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Boutique Bizarre: Die wildesten 80-Jahre-Tuner und ihre Opfer

Rund 30 Jahre ist es her, da überraschten uns Kleinserienhersteller, Frickler und Fummler mit einer Horde automobiler Sonderlinge. Classic Driver hat sich zu Ostern auf die Suche der bizarrsten und buntesten Mobile und Anbieter gemacht – und wurde fündig. Willkommen in unserer Boutique Bizarre!

Gemballa: Der Name sagt alles

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Erster Anbieter der Mode für den besonderen Anlass ist Uwe Gemballa. Der Schwabe begann seine durchaus ehrbare Karriere 1981 mit dem Einbau von Hifi-Anlagen und Ledersitzen in biedere Volkswagenmodelle. Nach den ersten, rund 52.000 D-Mark teuren Volkswagen-Jetta-Modellen war bei Gemballa genug Geld in der Kasse, um sich an die wirklich großen Aufgaben zu wagen. So wurden unter seiner Regie ab 1985 der Porsche 911 turbo zu dem Topmodell Gemballa Avalanche umgebaut. Dazu setzte Gemballa neben verändertem Karosseriedesign auch auf modernste Elektrotechnik. Ein Kamerasystem für rund 30.000 D-Mark ersetzte dabei die Rückspiegel und selbst für den Sportwagen gab es einen Kompressor betriebenen Kühlschrank im Fond. Neben diesem bis 1994 lediglich 13 Mal produzierten Fahrzeug bot Gemballa aber auch Mercedes-Fahrzeuge in seinem speziellen Style an. Testarossa-Kiemen, Ultrabreit-Reifen und vor allem jede Art von Elektrospielerei waren dabei seine Favoriten. Mit dem Ende der wilden Tuningzeit wurde es aber auch um Gemballa ruhig, bis die Firma Mitte der 90er nur noch vom alten Glanz zehrte. Uwe Gemballa versuchte sich in der Folgezeit zwar wieder im Autobusiness, wurde aber im Februar unter mysteriösen Umständen in Südafrika ermordet.

Koenig Special und der 1000-PS-Testarossa

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Die Magie von Form und Technik, so titelte 1989 die Pressemappe der Münchner Firma Koenig Special und konnte spätestens seit 1988 mit Fug und Recht behaupten, das schnellste Straßenfahrzeug der Welt im Programm zu haben. Während Kylie Minogues Should Be So Lucky aus den Boxen der Musikanlage schallte, machten sich 1000 PS im Koenig Competition Evolution an die Arbeit, den umgebauten Ferrari Testarossa binnen 3,5 Sekunden auf 100 km/h zu schnippen. Bei 370 km/h war dann Schluss mit dem Vortrieb. Eine Geschwindigkeit, die auch 1989 nur nachts auf freien Autobahnen möglich war. Etwas langsamer, wenn auch nur geringfügig, war der häufig bestellte Koenig Special Road Runner. Zahlreiche 911 turbo erfuhren in der Werkstatt von Willi Koenig die zweifelhaften Vorzüge der plastischen Chirurgie à la Koenig. Entstellt mit den Scheinwerfern des Porsche 928, riesigen Glasfaserspoilern und Audi 200 Heckleuchten, sorgten diese Fahrzeuge vermutlich nur im ewig Bonbonfarbenen Licht vor den 80er-Jahre-Großraumdiscos für staunende Bewunderung. Turbo und Kompressorumbauten, die Karosseriekits von Vittorio Strosek und eine riesige Anzahl von Detaillösungen der schrägen Art sorgten dafür, dass der vermeintliche automobile Conisseur der 80er Jahre immer fündig wurde. Wie viele automobile Raritäten sich dieser Spezialbehandlung erfreuen durften, ist nicht überliefert, aber auch heute noch bietet die Firma in zweiter Generation einen umfassenden Ersatzteilservice für die Kinder des Glam Pop an.

Autoconstruzione: Die teuersten Cabriolets der Welt

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Mit der Ersatzteilversorgung dürfte es bei dem Rolls-Royce-Veredler Autoconstruzione schon schlechter bestellt sein. Der vor allem in den späten 80er Jahren aktive Karosseriedesigner hatte es sich zur Aufgabe gemacht, noblen Briten das Dach abzuschneiden und somit viertürige Cabriolets anzubieten. Meist nur für wenige Kilometer im Jahr in Betrieb genommen, dürfte die katastrophale Karosseriesteifigkeit kaum einen der Kunden auf Ibiza oder in Miami Beach gestört haben. Doch vermutlich war es ein Segen, dass immer schärfere Zulassungsbestimmungen dem aufschneiderischen Treiben der in Italien beheimateten Karosserieschmiede ein Ende setzte. Letztlich dürften auch die Kunden angesichts des wenig schlüssigen Cabrioletkonzeptes mit einem festen Überrollbügel im Stil des Golf Cabriolet und fest stehenden Fensterrahmen schnell über den Verlust dieses Anbieters hinweggekommen sein.

