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Eine spirituelle Reise durch Kalifornien mit dem Rolls-Royce Cullinan

Staubige Straßen, hippe Hideaways, UFO Landeplätze und im Jahr 1962 stehengebliebene Städte – das alles erlebt man auf einer spirituellen Reise durch die Wüste Kaliforniens. Für unserer Autor Błażej Żuławski gab es für diese Tour nur ein passendes Auto: den Rolls-Royce Cullinan…

Schon lange bevor sie vor den Luxushotels dieser Welt posierten, waren Rolls-Royce extrem robust. Definitiv gab es in den 1920er-Jahren nicht viele andere Autos, die im höchsten Gang von London nach Edinburgh fahren und unbefestigte Alpenpässe überwinden konnten. Sowie – nach einigen Modifikationen – sogar als Panzerwagen („Armoured Car“) in Wüsten des Nahen Ostens eingesetzt werden konnten. 

Das mag zwar schon ein Jahrhundert her sein, doch zeigt sich, dass neben Jeep und Land Rover nur ein weiterer Autohersteller für sich in Anspruch nehmen kann, große Allradmodelle bauen zu können: Rolls-Royce. Was die Motorfachpresse nicht davon abhielt, die Ankündigung der Entwicklung des ersten Luxus-SUV der Traditionsmarke mit Missbilligung zu quittieren.  

Heute beweist der Cullinan, so wurde das Monster mit der Spirit of Ecstasy auf der Haube getauft, dass er genau das bietet, was der Markt verlangt. Daher kommt der große Verkaufserfolg des Autos für mich nicht überraschend.  Leider hatte ich zunächst keine Chance, den Cullinan im Rahmen der Fahrvorstellung zu fahren. Um so mehr fragte ich mich, ob es dem RR-Mutterkonzern BMW gelungen wäre, dem Auto dieses typische „Roller“-Feeling mitzugeben.

Was wäre besser für diesen Test geeignet, als eine Reise quer durch Südkalifornien. Eine Woche lang und auf einem der Kernzielmarke des Cullinan. Und dann noch in der düstersten Variante, die es gibt: der Black Badge-Topversion. 

Eine alte Wildwest-Stadt; Quarzberge, die kosmische Energie bündeln und weitere menschgemachte Wunderwerke wie der 1960 mitten in der Wüste errichtete weiße Dom Integratron; hippe Airstream Wohnwagen-Parks, Palm Springs, das Refugium für „Snowbirds“ und die High Society sowie ein Airbnb Retreat im Herzen des Yucca Valley, das von einem italienischen Prinzen, Filmregisseur, Musiker und Exzentriker geführt wird – ein Ort, wo Oberbekleidung optional ist und die Freiheit des Geistes vorgeschrieben ist. All das war auf meiner Reiseroute.  

„Es war ein schläfriger, später Abend, als ein Fremder in die Stadt ritt. Er war ganz in Schwarz gekleidet. Sein Hut, die strapazierfähige Lederjacke, die Stiefel und selbst sein Pferd waren so dunkel wie die hereinbrechende Nacht...“

Die Sonne war bereits hinter den umgebenden Tafelbergen untergegangen, als der Cullinan wie der einsame Reiter aus dem Wilden Westen in Pionieertown einrollte. In die 1946 errichteten Kulissen einer Stadt aus den 1880er-Jahren, die in über 50 Kinofilmen und TV-Shows der 1950er- und 1960er-Jahre zu sehen war. 

Nach der Monotonie des Interstate Highways gingen wir die kurvenreiche Canyonstraße, die hoch nach Pioneertown führte, mit viel Spaß an. Der 2,7 Tonnen schwere Cullinan behielt seinen Aufbau mit relativer Lockerheit unter Kontrolle und die für Rolls-Royce typische leichte Lenkung übertrug alles kompetent auf die Reifen. Ich war beeindruckt, wie agil sich dieser große rollende Kasten verhielt, wenn man ihn dazu anhielt.

Wir parkten am Rand der „Stadt“ und bewunderten die charmanten Gebäude, die – anders als man vermuten würde – nicht nur Fassaden, sondern wirkliche Gebäude sind. Es gibt Geschäfte, ein rustikales Motel, eine Kegelbahn, einen Saloon und sogar eine funktionierende Kirche! Die Geschäfte waren bereits geschlossen, doch eilten die Menschen zum berühmten Pappy & Harriet’s Pioneertown Palace Grillrestaurant und Musiklokal, in dem in der Vergangenheit Größen wie Paul McCartney, Robert Plant oder Arctic Monkeys &Lorde auftraten.

Der Himmel färbtr sich violett, dann blau und leuchtete dann mit Sternen auf. Die ersten Akkorde eines Countrysongs ertönten, immer dann verstärkt, wenn jemand zum Rauchen die Türen zum Restaurant öffnete. Mir fiel auf, wie der Rolls-Royce im direkten Vergleich mit den Chevy- und Ford-Pick-ups fast winzig wirkte. „Also ist er ja doch nicht SO groß“, sagte ich mir, ehe ich mich unter meinem eigenen Sternenhimmel – bestehend aus 1.344 Glasfaserlichtern – aus dem Staub machte.

