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Ein abgelehnter Bertone-Prototyp wurde das Vorbild von Alfa Romeos legendärem Spider

Er verfiel allmählich in einer Scheune. Dann wurde dieser schöne, von Franco Scaglione gezeichnete Giulietta Spider-Prototyp von Corrado Lopresto entdeckt und liebevoll in altem Glanz restauriert.

Mitte der fünfziger Jahre genoss Alfa Romeo den Erfolg der Giulietta-Sportwagen. Die Attraktivität war sogar so groß, dass Max Hoffman, damals der wichtigste Alfa-Importeur in den USA, die Marke um eine offene Version des Giulietta Sprint für diesem Markt bat. Alfa Romeo war anscheinend so von dieser Idee angetan, dass man auch sicher gehen wollte, ein Design anzubieten, dass den höchsten Ansprüchen genügen sollte. Also ließ man mit Pininfarina und Bertone zwei der berühmtesten italienischen Designhäuser um diesen Auftrag gegen einander antreten. Im historischen Rückblick wissen wir natürlich, wer dieses Duell für sich entschied: Der Welt wurden viele wunderschöne Giulietta Spider aus der Feder von Pininfarina geschenkt. Aber obwohl die Entwürfe von Bertone abgelehnt wurden, sollten die beiden Prototypen das ästhetische Vorbild vieler Alfa Romeo-Cabrios in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bilden. 

Pininfarinas Design war mit den runden Scheinwerfern zwar formaler, aber dafür zeichneten sich im Gegenzug die beiden von Franco Scaglione entworfenen Prototypen durch ihre Radikalität aus. Der erste der beiden Konzepte war in rot konfiguriert und unterschied sich von dem anderen Prototyp, den Sie auf diesen Fotos sehen, durch schmälere, spitzere Frontscheinwerfer und Heckfinnen ohne integrierte Rücklichter. Es war ein beeindruckendes Design, aber den Prototyp in Gold und weiß aus dem Jahr 1955 kann man nur mit „wow“ beschreiben, oder? Die beiden Prototypen zeigen zugleich den Einfluss ihrer luxuriösen amerikanischen Zeitgenossen und der wilden BAT-Konzeptfahrzeuge. Aber als beide Konzepte Hoffman vorgestellt wurden, galten sie als zu modern und zu schwierig für die Produktion – vor allem im Fall der von der Aerodynamik inspirierten Heckfinnen. „Die beiden Entwürfe waren für ihre Zeit hochmodern, geradezu futuristisch, zu futuristisch“, sagt Duccio Lopresto während er uns von der Geschichte des Fahrzeugs erzählt. „Sie befanden, dass das Auto kein kommerzieller Erfolg und viel zu teuer in der Herstellung sein würde.“ Nach dem die Produktion kein grünes Licht erhielt, wurden die beiden Prototypen getrennt: Das rote Auto mit Chassisnummer 0002 ging in die Schweiz, während dieser Prototyp mit Chassisnummer 0004 an Hoffman verkauft wurde.

Wir bewegen uns nun auf der Zeitachse vorwärts in die neunziger Jahre, als der junge Corrado Lopresto von einem seltenen Alfa hörte, der in der Sammlung eines Unternehmer parkte. Beide Männer hatten nicht wirklich eine Ahnung, was es mit dieser automobilen Erscheinung auf sich hatte. Was man gut nachvollziehen konnte, weil dieser Prototyp kaum noch das Auto erkennen ließ, dass seinerzeit aus Bertones Designstudio rollte. Die Duoton-Lackierung war durch einen zwar klassisch italienischen, aber bei weitem nicht so berückenden roten Farbauftrag überlagert worden. Das ursprüngliche Interieur in Creme und rot, das sowohl Chassis 0002 und 0004 teilten, war ebenfalls neu bezogen worden. Dennoch erkannte Corrado, dass es sich hier nicht um irgendeinen Alfa Romeo handelte. Duccio erinnert sich: „Mein Vater sah die Formensprache und ihm war klar, dass es ein besonderes Auto sein musste. Er kaufte es für praktisch Nichts – vielleicht nur ein paar Tausend Lira!“ Der Zustand des Prototyps war so ziemlich das Gegenteil der jetzigen, wiedergeborenen Ausstrahlung: So wie eben ein Scheunenfund aussieht.

