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Mit Camille Guikas im grünen Ferrari durch den Calanques Nationalpark jagen

Sie wuchs auf umgeben von den schillerndsten ikonischen Autos. Als sie klein war, spielte sie statt mit Puppen lieber mit Spielzeugautos. Und tatsächlich ist das nach wie vor eine Passion von Camille Guikas – nur sind die Modelle heute etwas größer.

„Ich trage nicht die richtigen Schuhe“, sagt Camille Guikas während sie das perfekte Hacke-Zehen-Ballett beim Runterschalten ausführt, kurz bevor sie mit dem Ferrari eine steile Haarnadel bergauf in Angriff nimmt. Der V12 mit 485 PS entfaltet eine wunderbares Brüllen, die Nadel des Umdrehungsmessers klettert nach oben und das Auto schießt nach vorn. Camilles Fuß befindet sich in einer hochhakigen Pantolette – nicht der optimale Fahrerschuh – und drückt kraftvoll das Gaspedal in den Teppich. Die Leistungsentfaltung des Ferrari ist so geschmeidig und weich wie die seidenen Nachthemden, die Kim Basinger in Filmen der achtziger Jahre umweht haben: Die Liebesszenen wurden damals von den Kameraleuten mit einer dicken Schicht Vaseline auf dem Objektivfilter gefilmt. Das Auto fühlt sich anscheinend auf dem bisweilen holprigen und kurvenreichen Band der Route des Crêtes ausgesprochen wohl – diese Straße führt an den atemberaubenden Felsen des Calanques Nationalpark hoch. „Ahhh, die guten alten Tage von Ferrari“, denke ich: „Elegant. Kraftvoll. Komfortabel. Manuell.“

Aber lassen Sie uns die Uhr etwa eine Stunde zurückdrehen, zum Zeitpunkt, als wir uns in der GTC-Zentrale getroffen haben. Camilles Vater Jean hat die Firma 1989 aus Liebe zu den Autos, die er beim Heranwachsen bewunderte, gegründet. Er stellte dann irgendwann fest, dass sie zu kaufen, sammeln und verkaufen mehr Leidenschaft bei ihm erzeugte, als der Handel mit Schiffszubehör – das frühere Business der Guikas-Familie, gegründet von Camilles Großvater, einem Einwanderer aus Griechenland.

Die nicht weiter gekennzeichnete Zentrale, die außerhalb von Marseille liegt, ist ein Ort, der die erstaunliche Guikas-Sammlung – wahlweise auch: Den Bestand -beherbergt und wo der Verde Inglese 550 uns erwartet. Übrigens das einzige Indiz dafür, dass in dem schlichten weißen Gebäude etwas mit Autos stattfindet, ein Areal, das zwischen Powerboat-Verkäufern eingepfercht ist. Camille ist in dieser Family Affair die Leiterin für Sales und Marketing, eine der wenigen Frauen, die diese Position in einer von Männern dominierten Welt innehat. „Ich habe noch nie ein einer Frau ein Auto verkauft“, antwortet sie auf die Frage. „Natürlich haben sie eine Stimme bei der Entscheidung des Ehemanns, aber nein, ich kann mich nicht an eine direkte Kundin erinnern. Andererseits hatte ich auch nicht den Eindruck, dass man auf mich herabsieht, weil ich eine Frau bin und diesen Job nur bekommen habe, weil ich die Tochter von Jean Guikas bin. Ich bin immer mit Respekt behandelt worden oder habe zumindest Hilfsbereitschaft erlebt.“

Das ist auch nicht überraschend, weil sich Camille wirklich gut auskennt. Wie bei den kleinsten Schülern der Jedi, fing ihr Training im Alter von fünf Jahren an. „Als kleines Mädchen wollte ich nur mit Autos spielen. Ich hatte natürlich auch Puppen und wenn kleine Freundinnen zu Besuch kamen, haben wir auch mit ihnen gespielt. Wenn ich allein war, habe ich meine Spielzeugautos auf dem Teppich aufgereiht und bin stundenlang in meinem Zimmer Rennen gefahren“, erinnert sie sich. „Mein Vater hat mir dieses Métier nicht aufgezwungen. Ich habe zwei jüngere Schwestern und obwohl sie den Unterschied zwischen einem Miura und einem Daytona kennen – eine besitzt sogar ersteren, fährt ihn aber nie -, hegen sie keinerlei Interesse für die Sammlerszene. Beide haben Karrieren und Lebenswege jenseits von GTC. Ich war einfach nur die einzige von uns dreien, die mit dem Vater zu Rennstrecken und Auktionen wollte. Als ich fünf oder sieben Jahre alt war, bin ich mit auch sonntags ins Geschäft gefahren, um beim Autowaschen zu helfen. Gleichzeitig habe ich dabei alles über diese Fahrzeuge gelernt und was sie zu Besonderheiten machte.“