Vantagefield of London: Könige der Wüste

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Ganz anders verhält es sich bei einem eher unscheinbaren Star der Szene: Vantagefield of London ist bis heute (seit 1982) im Geschäft. Dass damals wunderliche Conversionen von Range-Rover-Modellen in den Hallen entstanden, sei dem Zeitgeschmack geschuldet. Bemerkenswert dabei war vor allem die Cabriolet-Version des legendären Luxus-Geländewagens, die speziell für die arabische Kundschaft ihren eigenen Reiz hatte. Um genug Platz für die erlauchten Fondpassagiere zu schaffen, verlängerte Vantagefield sogar das Chassis. Ein 5,7-Liter-V8-Motor und zahlreiche Luxusextras rundeten das Paket ab. Wem das zu schlicht war, der bestellte einfach den Hummer in der Business-Version. Denn statt Rohrgestelle mit Stoffbespannung als Sitzgelegenheiten baute Vantagefield in den eigentlich für die Armee gedachten Offroader alles ein, was die Fahrt ins Blaue oder in die Wüste angenehm machte. Mit viel Fingerspitzengefühl gelang es den Engländern, auch nach Abflauen der Tuning-Ära den Betrieb am Laufen zu halten. Bis heute bietet Vantagefield neben zahlreichen Stretchlimousinen auch Sondereinbauten für Maybach und Daimler-Limousinen in allen erdenklichen Ausführungen an.

Boschert: Ein Flügeltürer, der nie abhob

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Weniger umfangreich war dagegen das Programm von Boschert. Kurz, es bestand eigentlich nur aus einem einzigen Modell, dem Boschert B 300, an dem Betrachtern alles irgendwie bekannt, aber dennoch fremd vorkam. Das lag daran, dass Entwickler Günther Boschert zwar originale Daimler-Benz-W124 für sein Projekt nutzte, diese aber mit der Front des Roadsters R129 verband. Damit die Proportionen passten, kürzte er noch den Radstand – und fertig war das etwas sonderbare aber sehr exklusive Coupé, dessen Karosserie bei Zagato in Turin gefertigt wurde. Der besondere Gag waren aber die optional angebotenen Flügeltüren, mit denen das Auto in Anlehnung an den legendären Gullwing SL ausgerüstet werden konnte. Doch statt der geplanten 300 Fahrzeuge gingen nur 11 über den Ladentisch. Kein Wunder, angesichts des unscheinbaren Auftritts und des Preises von mindestens 165.000 D-Mark.

Sbarro: Italienische Keile in Cocain White

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Weitaus teurer und auch auffälliger waren die Kreationen des Italieners Sbarro. Der hatte sich zur Hochzeit der Tuning-Ära dem seinerzeit in Milieukreisen äußerst beliebten Coupé des Mercedes W126 verschrieben und rückte dem eleganten Modell von Bruno Sacco mit reichlich Polyester aufs Blech. Markenzeichen der Sbarro-Produkte, zu denen auch ein getunter Golf I zählte, war vor allem die Veränderung der Front im seinerzeit populären Gitter-Style. Die ebenfalls in den 80ern hoch populären Flügeltüren durften natürlich auch nicht fehlen und so schlängelte sich so mancher Scheich von oben in die mit grellen Farben (bevorzugt waren Cocain White oder Glamour Red) ausgeschlagenen Innenräume. Sonderbare TV-Lösungen, Autotelefone im XXL-Format und der obligatorische Clarion-Hifi-Turm rundeten das Angebot ab. Bei Bedarf sorgten Turbolader und Kompressor für artgerechtes Vorwärtskommen. Auch wenn die Umbauten Franco Sbarro wirtschaftlich stärkten, spielt sich seine Hauptaktivität bis heute im Design- und Concept-Car-Bau ab. Zahlreiche interessante experimentelle Fahrzeuge belegen den Einfallsreichtum des Italieners.

B&B: Vom T-Top bis zur 44er Magnum

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Das Beste zum Schluss! Denn wem angesichts der Irrungen und Wirrungen der wilden 80er bis jetzt noch nicht ganz blümerant geworden ist, der erhält mit den Produkten der Frankfurter Edelschmiede Buchmann den ultimativen Kick. Die beiden Brüder Buchmann machten sich bereits 1979 auf, dem populären Porsche 928 zu Leibe zu rücken. Doch statt der erst später aufkommenden Flügeltüren kam hier das aus dem amerikanischen Pontiac Firebird bekannte T-Top zum Einsatz. Für 40.000 D-Mark verwandelte sich das von Anatole Lapine designte Coupé in eine sonderbare Stufenheck-Kreation mit zwei herausnehmbaren Dachhälften. Ein Rezept, was Buchmann wegen des großen Zuspruchs, später auch auf andere Stars der 80er anwandte. Vergoldete Armaturenbretter, Massen an elektronischen Spielereien und eine 44er Magnum als Zubehör unter dem Fahrersitz – nichts scheint angesichts der noch laschen Zulassungsbestimmungen in dieser Zeit unmöglich zu sein. Hauptsache es fällt auf und dem Kunden gefällt’s. Der Stromverbrauch der Kirmes-Elektronik ist mitunter so hoch, dass im Stand bei eingeschalteter Stereoanlage das Licht der Frontscheinwerfer schwächer wird. Wer allerdings die in der T-Bar untergebrachte Hifi-Anlage während der Fahrt bedienen sollte, blieb das ungelöste Geheimnis der beiden Brüder. Aber vielleicht wollten sie den Sound der 80er ja auch niemals mehr stoppen. Für die beiden Frankfurter ging jedenfalls die Zeit des mobilen Glam Pop 1986 zu Ende und sie entschlossen sich, ihre Tuningschmiede zu schließen.

Fotos: Hersteller / Privat