk mit geschwungenen Linien und wahrscheinlich das anmutigste Auto von allen. Mit gewebtem grünem Leder und einem patentierten elektrischen Verdeck, einer einzigartigen Lösung des Karosseriebauers Pinin Farina, der diesen ersten luxuriösen Lancia überhaupt gestaltete.

Damit wäre vielleicht schon alles gesagt, wäre da nicht noch der fantastische, vergleichsweise kleine, aber extrem aerodynamische Alfa Romeo 6C 2900 SS Touring Superleggera aus Corrado Loprestos berühmter Sammlung – ein Auto, das aussieht wie aus einem Batman-Comic (wenn Batman Italiener wäre und in Mailand leben würde). Und haben wir schon den Bentley Speed Six von 1930 erwähnt – im Grunde ein Rennwagen mit Gurney-Nutting-Karosserie –, der einst einem der berühmten Bentley Boys, Commander Glen Kidston, gehörte? Als sein Neffe Simon den Wagen während der Parade vorstellte, fragte ihn Helmut Käs von BMW Classic, ob er „ein Taschentuch bräuchte“, worauf Kidston geistreich antwortete: „Was ich brauche, ist ein Bankkredit.“

Das Jahrzehnt des automobilen Wettrüstens

Während in Klasse A nur ein einziger Rennwagen vertreten war, war Klasse B voll davon, mit Modellen aus den Jahren 1928 bis 1938. Die wichtigeren Einträge? Nun, die Auswahl reichte von einem brutalen Mercedes SSK von 1928 und einem fantastisch patinierten Bugatti Typ 59, einem von drei produzierten, bis hin zu einem Alfa Romeo P3 Grand Prix-Renner und Ralph Laurens Alfa Romeo 8C 2900 B Spider mit Karosserie von Touring. Letzterer ein bedeutendes Rennauto (und Propagandainstrument, es war schließlich Mussolinis Italien), das bei der Mille Miglia von 1938 mit Carlo Pintacuda am Steuer den zweiten Platz hinter einem weiteren 8C 2900 B mit Clemente Biondetti belegte. Nach dem Krieg wurde der Wagen in die USA verschifft, gehörte kurzzeitig Phil Hill – der mit ihm 1951 bei den Pebble Beach Races den Del Monte Cup gewann – und kehrte erst jetzt, wenn auch nur kurz, nach einer 70-jährigen Pause nach Italien zurück.

Der europäische Nachkriegssportwagen wird erwachsen

Klasse C war pure… Klasse. „Der europäische Nachkriegssportwagen wird erwachsen“ lautete das Thema, und ich war von einigen Nennungen wirklich verblüfft. Besonders der Bugatti Typ 101 C von 1950 mit Antem-Karosserie beeindruckte mich: Ein seltsames Auto mit scheinbar zwei Frontpartien und der einzige Bugatti, den Ettores Sohn Roland nach dem Tod seines Vaters entwickelte. Zugleich ein berührender Abschluss der am Ende tragischen Geschichte des großen Autobauers aus Molsheim. Daneben stand ein fantastisch „barocker“ – typisch für ein von Michelotti für Vignale entworfenes Design – Ferrari 212 Export, einst im Besitz des Grafen Sanseverino. Das geprägte Leder und der sonstige Innenraum ließen mich von den Partys träumen, die er in seiner Heimatstadt Neapel gegeben haben muss.

Mit dem gleich rechts daneben geparkten Carrozeria Balbo Siata 208 CS wirkten die übrigen Autos in der Klasse im Vergleich fast ein wenig gewöhnlich, auch wenn sie als Einzelstücke absolut atemberaubend sind. Die Rede ist von einem Mercedes 300 SL Gullwing, einem Ferrari 275 GTB und einem Lamborghini SV Miura.

Titanen der Rennstrecke

„Titanen der Rennstrecke“ rollten in Klasse D an den Start und ließen mich meine Haltung zur Frage „Kann ein Rennwagen elegant sein?“ überdenken. Wie kann man die kantige Frontpartie eines in Le Mans und Silverstone eingesetzten Aston Martin DB3/5 nicht bewundern, ebenso wie die Schlichtheit und Brutalität der Ferrari 375 MM, 250 Monza und 121LM – allesamt Ikonen der Mille Miglia, Carrera Panamericana und der 24 Stunden von Le Mans? Der LM war ein besonders interessantes Beispiel. Er sah aus wie eine Kreuzung zwischen einem C-Type Jaguar und einem 250 Testarossa und hatte als Antrieb einen von Aurelio Lampredi entworfenen 4,4-Liter-Reihensechszylinder mit 360 PS unter der Haube. In dieser stark besetzten Klasse war auch einer meiner absoluten Favoriten vertreten – der Ferrari 206S Dino von 1967, auch bekannt als „Baby“ 330P3 – der Kraft, Leichtigkeit und zielgerichtete Kompetenz ausstrahlte, nur 600 kg wog sowie über einen 220 PS starken V6 und einen fantastischen Soundtrack verfügte.