„Keiner weiß es, es scheint, als hätten wir uns noch nicht lokalisiert“ 

„Sobald Du an Palm Springs vorbei bist und in die Wüste kommst, beginnen die Leute anders zu ticken als im übrigen Land“, schrieb einmal sinngemäß der 2018 verstorbene amerikanische TV-Koch, Autor und Moderator von Fernsehdokumentationen, Anthony Bourdain. Nach ein paar Tage an der Schnittstelle zwischen Mojave- und Sonora-Wüste stimme ich ihm zu.

Ein Freund erzählte mir, dass einige Menschen die Weite, die Leere und die Ruhe der Wüste nicht ertragen könnten. Zunächst mögen sie sie, doch werden dann ein bisschen verrückt – ihr Gehirn ist zu sehr an die konstante Stimulation eines normalen täglichen Stadtlebens gewöhnt.  

Mein kurzer Aufenthalt reichte nicht aus, um diese Seite meiner Natur zu erforschen. Ich konnte nur das nächst gelegene Ziel ansteuern: ein nahe Landers stehendes weißes Kuppelgebäude namens Integratron. Zwölf Meter hoch und entworfen vom Ufologen George Van Tassel, nachdem dieser nach eigenem Bekunden dazu den Auftrag von Besuchern des Planeten Venus erhalten hatte. Die ungewöhnliche Struktur sei laut Van Tassel (1910-1978) in der Lage, sich zu verjüngen, die Schwerkraft aufzuheben und Zeitreisen zu unternehmen. Es besitzt aber auch eine großartige Akustik, die Musiker und Künstler anlockt, die in dem weißen Raumschiff üben oder Konzerte geben. Wie der Cullinan so neben dem Integratron in der Mittagssonne stand, erinnerte er mich an ein anderes Science Fiction-Symbol: den Monolithen aus Stanley Kubricks Kinoklassiker „2001 - Odyssee im Weltraum“. Ich verließ das Gelände, mit der Erkenntnis, dass sich diese beiden Energien eher nicht vermischen würden. 

Auf den staubigen Straßen ohne Namen schaute ich nach Fotomotiven aus, wie den beeindruckenden Joshua Trees, die den Cullinan ebenfalls verzwergen. Dabei lernte ich die Offroad-Fähigkeiten des Cullinan zu schätzen. Unter anderem die Möglichkeit, auf felsigem Untergrund das Fahrwerk hochpumpen zu können. Da die Bremsen die einzige Schwachstelle sind, ertappt man sich dabei, die Bremsbalance nach vorne zu verlagern und die Fuhre dann wie in einem 1990er-Jahre Subaru in die Kurven zu werfen, um so unliebsame Untersteuerungs-Vorfälle zu vermeiden. 

Am Ende des Tages parkte ich den staubigen Rolls nahe eines kleinen und komplett aus Quartz bestehenden Hügels. Eine Stelle, die mir mein Freund als „Kraftort“ beschrieben hatte. Als ich kurz auf dem Gipfel stand, kam ich mir vor wie einer der drei Brüder aus der 2007 unter Regie von Wes Anderson gedrehten US-Abenteuerkomödie Darjeeling Limited. Doch ansonsten spürte ich bis auf das vom Fahren noch in den Adern zirkulierende Adrenalin absolut nichts. 

Ich ging den Hügel wieder herunter und genoss die letzten Sonnenstrahlen sowie ein alkoholfreies Bier aus dem bordeigenen Kühlschrank. Das mag nicht sehr spirituell gewesen sein, doch war zumindest das Fahren inspirierend. 

Ein Gesprächsbeginn

„Warten Sie mal, haben Sie diesen Rolls-Royce in die Wüste gebracht“? Wir saßen im Wohnzimmer eines Hauses im Yucca Valley, das dem Filmregisseur Tao Ruspoli gehört. Die Frage kam von einem seiner Freunde, ein Gitarrist dessen Name ich nicht verstanden hatte. „Warum?“, fragte er. „Es schien die einzig plausible Location zu sein“, antwortete ich. „In Beverly Hills hätte er so gewöhnlich ausgesehen.“

Wir gingen alle nach draußen, um den Cullinan in Augenschein zu nehmen. Und die Jungs begeisterten sich an seiner schieren Opulenz – von den kristallenen Champagnerflöten, den Whiskey Gläsern und Karaffen über die gegenläufig und auf simplen Knopfdruck öffnenden Türen bis zu den beiden Ledersitzen, die sich auf der nach unten abklappenden Hälfte der Heckklappe aufstellen lassen und dann zusammen mit einem kleinen Tablett die so genannte „Viewing Suite“ bilden. Übrigens zehren diese im Unterboden verstauten Partysessel einen Großteil des Kofferraums auf, wodurch ich mich gezwungen sah, einige Gegenstände wie meine Kamera auf den Boden hinter dem Fahrersitz zu stellen. Zum Glück lenkt die beim Anlassen automatisch aus ihrer Versenkung auftauchende Kühlerfigur Spirit of Ecstasy von solchen kleinen Mankos ab. 

