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So angelt man sich auf die englische Art einen Milliardär in St. Moritz

Letztes Wochenende pilgerten die anglophilsten Autosammler der Schweiz mit ihren Aston Martin, Bentley, Jaguar und Rolls-Royce ins Engadin zur Billionaire-Ausgabe des British Classic Car Meeting, kurz BCCM. Und natürlich waren dem Überfluss keine Grenzen gesetzt.

Erinnern Sie sich an das berühmte britische Understatement? An die unscheinbaren Gentlemen-Clubs hinter dunkelgrünen Townhouse-Türen, die unscheinbaren und ungepflegten, aber sündhaft teuren Bristol Blenheims im eingeschränkten Halteverbot, die maßgeschneiderten, aber zielstrebig abgetragenen und stockfleckigen Hemdkragen, den neuesten Klatsch der Oberschicht, der durch die schwebenden Zigarrenwolken in Belgravias typischem Aristo-Cockney geflüstert wird, und den Geruch alten Geldes, nach Mottenkugeln und Staub? Wenn Sie sich London und das Vereinigte Königreich immer noch so vorstellen, dann sind Sie wahrschenlich seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr dort gewesen. Denn spätestens seit den Tagen Margaret Thatchers und ihrem Streben nach freiem Marktkapitalismus und individueller Freiheit hat Großbritannien das Zeitalter der globalen Milliardäre ausgerufen – und wenn Sie nicht mit dem schwarzen Helikopter oder am Steuer eines Aston Martin Valkyrie mit Sichtcarbon in Mayfair ankommen, wird niemand mehr Notiz von Ihrer Existenz nehmen. 

Unterdessen ist der mythische Ort St. Moritz in den Schweizer Alpen eine der letzten Bastionen klassisch-britischen Elitismus und heimlichen Reichtums, im englischen Sprachraum unter dem schönen Begriff Stealth Wealth bekannt. Hier kann man noch immer beim Cresta Run in Tweed gehüllt einen Eiskanal hinunterrutschen, bevor man im holzverkleideten Saal des Suvretta House seinen Fünf-Uhr-Gin-and-Tonic genießt. Letztes Wochenende jedoch wurde selbst diese Zeitkapsel des Old Empires in den Schweizer Alpen in die Gegenwart katapultiert, als das British Classic Car Meeting St. Moritz seine neueste Ausgabe unter dem Motto "The Billionaire Edition" abhielt. In Anlehnung an die finanzielle Ausgelassenheit der Thatcher-Ära zeigte das Event-Plakat eine Concorde der fiktiven Billion' Air, dazu ziegelsteingroße Handys, kurze Röcke, einen goldenen Aston Martin Lagonda und Koffer voller Dollar (nicht Pfund). Der Ton für ein Wochenende war gesetzt, die unverhohlene Anbetung von Reichtum und Erfolg stand ganz oben auf dem Programm.

„Wir tauchen ein in die schillernde Ära der Wall-Street-Triumphe, der goldenen Feuerzeuge und Uhren, der Zweireiher mit Hosenträgern und der glitzernden Mode von Paco Rabanne“, hatte BCCM-Vorsitzender und Suvretta House-Direktor Peter Egli in der Einladung angekündigt. Und natürlich spielten die Stammgäste das augenzwinkernde UHNWI-Thema mit der für die Szene typischen Begeisterung mit und brachten eine Flotte der kühnsten britischen Automobile ins alpine St. Moritz. Da das traditionsreiche Suvretta House derzeit ein neues Spa baut, wechselte der BCCM von seinem traditionellen Standort ins Badrutt's Palace und das Grand Hotel des Bains Kempinski, wo die Teilnehmer am Freitag zu einer ersten Ausstellung der über 100 Autos eintrafen, gefolgt vom obligatorischen Cocktail und Eröffnungsdinner. Als besonderen Gast hatte das BCCM-Team den „Million Mile Man“ Fred Finn eingeladen, den weitgereisten Concorde-Passagier und ehemaligen McLaren F1-Botschafter. Insgesamt flog Finn zwischen 1976 und 2003 ganze 718 Mal mit der Königin der Lüfte, gab dafür rund 2 Millionen Pfund aus und stellte nebenbei einen Guinness-Weltrekord auf. „Ich fand immer eine kleine Flasche Dom Pérignon unter meinem Sitz“, erinnerte sich Flinn lebhaft und gab damit die Größenordnung für das kommende Wochenende vor.

Passend zum Größenwahn dieser speziellen Ära gelang es dem BCCM-Team, nicht nur einen, sondern gleich zwei Aston Martin Lagondas zu gewinnen. Die vom Visionär William Townes entworfene, ikonische viertürige Limousine verband das Keildesign der 1970er Jahre mit ultraluxuriösem Komfort und stärkte Aston Martins Liquiditätsreserven in Zeiten finanzieller Turbulenzen. Der Lagonda des Strategen und vielseitigen Autosammlers Stephan Sigrist aus Zürich war besonders bemerkenswert, da er einst vom britischen Spezialisten Tickford für den Sultan von Oman individuell angefertigt worden. Später wurde der Wagen von seinem derzeitigen Besitzer mit einem maßgefertigten Synthesizer der alten Schule ausgestattet. Newport-Pagnells Exzesse der 1980er Jahre wurden auch durch einen breitschultrigen Aston Martin V8 Vantage Volante von 1987 repräsentiert.

