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Treffen Sie einen jungen Designer, der täglich ein Lancia Fulvia Coupé bewegt

Die meisten Twens wählen heutzutage Uber als bevorzugtes Transportmittel. Ganz anders der Designer Harry Wilson, der ein Lancia Fulvia Coupé der Serie 1 als Daily Driver nutzt. Wir trafen ihn, um mehr über seine italienische Liebschaft zu erfahren…

Harry Wilson ist ein junger Visualisierungskünstler aus Fribourg in der Schweiz. Nach einem vierjährigen Hochschulstudium in Automobildesign arbeitete er in der Autoindustrie für McLaren Automotive und Volvo. Danach war er zwei Jahre für den Sportartikelhersteller Scott Sports tätig, aber in dieser Zeit wurde ihm bewusst, dass seine wahre Leidenschaft den Oldtimern galt. Wie er selbst sagt: „Ich schätze einfach das alte Zeug". Die Liebe speziell zu automobilen Skulpturen der 1960er-Jahre animierte ihn, im Februar dieses Jahres den mutigen Kauf eines Lancia Fulvia Coupés der Serie 1 zu tätigen. Das auf der verkürzten Bodengruppe der Fulvia Limousine basierende Coupé wurde erstmals auf dem Turiner Salon vom März 1965 vorgestellt und gilt mit seinem grazilen Design als Meisterwerk des Designers Pietro Castagnero. Wie wir im folgenden Interview mit Harry erfahren haben, muss der Besitz eines solchen Klassikers für einen jungen Klassikfan in seinen Zwanzigern nicht so beängstigend sein, wie es klingt...

Harry, danke dass Du Dir Zeit nimmst, mit uns über Deinen zauberhaften Lancia zu sprechen. Ganz offensichtlich hast Du eine große Affinität zu klassischen Autos –wo rührt sie her? 

Vor vielen Jahren, genauer gesagt 2006, fuhr ich bei Regen mit dem Fahrrad durch mein Dorf, als ich dieses gurgelnde Geräusch hinter mir hörte. Und plötzlich fuhr dieser graue Aston DB9 mit cremefarbiger Innenausstattung vorbei. Ich fand ihn einfach wunderschön. 

Damals kamen mir Supersportwagen noch viel seltener vor. Als Kind zogen sie mich auch stark an, aber nachdem ich bis heute die Entwicklung all dieser Autos zu ihren aktuellen Generationen miterlebt habe, wird mir klar, dass es immer ein neueres, besseres Auto geben wird. Wenn ich also einen Schritt zurücktrete, denke ich, dass Autos aus den 1960er-Jahren und sogar aus den 1930er und 1920er-Jahren der Inbegriff von Design sind, alles war in perfekter Harmonie.

Diese Beobachtung können viele Menschen gut nachempfinden, vor allem, weil das Autodesign immer verrückter und extremer wird. Was hat Dich am Lancia Fulvia gereizt?

Die Fulvia ist die Art von Klassiker, die jeder kaufen kann. Sie sind nicht wahnsinnig teuer, und Lancia wusste damals wirklich, wie man ein tolles Auto baut. Zum Beispiel wurde der Motor in einem Winkel von 45 Grad eingebaut, um eine möglichst flache Schulterlinie zu erreichen. Da es sich bei meinem Wagen um eine Serie 1 handelt, wurde er lange vor der im Oktober 1969 erfolgten Übernahme durch Fiat gebaut. Daher gibt es im Innenraum noch viel Leder und Metall – im Sommer kann man sich daher die Hand am Schaltknüppel wirklich verbrennen!

Ich hatte das Inserat schon lange im Blick gehabt, zumal das Auto in meiner Preisklasse lag. Als ein Freund von der Uni zu Besuch war, haben wir es uns in den Schweizer Bergen zusammen angeschaut. Es war alles sehr idyllisch: die Aussicht, der Geruch von Benzin und Leder, und der Wagen war in einem SOOO guten Zustand! Dann sprang der V4-Motor an, ich ging auf eine erste Erkundungsfahrt, es war einfach ein tolles Erlebnis.

Die Fulvia wurde 1967 gebaut, also ein recht frühes Exemplar. Ein Serie 1 mit dem kleineren 1,2-Liter-Motor. Wie der größere Flavia hatten alle Fulvia neben Frontantrieb auch die damals sehr fortschrittlichen Scheibenbremsen. 

Mein Auto wurde neu in Turin von einem in der Schweiz lebenden Mann erworben. Er war bis zu meinem Kauf der einzige Besitzer und legte mit dem Auto rund 80.000 Kilometer zurück. Jeder warnt einen vor Rost, wenn man einen italienischen Klassiker kauft, doch habe ich bei diesem Wagen glücklicherweise fast nirgendwo Korrosion entdeckt. Bis auf die härtesten Wintermonate bewege ich ihn die ganze Zeit über.

Was sind die besten und was die schlechtesten Eigenschaften, die Du seit dem Kauf festgestellt hast?

