Es ist der 28. April 1940. Während der Zweite Weltkrieg seit rund sieben Monaten tobt – aber noch ohne die Beteiligung des deutschen „Waffenbruders“ Italien – versuchen die Organisatoren der Mille Miglia, ihre als Folge eines schweren Unfalls beim Rennen von 1938 für 1939 abgesagte Veranstaltung mit neuem Leben zu erfüllen. Aus Sicherheitsgründen aber nicht mehr in Form der bis hinunter nach Rom führenden 1000-Meilen-Fernfahrt, sondern eines 167 Kilometer langen Dreieckskurses zwischen Brescia, Cremona und Mantua. Auf dem vorwiegend flachen und mit teils endlos langen Geraden gespickten Kurs würden die Fahrer neun Runden zurücklegen – eine von den Zuschauern goutierte Änderung, sahen sie doch bei den bisherigen Mille Miglia-Ausgaben die Autos nur ein einziges Mal an ihnen vorbeizischen. 1938 hatte BMW erstmals an der Italien-Rundfahrt teilgenommen – mit vier 328 (darunter ein von Frazer Nash genanntes Auto) – und den Sieg in der neuen Zweiliter-Klasse errungen. 1940 traten fünf BMW erneut in dieser Hubraum-Klasse an, nur diesmal mit unterschiedlichen Karosserien. BMW Classic holte sie nun alle bei der diesjährigen Villa d’Este zusammen: neben dem im Gesamtklassement siegreichen Touring Coupé und der „Kamm“-Rennlimousine auch drei „Bügelfalten“-Roadster – alle auf der technischen Basis des 328 und silbern lackiert.
Die Planungen für den deutschen Einsatz im Jahr 1940 begannen lange vor dem offiziellen Rennen. BMW-Rennleiter Ernst Loof reiste schon im März mit einer Gruppe von Fahrern, den beiden Coupés und einem Roadster nach Italien, um sich mit der Strecke vertraut zu machen, eine Rennstrategie auszuarbeiten und den Aufbau eines Depots für den Boxenstopp zu organisieren. Nach sorgfältiger Planung wurde im kleinen Ort Castiglione, etwa 25 Kilometer außerhalb von Brescia, eine provisorische Garage errichtet. Hier sollten die Fahrer tanken – Loof rechnete mit einem Verbrauch von 20 Litern/100 km – gegebenenfalls Reifen wechseln und strategische Anweisungen erhalten – ein entscheidender Faktor für den Erfolg bei diesem anspruchsvollen Rennen.
Sollten die beiden Coupés um den Gesamtsieg fahren, erhielten die Crews der drei Roadster mit den Nummern 71, 72 und 74 die Anweisung, es nicht zu übertreiben, sondern ein gutes Tempo zu halten und ihre Motoren zu schonen, um so wie schon 1938 erneut den Mannschaftssieg nach München zu holen. Das übrige Starterfeldes bestand ausschließlich aus italienischen Fabrikaten wie Fiat, Lancia, Alfa Romeo, Stanguellini und zwei der von Enzo Ferrari eingesetzten Auto Avio Costruzioni. Alfa Romeo trat in der Dreiliter-Klasse mit vier Roadstern an, mit „Superleggera“-Karosserien von Touring und einem ebenfalls bei Touring gebauten Coupé, das wie der große Bruder des BMW Touring Coupés aussah. Auch zwei Delage waren am Start, aber auch die von Italienern gesteuert. Fahrer aller anderen Nationen hatten es vorgezogen, dem Rennen fern zu belieben.
Nach dem Start auf der Piazza della Vittoria in Brescia legte Fritz Huschke von Hanstein im Touring Coupé ein Tempo vor, mit dem keiner der Konkurrenten auch nur annähernd mithalten konnte. Das Kamm-Coupé lag nach zwei Runden noch auf Platz zwei, ehe dessen Piloten Lurani und Cortese wegen eines überhitzenden Motors und Problemen mit der Ölversorgung nach sieben Runden als einziges BMW-Team aufgeben mussten. Von Hanstein, der erst kurz vor Schluss seinen Partner Walter Bäumer ans Steuer (und durchs Ziel) fahren ließ, siegte mit einem Schnitt von 174 km/h – ein Wert, der bis dahin noch nie bei einem Sportwagen-Rennen erreicht worden war, Es dauerte über eine Viertelstunde, ehe der rote Alfa von Farina/Mabelli als Zweiter das Ziel passierte. Betretenes Schweigen und völlige Fassungslosigkeit unter den vielen Tausend italienischen Fans, die gekommen waren, um den Sieg eines heimischen Autos mitzuerleben.
Der schnellste BMW Roadster kam auf Platz drei, die beiden anderen offenen 328 auf den Positionen fünf und sechs. Damit war der BMW-Triumph perfekt: Gesamtsieg, Sieg in der Zweiliter-Klasse, Mannschaftspreis und schnellste Rennrunde. 85 Jahre nach dem Sieg beim „1. Gran Premio Brescia delle Mille Miglia“ – so der offizielle Name dieser Rumpf-Mille-Miglia – sehen die erfolgreichen BMW immer noch so stolz und atemberaubend aus wie damals und bestätigen den Platz des 328 als einer der erfolgreichsten Rennwagen in der BMW-Motorsportgeschichte. Der Werks-Einsatz von 1940 war ein eindrucksvolles Statement von Entschlossenheit, technischem Können und Leidenschaft für den Erfolg. Binnen knapp zehn Jahre war es BMW gelungen, sich von der kleinen 750-ccm-Klasse an die Spitze des europäischen Sportwagen-Rennsports vorzuarbeiten. Was auch der fünfte Platz und Klassensieg in der Zweiliter-Klasse bei den 24 Stunden von Le Mans von 1939 (mit dem Touring-Coupé) unterstrich.
Eine Erfolgsstory, die mit dem Mille-Miglia-Sieg leider ihr jähes Ende fand: nur wenige Tage später begann der „Westfeldzug“. Und nach einer ebenfalls verkürzten Targa Florio endeten im Mai 1940 auch Autorennen in Italien. Denn am 10. Juni trat auch Mussolini in den Krieg ein.
Übersetzt und ergänzt aus dem Englischen von Thomas Imhof