Windige Finanzgeschäfte
Automobilmarken und finanzielle Instabilität gehen oft Hand in Hand, und so mancher Hersteller ist in den rund 150 Jahren, in denen Menschen Motoren in vierrädrige Mobile montieren, ins Straucheln geraten. Eine dieser Marken war Talbot-Lago, deren Niedergang durch den Eintritt des Italieners Antonio Lago deutlich hinausgezögert wurde. 1932 steckte Sunbeam-Talbot-Darracq (STD) in finanziellen Schwierigkeiten, doch das schreckte Lago nicht im Geringsten ab. Er überzeugte die STD-Direktoren, ihn für zwei Jahre zum Geschäftsführer von Talbot in Frankreich zu machen – mit der Option, das Unternehmen und seine Anteile jederzeit zum Wert von 1933 zu kaufen.
Als Lago 1935 schließlich seine Option ausübte, übernahm er die Verantwortung für eine alte Schuld von 500.000 Pfund, die STD aufgrund eines 1924 aufgenommenen Kredits noch bei der Bank hatte, mit der französischen Talbot-Fabrik als Sicherheit. Da die Schulden sowohl den Buchwert des Unternehmens als auch den der Immobilien überstiegen, akzeptierten die STD-Direktoren die Zahlung bereitwillig. Mit solch skrupellosen Finanzdeals gelang Lago schließlich die Übernahme, ohne auch nur einen Cent bezahlt zu haben. Zugleich begann er unter dem neuen Markennamen Talbot-Lago mit der Umstrukturierung des Unternehmens und reduzierte das Angebot auf eine vereinfachte Motoren- und Fahrgestellpalette. Gleichzeitig beauftragte er seinen Landsmann Walter Becchia mit der Überarbeitung des bestehenden 14-CV-Sechszylindermotors der Marke. Becchia verhalf dem Triebwerk nicht nur zu mehr Leistung, sondern ersetzte das veraltete, unsynchronisierte Dreiganggetriebe durch ein modernes Viergang-Wilson-Vorwählgetriebe, an dem Lago die Patentrechte hielt.
Zur gleichen Zeit machte ein weiterer, schon im Alter von drei Jahren ebenfalls nach Frankreich gekommener Italiener Karriere in der Karosseriebaubranche: Joseph Figoni, der in seinem Werk in Boulogne- sur-Seine ab 1927 mit Karosserien für Lancia und Alfa Romeo begonnen hatte. Er freundete sich mit Luigi Chinetti an – ein weiterer nach Frankreich gekommener Italiener, der damals die Alfa-Romeo-Niederlassung in Paris leitete. Für den auch als Rennfahrer aktiven Chinetti entwarf er einen aerodynamisch optimierten Alfa Romeo 8C 2300, mit dem dieser dann zusammen mit dem bekannten französischen Rennsport-Ass Raymond Sommer 1932 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewann. Auch im Jahr darauf siegte ein von Figoni designter Alfa an der Sarthe – diesmal mit Tazio Nuvolari als Partner von Chinetti. Mit einem Schlag war Figoni zur ersten Adresse in Rennsportkreisen avanciert – auf seiner Kundenliste fand sich das who-is-who der damaligen Piloten-Elite.
Gepolt auf Erfolge
Doch auch Anthony Lago knüpfte Kontakte zu dem ab Mai 1935 von Ovidio Falaschi – einem wohlhabenden Geschäftsmann aus der Toskana – in allen Finanzfragen unterstützten Karosseriebauer. 1934 besprachen sie ein Design für eine neue Baureihe mit wunderschön proportierten Karosserien. Als Folge stand auf dem Talbot-Stand des Pariser Salons von 1934 der Prototyp eines Cabriolets mit Figoni Karosserie. Auf einem Radstand von 295 Zentimetern und mit einem von Becchia verbesserten Dreiliter-Motor. Der Wagen erhielt die Bezeichnung T150 Grand Sport und war das Gesprächsthema der Messe. Plötzlich war Talbot in aller Munde.
