Wir drehen zunächst das Rad der Zeit zurück, um zu beleuchten, weshalb Ferruccio Lamborghini den Herren Paolo Stanzani, Nuccio Bertone und Marcello Gandini seinen Segen gab, den Countach zu entwickeln. Der Ursprung des Projekts war eine Fehleinschätzung des Jarama, der als zu „normal“ für die ausgewiesen exzentrische Klientel der Marke wahrgenommen worden war. Um verlorenes Terrain zurück zu erobern, war es folglich nötig, etwas schockierend Avantgardistisches zu entwerfen.
Ferruccio atmete und lebte für die Genese des Countach und dessen Produktionsstart bis er sein Unternehmen an zwei Schweizer Geschäftsmänner verkaufte. Da er immer noch auf bestem Fuß mit seinem alten Team stand, nutzte er jede Gelegenheit, Sant'Agata zu besuchen. Verschiedene Male versuchte Verkaufsleiter Ubaldo Sgarzi, den Gründer davon zu überzeugen, sich einen Countach zuzulegen. Aber Ferruccio lehnte ab.
In 1980, als das Werk unter richterliche Aufsicht gestellt worden, konnte Sgarzi Lamborghini endlich überzeugen, sich einen Countach zu sichern – ein Exemplar, dessen Bestellung storniert worden war. Es war ursprünglich rot mit einem schwarzen Lederinterieur, aber Ferruccio ließ seinen Countach noch vor der Auslieferung weiß lackieren. Es war ein LP 400 S in „Low Body“-Ausführung mit der VIN-Nummer 112.1164.
Über viele Jahre nutzte Ferruccio seinen persönlichen Countach auf seinem Besitz in Panicarola nahe dem Lago di Trasimeno in Umbrien und auf seinem Weingut „La Fiorita“. Im April 1987 hatte 112.1164 einen großen Auftritt vor amerikanischen Publikum mit einem enthusiastischen Ferruccio am Steuer, der den Countach für die TV-Show „60 Minutes“ fuhr. Viele Besucher erinnern sich noch an Ferruccios kleines Museum, wo sein Countach und der Miura SV neben Weinkisten und historischen Traktoren seines Sohnes Tonino parkten.
Ferruccio starb am 20. Februar 1993 – seine Tochter Patrizia erbte das Weingut und den berühmten „Boss Countach“. Weil sie sich selbst nicht sonderlich für Autos interessierte, verkaufte sie dieses besondere Exemplar an einen Sammler, der ein großer Liebhaber der Marke und ein treuer Verteidiger von Ferruccios Kreativität war. Countach 112.1164 wurde anschließend bei Lamborghini von Camillo Razzionale restauriert, der dabei eine fantastische Arbeit ablieferte. Im Jahr 2011 lud mich ein diskreter Sammler ein, den „Boss Countach“ hautnah und mit eigenen Augen zu erleben. Was für ein Erlebnis! Zum Markenjubiläum 2013 wurde das Auto dann der italienischen Öffentlichkeit gezeigt.
In 2020 erhielt ich die große Ehre, einen neuen Käufer für diesen so symbolträchtigen Countach, Ferruccios legendär futuristischen Sportwagen zu suchen. Er befindet sich jetzt in den Händen eines anspruchsvollen und kenntnisreichen Sammlers, der nicht nur Ferruccios außergewöhnlichen Charakter verehrt, sondern auch die Autos, die er erschuf. Dieses kühne, geradezu schockierende Phänomen Countach betritt hier eine neue Dimension weit jenseits von Design und Leistung.
Vor der Auslieferung hatten wir uns verständigt, den Countach Iain Tyrrell, einem der führenden Experten der Marke, anzuvertrauen, um ihn für den neuen Besitzer vorzubereiten. Er entdeckte bei seiner Untersuchung einige kleinere Probleme, die dank seiner Expertise sofort gelöst werden konnten.
Dann kam der D-Day – delivery day! Als außerordentliches Weihnachtspräsent wurde Nummer 112.1164 in seinem neuen Zuhause angeliefert und reihte sich in der Garage neben seinen neuen Seelenverwandten ein. Die Emotionen sind nur schwer zu beschreiben, wenn man in diesem Schalensitz Platz nimmt und die Hände das Lenkrad und den Schaltknauf wie einst Ferruccio höchstpersönlich berühren! Für seine Verdienste einst als „Cavaliere del Lavoro“ ausgezeichnet – was uns Enthusiasten geschenkt wurde, bleibt unvergessen.
Text von Olivier Nameche. Fotos von Błażej Żuławski © 2021