Eingefroren in der Zeit

Die überaus wichtige „Preservation Class“ für Zeitkapseln, die zwischen 1900 und 1973 gebaut wurden, war voller aufregender Sportwagen – abgesehen vielleicht vom 20hp Rolls-Royce, der unter Enthusiasten als „Canardly“ bekannt ist, weil er „kaum den Hügel hinaufkommt“. Meine Favoriten? Ein früher Ferrari Dino 206 GT in Verde-Pino, das allererste Sechszylinder-Serienmodell von Ferrari, ein Kultauto mit tragischer Hintergrundgeschichte (benannt nach Enzos früh verstorbenem Sohn Dino) und herausragendem Handling. Dann war da noch der Bizzarini Europa 1900GT, das kleinere Geschwistermodell des 5300 GT mit einem von Opel abgeleiteten 1,9-Liter-Motor: das seltenste Bizzarini-Modell von allen und ein Privatwagen des Markengründers selbst. Erwähnenswert ist auch der erfolglose (nur ein Exemplar wurde je verkauft) Monteverdi Hai 450 GRS aus der Schweiz – mit nur 500 Kilometer auf dem Tacho.

Go Big, or Go Home

Dann kommen wir zur Klasse F, in der „Automobilexzesse von den 80ern bis zum neuen Jahrtausend“ gefeiert wurden. In Anbetracht des letztjährigen Sieges des Ueno-Clinic McLaren F1 schien dieses Feld die Besucher am meisten zu begeistern. An die Spitze der Klasse hatte das Auswahlkomitee zwei Boliden der Extraklasse gewählt. Einen Verde Scuro Metalizzato Bugatti EB110, jenes Auto, mit dem Romano Artioli die weltweite Leidenschaft für Bugatti neu entfachte. Und einen brutalen Ferrari F40 GTE mit aggressiven Spoilern, Splittern und einem NACA-Lufteinlass an der Front, ein Rennwagen, der eindeutig nichts mit Eleganz zu tun hat, sondern so wirkt, als hätte Mike Tyson ihm ins Gesicht geschlagen. Direkt daneben: ein McLaren F1 GTR in Papaya Orange, Chassis # 11R, der die würdevolle Umgebung entweihte.

Meine Favoriten? Der extrem seltene Ferrari F50, der einst Prinz Saud bin Fahd bin Abdulaziz Al Saud aus Saudi-Arabien gehörte (nur 349 Exemplare im Vergleich zu 1300 Exemplaren des F40), der Mercedes-Benz CLK GTR von 2005, einer von sieben Roadstern und der einzige mit Rechtslenkung, und schließlich das Auto mit dem besten Klang von allen: der Maserati MC12 Corsa, Chassis 0001, einer von drei existierenden straßenzugelassenen Corsas.

Verschwunden, aber nicht vergessen

Die elegantesten Autos waren jedoch in der Klasse G zu finden. Sie setzte sich zusammen aus Fahrzeugen nicht mehr existierender Marken, gescheiterten Projekten und Träumen, die „verschwunden, aber nicht vergessen“ sind. Absoluter Hingucker war der Talbot Lago T 26 Grand Sport von 1948 mit zweifarbiger Saoutchik-Karosserie und vergoldeter Innenausstattung. Das extrem opulente Auto war ein großartiges Beispiel dafür, wie sich der Stil dieses ehemaligen Tischlers, der 1899 je nach Quelle aus der Ukraine oder Weißrussland als 19-Jähriger mit der Familie nach Frankreich ausgewandert war, im Laufe der Zeit zu völligem Wahnsinn entwickelte (zumindest im Vergleich zu einem dezenten Bugatti 57).