Der T150 Grand Sport blieb rund 18 Monate lang in Produktion. Im Oktober 1936 präsentierten Lago und Becchia auf dem Pariser Saslon dann zwei neue Chassis: Zum einen den T150 C-SS, ein lupenreiner Sportwagen, angetrieben von Becchias neuer Vierliter-High-Performance-Version des Dreiliter-Sechszylinders und nur als „rolling chassis“ verfügbar. Zum anderen den T150 C, ausgerüstet mit demselben Motor, aber auf einem um 30 auf 295 Zentimeter verlängerten Radstand. Die zusätzliche Länge hatte zwei Vorteile: auf Wunsch eine Konfiguration als Vier- oder Fünfsitzer und – noch wichtiger - die Möglichkeit, besonders schöne und geschwungene Karosserien im damals angesagten „Stromlinien“-Design zu entwerfen. Der Dreiliter-Motor des T150C leistete mit einem Vergaser 100 PS bei 7400 U/min und mit drei Vergasern 110 PS. Was den Wagen im Vergleich zum 3,2-Liter-Delahaye, für Lago der Hauptkonkurrent, wettbewerbsfähig machte. Mit 78.000 Francs war der T150 kaum günstiger als ein Achtzylinder-Bugatti T57 und weitaus teurer als der Delahaye.
Ein sehr spezieller Auftrag
Nach seiner Zeit bei Alfa Romeo wurde Luigi Chinetti Handelsvertreter für Talbot-Lago und erhielt von seinem guten Freund Joseph Figoni die Exklusivrechte für den Verkauf von Talbot-Lago-Chassis mit „Teardrop“-Karosserien von Figoni et Falaschi in Frankreich. Von diesen zu den schönsten Autos aller Zeiten gehörenden „Goutte d’Eau“ (Wassertropfen)-Modellen sollen maximal 13 auf der 150 C-SS-Bodengruppe entstanden sein – und nur eines auf der des T150 C. Und dieses Auto mit Chassisnummer 90034 verkaufte Chinetti im September 1938 für die stolze Summe von 165.000 Francs an den wohlhabenden Bankier und Gentleman-Racer Antoine Schumann.
Schumann entschied sich für ein sportliches Figoni et Falaschi-Design ohne verkleidete hintere Radkästen. Sonst aber waren alle typischen Merkmale der Teardrop-Coupés vorhanden: ein geschmackvoller und stilsicherer Einsatz von Chrom, eine geteilte Windschutzscheibe, integrierte Türgriffe, eine doppelte Reihe seitlicher Lamellen auf der Motorhaube und elegant geformte Vorderkotflügel mit vertikalem Kühlergrill. Dank des verlängerten Chassis des T150 C wirken Figonis Linien am 90034 noch harmonischer und eleganter als bei seinen anderen Kreationen. Der Aufbau wurde dezent verfeinert, während das lange, abfallende Heck zur perfekten Ausbalancierung der Proportionen beitrug.
Auch die Ausstattung war sehenswert: Schumann entschied sich für eine damals seltene und teure dunkelblaue Metallic-Lackierung mit schwarzem Schimmer, während die Sitze und die Türverkleidungen mit tabakfarbenem Leder überzogen wurden, ergänzt um Holzverkleidungen rund um die Fenster und am oberen Armaturenbrettrand. Das Armaturenbrett selbst war in Wagenfarbe lackiert war und mit Jaeger-Instrumenten bestückt, Teppiche und Dachhimmel waren in einem zarten Grauton gehalten. Für die zweigeteilte Heckscheibe wurden sogar passende Vorhänge aus tabakfarbenem Leder angefertigt.
Schumann beließ es jedoch nicht dabei: Er orderte freistehende Scheinwerfer, die eine bessere Ausleuchtung boten als die voll integrierten Scheinwerfer der meisten Teardrops. Dazu ein Schiebedach und einen Schriftzug „Lago Spécial“ auf dem Kofferraumdeckel. Der letzte Schliff? Ein verchromter „Speer“, der sich vom vorderen Bereich der Motorhaube bis in den Türgriff zog, und auf dessen Höhe in einem gewagten, gegenläufigen Schwung nach unten bis in den Türschweller zog. Was zeigt, dass der Einsatz von Chrom und die Eleganz des Autos in direktem Zusammenhang standen.
Was konnte jemanden dazu bewegen, sich für solch ein atemberaubendes Modell zu entscheiden? Nun, Schumann steckte zu dieser Zeit mitten in einem hässlichen Scheidungsprozess, und nichts hilft so gut, über die Ex hinwegzukommen wie ein nagelneuer Sportwagen. Leider konnte Schumann diesen prächtigen Talbot-Lago nur kurz genießen, bevor der Einmarsch der Nazis in Frankreich im Mai 1940 den jüdischen Enthusiasten zwang, Frankreich zu verlassen. Zuvor versteckte er sein wertvolles Automobil aber noch an einem sicheren Ort. Floh dann nach Ägypten, erwarb seinen Pilotenschein und schloss sich der französischen Résistance an.