Nachdem er dieses Auto erworben hatte, machte sich Corrado auf den langwierigen Weg, die Geschichte dieses Alfa zu recherchieren. Bei der Analyse des Lacks entdeckten sie Spuren von Gold, ein Hinweis auf ein früheres Leben als fahrbereiter Prototyp. Und als sie sich tiefer in die Historie dieses Fundstücks eingruben, kamen Bilder des Alfa vor einem Mailänder Händler 1956 zum Vorschein – in exakt der gleichen eleganten Farbkombination, die Sie hier sehen. Fast nicht zu glauben, aber als sie im Zuge der Restaurierung den Innenraum ausbauten, entdeckten sie unter den zwei Schichten des späteren Leders die originalen Sitze in Creme und rot. Die Lackierung musste zwar komplett erneuert werden, dafür war die Karosserie in erstaunlich gutem Zustand. Nur ein paar Stellen des Aluminium-Körpers an Front und Heck mussten überarbeitet werden. Insgesamt konnten beachtliche 80 Prozent des ursprünglichen Metalls konserviert werden.

Damals in den frühen 2000ern, als die Restaurierung sich ihrem Abschluss näherte, war Corrado Lopresto lange nicht so bekannt und renommiert wie heute. Die Vorstellung, dass ein relativer Newcomer ein Auto, das so bedeutsam für die Geschichte Alfa Romeos entdeckt und restauriert hatte, war für viele der etablierten Akteure im Restaurations-Business unfassbar. Obwohl Chassis 0002 ziemlich bekannt war, wurde die Existenz eines zweiten Autos stark in Zweifel gezogen. Aber nachdem die Geschichte dieses Autos nachverfolgt wurde und mit einer riesigen Sammlung an Dokumentationen zur Authentizität belegt werden konnte, gaben auch die eigensinnigsten Zweifler zu, dass dieser kleine Alfa tatsächlich echt ist. Der Moment, als der Kreis der Historie sich schloss, kam als Signora Garuti, die Frau des Erstbesitzers, ein halbes Jahrhundert später wieder auf diesen Prototyp blicken durfte.

Dieser Alfa Romeo von Bertone ist bis heute Teil der Sammlung Lopresto, ein integraler Teil der Familiengeschichte, der wesentlich den aktuellen Restaurationsprozess und dessen Philosophie prägt. Auf die Frage, wie sich dieses Auto mit den von Pininfarina gezeichneten Spider, die Bertones Prototyp aus den Geschichtsbüchern drängten, vergleichen lässt, schwärmt Duccio: „Es fühlt sich toll an und ist erstaunlich leicht. Franco Scaglione hat atemberaubende, wunderschöne Autos entworfen. Aber er war auch ein Mathematiker, denn die Linienführung folgt dem Goldenen Schnitt und war zugleich vom frühen Verständnis der Aerodynamik beeinflusst.“ Das Auto wird von einem 80 PS starken, 1,3-Liter-Vierzylinder angetrieben. Mit einem Radstand von nur 2,2 Meter und der Karosserie aus Aluminium ist es auch bemerkenswert leicht. „Vergleich mit einer serienmäßigen Giulietta macht dieser Prototyp viel mehr Spaß. Zar nicht so unterschiedlich, aber durch die Aerodynamik fühlt er sich richtig schnell an.“ Betrachtet man heute dieses kleine, zweifarbige Wunder, kann man sich gar nicht vorstellen, dass so ein hinreißendes Design abgelehnt werden konnte. Und wie die nachfolgenden Duetto Spider beweisen, konnte auch Alfa Romeo die Bertone Prototypen nur schwer ins Archiv verbannen. Kann man es ihnen verdenken?

 
Fotos: Kevin van Campenhout