Im April fuhr ich mit der Fulvia von der Schweiz runter nach Florenz. Es regnete die ganze Fahrt über, und da ein Serie-1.Modell nur ein Vierganggetriebe hat, war der Geräuschpegel auf den Autobahnabschnitten ziemlich hoch. Das Radio ist defekt, doch das macht nichts, denn der Sound des V4 ist herrlich, und auf der Autobahn würde man die Musik ohnehin nicht hören! Daher fahre ich in der Regel mit geräuschunterdrückenden Kopfhörern. 

In Italien, wo sie Autos wirklich noch lieben, haben mich immer wieder Menschen auf das Auto angesprochen. In Florenz haben uns die Polizisten durchgewunken, um vor dem Dom  Fotoaufnahmen machen zu können! Zaungäste der Szene hatten sichtbar Freude an der Fulvia. Der Wagen kam auf eigener Achse in sein Geburtsland. Man kann Spaß mit ihm haben — er ist zwar recht weich gefedert, doch dafür ist die Lenkung sehr exakt, was Fahrten auf kurvenreichen Strecken zum Genuss macht.

Aber es gibt auch ein paar Schwachpunkte. Das Kartenlicht, die Uhr und die Scheibenwaschanlage funktionieren nicht, doch die größten Probleme bereiteten mir die Bremsen. Die Scheibenbremsen sind für ein Auto aus den 1960er-Jahren zwar gut, doch eines Tages gab es ein Leck im System und Bremsflüssigkeit trat aus. Ausgerechnet, als ich mich bergabfahrend einem Zebrastreifen näherte. Ich drückte aufs Bremspedal, doch nichts passierte. Ich musste ausweichen und mit der Handbremse und Zurückschalten verzögern, was sehr haarig war. Noch am Tag zuvor waren wir über den Furka-Pass gefahren, und ich bin heilfroh, dass das Problem nicht da auftrat! Doch bis auf diesen einen Bremsenausfall – alles gut.

Welche Pläne hast Du für  nächstes Jahr? Sind irgendwelche aufregenden Touren in Planung?

Nächstes Jahr würde ich die Fulvia gerne nach Großbritannien bringen. Ich war vor ein paar Wochen zu Besuch bei meiner Familie, und ich glaube, die Fulvia würde sich auf britischen B-roads wirklich gut machen. Auch hier in der Schweiz, wo die Straßen so schmal sind und Geschwindigkeits-Übertretungen streng kontrolliert werden, ist es von Vorteil, ein kleines und relativ langsames Auto zu haben, denn man kann es wirklich genießen. Wenn man eine gut asphaltierte Straße findet, gibt es nichts Schöneres, das ist ein echtes Erlebnis.

Es ist schon komisch, die Fulvia ist für meine Freunde fast zu einer Nebenattraktion geworden. Wenn sie zu Besuch kommen, fragen sie immer, ob sie mal mit ihr rausfahren dürfen.

Ich habe auch mit einem Freund gesprochen, der ein Haus in Turin hat, und es wäre super cool, eine Pilgerreise zur alten Fabrik in Chivasso zu machen. Ich habe keine Ahnung, wie viel von ihr noch übrig ist, aber wir werden sehen.

Was würden Sie jemandem raten, der auf der Suche nach einer Fulvia ist?

Zuallererst sollte man nach einem guten Exemplar Ausschau halten; Rost ist definitiv ein großes Problem. Als Nächstes muss man natürlich eine Probefahrt machen. Es gibt immer Fälle von „was wäre wenn“, aber wenn man auf offensichtliche Anzeichen von „Pfusch am Bau“ achtet, sollte man keine Probleme haben. Vergewissern Sie sich, dass der Wagen eine saubere Historie hat. Viele Leute, die diese Autos besaßen, waren sehr stolz auf sie, sodass viele von ihnen immer noch in gutem Zustand sind.

Suchen Sie sich nicht das billigste Exemplar aus. Schauen Sie sich die mittlere Preisklasse an, und Sie werden etwas Gutes finden. Ich habe mich für einen Wagen der Serie 1 entschieden, weil er mit hochwertigeren Teilen wie einem echten Holzlenkrad ausgestattet ist. Die Serie 2 hat etwas mehr Leistung und ein Fünfgang-Getriebe, aber es gibt auch viel mehr Plastik. Wenn Geld keine Rolle spielt, würde ich mich auf jeden Fall für einen 1.6 HF entscheiden.

Es gibt so viel, was wir vom Fahren mit diesen klassischen Autos lernen können. Es gab keine Gimmicks; alles am Auto war unverzichtbar. Geplante Obsoleszenz gab es nicht, und das beweist die Tatsache, dass man so etwas wie eine Fulvia zu einem vernünftigen Preis kaufen kann. Das ist verrückt, denn damals war dieses Lancia Coupé teurer als ein Jaguar E-Type. Und ich glaube, Sie werden feststellen, dass die Verarbeitung etwas besser ist als bei dem, was sie in Coventry gemacht haben! 

Alles in allem ist das Beste an der Fulvia definitiv die Community. Denn es geht nicht darum, was man fährt, sondern warum man sich gerade für dieses Auto entscheidet. Wenn sie sich bei den Kaufmotiven sicher sind, dann ist es auch das richtige Auto für Sie!

Fotos von Alexis Bataillon

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