Ich unternehme eine kurze Tour des Büro, in dem sich automobile Sammlerschätze befinden wie Ayrton Sennas Helm oder ein maßstabsgetreues Modell des Matra-Simca MS670 – das Lieblingsauto von Jean Guikas -, die Regale und Wände zieren und mit den Familienfotos und Aufnahmen der Töchter, als sie noch klein waren, einen wundervollen Mix bereiten. Die Familie ist dem Chef sehr wichtig. Kein Wunder also, dass er einer Tochter einen kostbaren Miura schenkte. Und, dass Camilles persönliche Sammlung, zu der mit einem, wie sie sagt, unverkäuflichen Mini Cooper S auch das allererste eigene Auto gehört, daneben ein ehemaliger V8-Defender der Feuerwehr und ein Panda 4x4 Meribel – Camilles Sonder-Remix eines Sisley und Val d`Isère Panda – zwei absolute Ikonen zählen. Der erste Schatz ist ein Ferrari 365 GTB/4 in Marrone Colorado, der zweite ein dunkelblauer Porsche 911 Speedster Turbo mit passendem Interieur und Dach. Den Elfer kaufte Jean als Neuwagen und schenkte ihn seiner ältesten Tochter in der Zeit, als sie noch Spielzeugautos auf dem Kinderzimmerteppich sausen ließ.

Während wir den 550 von den letzten Wasserflecken befreien, wobei Camille die Expertise vieler Wochenenden unter Beweis stellt, frage ich, ob wir statt dem Maranello mit dem Daytona ausfahren könnten, denn ich hätte noch nie in einem gesessen. „Ich hatte bisher selbst nicht die Gelegenheit, ihn zu fahren“, meint sie nachdenklich. Klarer Fall von Steine werfen, wenn man im Glashaus sitzt, denn gerade habe ich mich über die Schwester beklagt, die nie ihren Miura fährt. Aber ich bin nicht anders. Wahrscheinlich bin ich zu eingespannt. Menschen denken, ich führe ein glamouröses Leben, ständig umgeben von einzigartigen Automobilen und immer unterwegs zu Shows und Auktionen, die auf Instagram blenden aussehen. Aber in Wirklichkeit verbringe ich meine Tage hier am Schreibtisch“, fügt sie noch hinzu und wischt in breitem Bogen den letzten Rest des Quick Detailer mit einem Mikrofasertuch weg.

Zurück zur Route des Crêtes mit der Kennzeichnung D141: Wir fahren gerade durch eine Serie kleiner Biegungen, ehe vor einer sich verengenden Rechtkurve scharf abgebremst werden muss. Unter dem Gewicht des Motors taucht der Ferrari ein wenig ab, aber die Bremskraft ist ideal austariert – folglich fühle ich mich nicht verunsichert, als eine Felswand direkt vor der Front auftaucht, ehe der Ferrari einlenkt. Camille fährt ohne zu zögern, beherzt, beide Hände am Steuer, den Blick weit nach vorn gerichtet. „Ich war keines dieser Kids, die illegal mit 15 hinterm Steuer saßen. Aber als ich meine Fahrprüfung bestanden hatte, wollte ich es danach richtig erlernen. Ich verließ mich natürlich auf meinen Vater, schließlich hatte er an vielen klassischen Rennserien teilgenommen und sie gewonnen. Also fuhren wir zur Rennstrecke, wo ich beobachtete und ich war auch seine Zeitnehmerin auf öffentlichen Straßen, wenn er mich in unserem E46 M3 CSL zur Schule fuhr. Bei der rasanten Fahrt schenkte er mir viele Tipps.“ 

Ich frage nach ihrer eigenen Lust, Rennen zu fahren. Hat sie das Bedürfnis verspürt? „Ich habe ein kleines Fahrtraining in einem Monoposto-Formel Renault absolviert und ich habe einmal an der Tour Auto teilgenommen. Wie Sie wissen, gibt es dabei viele Gelegenheiten, flat out gegen die Uhr zu fahren, aber das Virus hat mich nicht gepackt. Wettkampf ist nicht mein Ding. Ich will lieber unvergessliche Erinnerungen und Erfahrungen mit Autos schaffen, aber nicht im Kontext eines Rennens. Einfach Momente mit Freunden und der Familie teilen. Deswegen würde ich nur zu gerne wieder an der Tour Auto teilnehmen, aber nicht, um zu gewinnen. Sondern um es mit meiner Schwester zu teilen. Weil sie ein Fan der Formel 1 ist, kann ich sie wahrscheinlich überzeugen.“

Wir biegen zu einem kleinen Parkplatz ab, der den Blick auf das türkisfarbene Gewässer des Mittelmeers eröffnet. Der Auspuff des grünen Ferrari tickt irgendwo im Hintergrund als Rhythmus der Synkopen. Die Grillen überbieten sich mit ohrenbetäubenden Akkorden. Was Camilles Wunsch nach unvergesslichen Momenten, die ein Auto bereitet, betrifft, ist dieser besondere für mich ganz weit oben angesiedelt.