Als Spross einer prominenten italienischen Aristokraten-Familie baute Ruspoli sein Haus in ein freigeistliches Airbnb Retreat aus. Auf dem man je nach Gusto auf einer Yacht, einem Airstream Caravan, einem umgebauten Schiffscontainer oder einem benachbarten Haus wohnen kann, das komplett entkernt wurde und nun einen einzigen gigantischen Raum voller Licht darstellt. 

Das ausgedehnte Areal steht für den Geschmack und die Phantasie seines Erbauers. Man findet innen wie draußen Klaviere, zwei heiße Whirlpools, Panorama-Blicke, ein Rennboot aus Holz und einen 58er-Ford Thunderbird mit derangiertem Vorderkotflügel, den Tao mal an ein Mitglied der Thyssen-Aga Khan-Familie verkauft hatte. Es ist ein Open-Air-Museum, ein Hangout für Kreative und eine Vision, wie direkt inspiriert von der fiktiven Comic-Figur des „verrückten Hutmachers.“

Ein Ort, an dem ein so extravagantes Auto wie der Cullinan sich beißen sollte wie Feuer und Eis. Doch erstaunlicherweise war genau das Gegenteil der Fall– der Black Badge passte sich wunderbar ein. 

Er stellte auch seine größte Stärke unter Beweis: ein Gespräch zu provozieren. Jeder hier brachte eine interessante Rolls-Royce-Geschichte zum Besten. Einer schlug sogar vor, Tao möge sein tägliches Transportmittel, einen Sovereign Jaguar, gegen einen MkIII Silver Spur eintauschen. Der Cullinan mag sportlicher sein, als es mancher gern hätte, doch verströmt er auch diese typische Rolls-Royce-Präsenz, die jeder versteht. Er vereint Menschen, egal, woher sie kommen. Glücklich darüber, diese skurrile Oase kennengelernt zu haben, steuerte ich in die Zivilisation zurück. 

Was kann cooler als cool sein? Palm Springs! 

Das Haus auf 1070 E. Apache Rd. in Palm Springs wurde von den Architekten William Krisel und Dan Saxon Palmer entworfen. Seine olivgrüne Fassade und das weiße Schmetterlingsdach zählen zu den bekanntesten Werken der Wohnhausarchitektur aus der mid-century modern-Ära. Und das in einer Stadt, die ihre Vergangenheit als Amerikas modernistisches Mekka ständig neu entdeckt. „In Palm Springs ist man immer und ziemlich genau im Jahr 1962“, schrieb Kurt Andersen 2000 in einem Artikel für den New Yorker. Und er hatte recht. Doch sind es nicht nur die Wohnbauten, die Palm Springs die Aura einer Zeitmaschine verleihen.

Das Auto vor dieser Kulisse abzulichten, muss der feuchte Traum jedes Instagram Influencers sein. Ich selbst sann derweil über die kontroverse Optik des Cullinan nach. Doch abgesehen vom gelben Interieur, das ich nicht als Extra geordert hätte, mutet das Design gut proportioniert und „rund“ aus. Vielleicht verstärkt durch das Black Badge-Paket, das allen Chromschmuck abwirft und alles in eine uniforme schwarze Form gießt.  Doch ließ mich nur der Palm Springs Hintergrund so über die Ästhetik des schwarzen Prinzen denken? Schnell scrollte ich durch die in den Tagen zuvor aufgenommenen Fotos und kam zum Schluss: Verdammt noch mal nein, er sieht immer so gut aus. 

DNA unter Beweis gestellt 

Kommen wir zu einer Art Fazit. Nach einer Woche mit dem Cullinan und seiner Gegenüberstellung mit all diesen verschiedenen Hintergründen und Umgebungen, nach Fahrten über Interstate Highways, kurvigen Landstraßen und sandigen Pisten, kann ich sagen, dass dies ein echtes Rolls-Royce-Vollblut ist. Und Kalifornien ein verrückter Landstrich mit vielen Gesichtern. 

Er stellt seine Power immer so leise, komfortabel, luxuriös und mühelos bereit. Er entspannt Dich auf so vielerlei Weise – sei es der Kommandoblick auf die Straße, die weichen Sitze mit ihren mannigfachen Massagefunktionen oder das High-end Audio System, das beim Hören von John Barrys Thema aus Zulu (1964) mein Ego nur noch mehr wachsen ließ.  

Im Nachhinein hätte ich Ihnen auch ohne das ganze Abenteuer sagen können, dass der Cullinan würdig ist, das Rolls Royce-Wappen zu tragen. Ganz ehrlich, aber das wird schon nach 35 Sekunden hinterm Lenkrad deutlich. Man fühlt instinktiv diese gewohnte Leichtigkeit, die man nicht als fehlendes „Gefühl“ missverstehen sollte – vielmehr schwelgen die Gedanken im Rhythmus des typischen „wafting“ eines Rolls-Royce.  

Fotos: Błażej Żuławski für Classic Driver © 2020