Grand Prix-Ehren
Nachdem Paris befreit und Schumann nach Frankreich zurückgekehrt war, behielt er 90034 – der den Krieg in nahezu perfektem Zustand überstanden hatte – bis Ende 1946 oder Anfang 1947. Irgendwann im Laufe des Jahres 1947 erwarb dann der Belgier Frédéric (alias Freddy) Damman, Besitzer der Oberbekleidungskette Magasins Butch, den Talbot-Lago, den er zuvor im Showroom der Brüsseler Garage Masuy bewundert hatte. Er lackierte ihn grau und meldete ihn 1948 zum 24-Stunden-Rennen von Spa an, das in jenem Jahr zugleich auch den inoffiziellen Titel „Großer Preis von Belgien“ trug. Chassis 90034 wurde in der Vier-Liter-Kategorie gemeldet und erhielt die Startnummer 92. Mit Damman und Beifahrer Constant Debelder am Steuer kam das Auto auf P11 im Gesamtklassement und gewann seine Klasse, was für ein zehn Jahre altes Auto nicht schlecht war.
Laut Dammans Tochter war 90034 das Auto, das er am meisten liebte – mehr als zum Beispiel mehrere exotische Ferrari. Der Talbot-Lago blieb 32 Jahre lang ein fester Bestandteil seiner Garage, bis er sich am 17. Juli 1979 schließlich von seinem wertvollen Talbot trennte.
Ein geschäftiger Unruhestand
Nach seinem einmaligen Einsatz auf der Rennstrecke und dem Abschied von Damman ging 90034 durch die Hände verschiedener Besitzer, beginnend mit Gaston Garino, der in der Hispano-Suiza-Werksttt in Bois-Colombes gearbeitet hatte, gefolgt vom Filmproduzenten Michel Seydoux und später Yves Rossignol, selbsternannter „Abenteurer“, der das Auto 23 Jahre lang behielt und es zweimal neu lackierte: zuerst zweifarbig und dann schlicht schwarz. Rossignol reiste mit dem Auto von Frankreich nach Südamerika, nachdem er eine Frau in Kolumbien geheiratet hatte, und kehrte mit dem Talbot mit Spitznamen „La Noire“ im Schlepptau nach Europa zurück, nachdem ihm seine Frau wegen seiner ständigen Geldnot den Laufpass gegeben hatte. Im Juli 2004 wurde Chassis 90034 an Marc Caveng verkauft, einen Sammler und Händler aus Genf, der den Zylinderkopf reparierte und die Ventile erneuerte. Rossignol strich den Verkaufspreis ein, war endlich nicht mehr mittellos und kehrte zu seiner Frau nach Südamerika zurück!
Bereits 2005 verkaufte Caveng 90034 auf einer Auktion in Monterey an John O’Quinn. Anschließend ging der schöne Franzose für eine umfassende Restaurierung an RM Auto Restorations. Die Karosserie erhielt einen neuen, leuchtenden Tiefschwarzlack, während das originale Tabakleder im gleichen Farbton erneuert wurde. Die originalen Holzverkleidungen wurden beibehalten und nur nachbearbeitet. Dank seines hervorragenden Gesamtzustandes sind fast alle Karosserieteile des 90034 original erhalten. Motor und Mechanik wurden sorgfältig aufgearbeitet. Nach John O’Quinns Tod im Oktober 2009 ging Chassis 90034 im August 2010 während der Pebble Beach Car Week an seinen heutigen Besitzer und befindet sich seitdem in der Obhut einer bedeutenden Sammlung an der US-Westküste. Nun sucht dieser wunderschöne Talbot-Lago T150 C ein neues Zuhause. Tragen Sie mit Ihrem Namen zur unglaublichen Geschichte dieses Talbot-Lago bei, der am 25. Mai auf der Broad Arrow Villa d’Este-Auktion unter den Hammer kommt. Zu einem Schätzpreis zwischen 4,5 und 6,5 Millionen Euro.
Fotos von: Robin Adams / Broad Arrow Auctions.