Seit Beginn des Alpentourismus im 19. Jahrhundert kamen wohlhabende britische Gäste in die Schweiz und wählten natürlich stets ein angemessenes, vorzugsweise englisches Gefährt. Das Hotel Schweizerhof in Interlaken trieb diese Idee der Gastfreundschaft auf die Spitze, als es den Schweizer Karosseriebauer Beutler beauftragte, einen Rolls-Royce aus den 1930er-Jahren in einen Hotelbus umzubauen, der dem Milliardärsthema des BCCM durchaus gerecht wurde. Eine Flotte von Bentleys und Rolls-Royces aus den 1950er- bis 2000er-Jahren erinnerte derweil an die goldene Ära handgefertigter Luxuslimousinen nach Maß aus Großbritannien. Wenn Walnussholz und Connolly-Leder Ihre Tasse Tee sind, hätten die königlichen Flaggschiffe, die durch das sonnige Engadin rollten, Ihr Herz sicherlich höher schlagen lassen! Besonders angetan waren wir von einem blauen Rolls-Royce Camargue, der aus Ungarn in die Schweizer Alpen gefahren wurde, und einer Reihe von Bentley V8-Grand- Tourern, von einem R-Type Continental von 1954 bis zu einem Continental Mulliner RW/B und einem Brooklands, beide aus der Zeit um die Jahrtausendwende.

Am Samstagmorgen wich der Glamour dem Sportsgeist, als sich die Teilnehmer mit dröhnenden Motoren am Badrutt's Palace versammelten, um zur BCCM-Markenrallye aufzubrechen. Allein 50 Jaguar, von frühen Nachkriegsautos bis hin zu modernen Roadstern, versammelten sich im Zentrum von St. Moritz und feierten die einst stolze britische Marke mit einer wahrhaft fantastischen Ausstellung von XK 120, XK 150 und E-Type-Variationen. Wir hätten Dutzende Favoriten auswählen können, aber die Autos, die uns am meisten begeisterten, waren ein XK 150 Old Mill Special von 1958 aus dem Stall des Markengurus Georg B. Dönni und ein XJS aus den 1970er Jahren in der wunderschönen zeitgenössischen Farbe Sandgrün. Apropos Farben: Ein weiterer außergewöhnlicher Grand Tourer – und ein absoluter Favorit von Classic Driver – war der Aston Martin DB6 Mk2 von 1969 in Bahama Yellow, eines von nur drei Fahrzeugen in diesem ikonischen Farbton.

Doch nicht alle Autos auf der Straße waren verbriefte Ikonen, denn das BCCM-Team schafft es immer wieder, seine Teilnehmer zu überraschen. Die größte Überraschung in diesem Jahr war wahrscheinlich ein knallroter Wells Vertige - ein Mittelmotor-Sportwagen im Stil der TVR-Leichtbauwunder, den Robin Wells vor knapp einem Jahrzehnt schuf. Der Wagen hatte sein öffentliches Debüt beim Goodwood Festival of Speed 2021, und die anfängliche Auflage von 25 Stück war schnell ausverkauft.

Dieses Jahr führte das Roadbook die Teams über den Albulapass Richtung Lenzerheide, Davos, Klosters und über den Flüelapass und Zernez zurück ins Engadin, bevor sie St. Moritz erreichten. Der Anblick und der Sound dieser eleganten Grand Tourer, Roadster, Sportwagen und Limousinen auf den schönsten Bergstraßen der Schweiz waren geradezu filmreif, und der gute alte Fahrspaß und die Kameradschaft sind nach wie vor die Hauptgründe, warum die meisten Teilnehmer Jahr für Jahr zum BCCM zurückkehren. Am Ende gewann jedoch kein Billionaire Cruiser die Rallye, sondern ein schlichter, leichter und wendiger MG TB, gekonnt gefahren von Ferruccio und Tamara Nessi. Well done!

Am Sonntag versammelten sich die Automobile schließlich im Herzen von St. Moritz zum Concours. Die Jury unter Vorsitz von Marco Makaus, moderiert von JP Rathgen von Classic Driver und unterstützt von einer typisch schottischen Dudelsackkapelle, vergab die mit Spannung erwarteten Preise. Die „Best of Show“-Trophäe ging zu Recht an Thomas Henne für seinen wunderschönen Bentley R-Type Continental. Die Preise für die Autos, die am besten zum Thema „Milliardär“ passten, ging natürlich an die Besitzer der beiden Aston Martin Lagondas. Die neu geschaffene Ian Cameron Trophy, entworfen von Carl Gustav Magnusson und Andreas Thurner zum Gedenken an den verstorbenen Automobildesigner gleichen Namens, ging an Peter Kappeler und seinen Aston Martin DB2.

Interessanterweise war das Auto, das uns an diesem extravaganten BCCM-Wochenende am meisten begeisterte, kein gewaltiger Betntley oder Rolls-Royce, sondern ein echtes Marmite-Auto. Richard Gauntlett, der Mann hinter dem Meyers Manx Café, hatte den ultimativen britischen Geheimtipp mitgebracht: einen Frazer-Tickford Metro. Die Hot-Hatch-Version von MGs bescheidenem Stadtauto aus den 1980er-Jahren war von Aston Martins Karosseriebauer Tickford kreiert worden, die Leistung des Vierzylinders um 12 PS auf beeindruckende 80 PS gesteigert. Technisch gesehen der Großvater des Aston Martin Cygnet ,wäre der Frazer-Tickford Metro das perfekte Auto gewesen, um einen echten Milliardär zu bezirzen, der in den Schweizer Alpen gerade versuchte, unauffällig zu bleiben und seinen wohlhabenden Kollegen dennoch seine Kennerschaft zu demonstrieren. Wer weiss, vielleicht ist britisches Understatement ja doch noch nicht tot.

Fotos: Davide De Martis / Rosario Liberti / Pietro Martelletti