Doch weder Saoutchik, Renzo Rivolta noch Wilfredo Ricart (der Gründer von Pegaso, der den ebenfalls in dieser Klasse vorgestellten Z-102 konstruierte) konnten sich die Verrücktheit des Osi Silver Fox Prototypen vorstellen. Eines Katamarans mit zwei Karosserien und die Idee der Mille-Miglia-Legende Piero Taruffi. Angetrieben von einem winzigen 1000-cm³-Alpine-Motor war dieser „Wagen“ dank seiner innovativen Aerodynamik darauf ausgelegt, Rekorde zu brechen. Und egal aus welchem Blickwinkel, er ist ein absolut schockierender und faszinierender Anblick.

Opulenz trifft Eleganz – ehe sich die Zeiten für immer verändern

Schließlich erreichten wir Klasse H, die zahlreiche exquisite Modelle präsentierte. Darunter den MK VI Bentley mit atemberaubender Pininfarina-Karosserie, den äußerst seltenen Ferrari 410 Superamerica, von dem nur zwölf Stück gebaut wurden, und den Citroën DS Le Caddy von Henri Chapron, den wir Ihnen letzte Woche als elegantestes Coachbuilt-Cabrio präsentiert haben. Ehrlich gesagt war dies die einzige Klasse des Concours, in der eine gewisse elegante Zurückhaltung vorherrschte.

Coppa d’Oro Villa d’Este

Wir freuen uns, berichten zu können, dass der BMW 507, der berühmte Roadster von Albrecht Graf von Goertz, nicht nur den „Most Iconic Design Award“ gewonnen hat – was verständlich ist, da er vielleicht das einzige deutsche Auto in der Geschichte ist, das aussieht, als wäre es von einem Italiener entwor fen worden –, sondern auch, zur Überraschung aller, die vom Publikum verliehene Trophäe „Coppa d’Oro Villa d’Este“. Ein wohlverdientes Geschenk für BMW Classic, die das 20-jährige Jubiläum ihrer Schirmherrschaft beim Concorso d’Eleganza Villa d’Este feiern. Herzlichen Glückwunsch!

Best of Show

Letztendlich gewann keines der Autos, die mir anfangs ins Auge fielen, die „Trofeo BMW Group“, besser bekannt als „Best of Show“. Diese begehrte Auszeichnung ging an einen historisch bedeutsamen, aber ziemlich unscheinbaren – Sie ahnen es schon – Rennwagen: den Alfa Romeo Tipo B P3 von 1933. Dieser von Vittorio Jano entworfene Monoposto war eine direkte Weiterentwicklung des legendären Alfa Romeo 8C 2300 Monza, und nur wenige Rennwagen haben die Regeln so neu geschrieben wie er. Als federleichter, extrem leistungsstarker Einsitzer mit zwei Kompressoren wurde der 265 PS starke P3 schnell zum Maßstab im Grand-Prix-Sport. 1933 übertrug Alfa Corse seine Rennaktivitäten an den aufsteigenden Stern namens Enzo Ferrari, dessen Scuderia schnell als eine Macht galt, mit der man zu rechnen hatte. Unsterblich wurde der von Ferrari eingesetzte P3 durch den Sieg von Tazio Nuvolari 1935 beim GP von Deutschland auf dem Nürburgring, errungen gegen die Übermacht der deutschen Silberpfeile. Das prämierte Chassis von 1933 spielte seine eigene Hauptrolle: Pilotiert von Achille Varzi und Guy Moll gewann es Rennen in Nizza, Tripolis und auf der Berliner Avus, gefolgt von Podiumsplätzen in ganz Europa. Fast ein Jahrhundert später ist der P3 oder Tipo B immer noch ein Symbol für puristischen Motorsport und feinste italienische Ingenieurskunst.



An diesem Wochenende konnte das gut erhaltene Auto aus der deutschen Victoria Collection noch einen weiteren Sieg einfahren – es überzeugte die Jury des Concorso d'Eleganza Villa d'Este 2025, ihm die höchste Auszeichnung „Best of Show“ zu verleihen. Was meinen ursprünglichen Standpunkt nur bestätigt. Obwohl der Alfa nicht gerade ein modernes Hypercar ist, wie beispielsweise der letztjährige Gewinner der Copa d'Oro, geht der Preis „Best of Show“ zum zweiten Mal in Folge an einen knallharten und nur auf Siege programmierten Rennwagen. Bahnbrechend und faszinierend in der Schlichtheit seiner Ästhetik, inspirierend durch seine technische Brillanz, historisch wichtig, aber nicht gerade klassisch schön. Ist diese Besessenheit von Geschwindigkeit und Leistung nur eine Modeerscheinung? Wir werden es nächstes Jahr herausfinden!

Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver