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Unterwegs von Tokio nach London mit der kreativen Vordenkerin Mai Ikuzawa

Als schöpferische Außenseiterin in der Autoindustrie hat sich Mai Ikuzawa einen Namen als Vorstreiterin für Gleichberechtigung und als kompromisslose Enthusiastin gemacht. Classic Driver hat diese bemerkenswerte Frau besucht.

Als Tochter der japanischen Motorsportikone Tetsu Ikuzawa, wuchs Mai ganz buchstäblich auf den Rennstrecken von Japan und Europa auf. Anfangs wollte sie noch gegen das Autovirus resistent bleiben, aber mit soviel Benzin im Blut wuchs allmählich eine große Leidenschaft für die Autokultur. Diese Begeisterung in Verbindung mit ihrem kreativen Flair, ihrer lustvollen Kampfansage an Stereotypen und ihrem Talent, einfach Spaß zu haben, sorgten dafür, dass Mai eine bekannte Persönlichkeit der Szene geworden ist.

Mai Ikuzawa leitet nicht nur die international erfolgreiche Kreativagentur Bow Wow International, wo Stunt-Fahren sogar als Service angeboten wird, sondern ist eine passionierte Skiläuferin, die zwischen London und Chamonix pendelt. Wir treffen Mai in einer seltenen Pause in ihrem Londoner Stadtteil Battersea zusammen mit einem wunderbaren Lancia Aurelia B20 GT, der diese Woche bei Art Basel für Aufsehen sorgen wird. 

Was sind Ihre frühesten Erinnerungen ans Auto?

Ich erinnere mich eigentlich eher weniger an meinen Vater auf der Rennstrecke, als an die vielen Tage im Wohnmobil oder an die Stunden, die ich mit den Mechanikern verbracht habe. Damals besaß Motorsport nicht diesen Glamour, deswegen konnte ich mich jederzeit frei in der Boxengasse und in den Garagen bewegen. Vielleicht lag es daran, dass ich die Tochter meines Vaters war, aber die Mechaniker haben sich viel mit mir beschäftigt oder mir bei den Hausaufgaben geholfen.

Also muss Ihr Vater im Rennzirkus sehr beliebt gewesen sein?

In Japan galt der Namen Ikuzawa in etwa so viel wie Stirling Moss oder Jackie Stewart in England. Er wurde enorm respektiert, aber er war auch sehr eigensinnig und nicht besonders geschickt, was Eigen-PR betraf. Japaner neigen dazu, sich unterzuordnen und sind sehr höflich - möglicherweise hätte mein Vater eher den globalen Status anderer Rennfahrerpersönlichkeiten erreicht, wenn er sich tiefer verbeugt hätte. Davon abgesehen, denke ich, dass Rennfahrer von Natur aus zum Egoismus tendieren.

Blieb Ihr Vater in Europa, nachdem er seine Rennkarriere beendet hatte?

 Ich war vier Jahre alt, als mein Vater mit dem Motorsport aufhört. Aber er war noch viele Jahre Teil der europäischen Motorsportszene mit Basis in London. Motorsport war sein Leben, deswegen haben wir nie einen normalen Familienurlaub unternommen, sondern Stunden damit verbracht, seinen Motorenentwickler zu besuchen oder einen Zulieferer für Motorradteile. Zunächst habe ich es gehasst, weil ich ein Mädchen war und hübsche Dinge mochte. Aber im Lauf der Zeit habe ich diese besondere Ästhetik und die Kultur schätzen gelernt. Mein Großvater war Künstler - ich habe vermutlich seine kreativen Gene geerbt.

Und so kamen Sie nach London?

Mein Vater dachte, es wäre eine gute Idee, mich in einem englischen Internat unterzubringen. Also lebe ich seit meinem neunten Lebensjahr in England. In meinen Zwanzigern bin ich für ein paar Jahre nach Japan zurückgekehrt, aber ich fühlte immer, dass London meine wahre Heimat ist - hier ist alles viel stärker im Fluss. Sogar die Autokultur ist gänzlich verschieden.

Wie unterscheiden sich die Autoszenen von Tokio und London?

Die Japaner lieben Autos. In Asien sind sie sicher so etwas wie die automobile Leitkultur, aber es unterscheidet sich schon sehr stark. Hier in England sieht man, dass die Leute täglich mit ihren klassischen Autos unterwegs sind und deren Macken als Teil des Charmes auffassen. Aber in Japan muss alles perfekt sein. Autos werden geradezu manisch poliert und meist gelagert statt gefahren zu werden. Wenn ich in Tokio mit meinem Nissan GTR mit allen seinen Kratzern und Schrammen unterwegs war, hielten sie mich für einen Freak!

Wie alte waren Sie, als Sie Ihren Führerschein gemacht haben?

Es mag kurios klingen, aber mein Vater war dagegen, dass ich auf Strassen fuhr - er fand das viel zu gefährlich. Aber ich habe meine Prüfung in Großbritannien mit 18 Jahren gemacht, und mein erstes Auto war ein Smart. Ich erinnere mich nicht, ob mir ein bestimmtes Modell besonders gut gefallen hat, aber der Smart war so anders, als alles andere auf der Strasse, dass ich wohl deswegen einen gekauft habe. Es war aber die schlechteste Entscheidung.

Beschützen Sie Ihren Sohn auch so stark wie Ihr Vater das bei Ihnen gemacht hat?

Mein Lebensgefährte ist ein früherer Weltcup-Skirennläufer und war auch Mitglied der französischen Nationalmannschaft, außerdem war er in der Vergangenheit auch mal das Stunt-Double von James Bond - dieses Erbe steckt auch in meinem Sohn. Natürlich fährt er schon mit sechs Jahren ganz hervorragend auf Skiern und er liebt Autos. Mein Mann denkt allerdings, dass ich den Jungen einer Gehirnwäsche unterzogen habe. Mir würde es gefallen, wenn er nächstes Jahr aus Spaß ins Go-Kart steigt. Mein Vater kam letztes nach London und hat meinem Sohn als erstes ein Fahrrad gekauft.  Ich sehe das Muster meiner Kindheit.

Wie würden Sie Ihre vorlieben bei Autos beschreiben?

Ich bin wohl nicht der typische Petrolhead, der gleich unter die Motorhaube blickt und einem sagen kann, wie viel Leistung da steckt. Aber ich bin zuhause in der Welt von Menschen, die Autos lieben. Mein Geschmack ist sehr merkwürdig, ich mag auch nicht nur Sportwagen. Zur Zeit suche ich beispielsweise ein von Pininfarina entworfenes Honda City Cabriolet, außerdem habe ich gerade meinen knallpinkfarbenen Toyota Celica verkauft.

Von meinem Vater wird gesagt, dass er die Legende des Skyline begründete, als er einen Porsche 904 überholte, um die Führung im japanischen Grand Prix 1964 zu übernehmen. Als der neue R35 vorgestellt wurde, sorgte Nissan dafür, dass mir vorzeitig eines der ersten UK-Modelle ausgeliefert wurde. Ich fahre ihn immer noch!

Der pinkfarbene Celica ist eine Art Legende, nicht wahr?

Ich kaufte das Auto vor 15 Jahren, als ich als Beraterin für Automobilunternehmen anfing. Ich steckte in einem Dilemma, denn ich wollte nicht in etwas Langweiligem zu Business-Meetings vorfahren. Damals waren die „Fast & Furious”-Filme noch eine riesige Sache und somit war der Celica das perfekte ironische und parodistische Statement überhaupt. Er hatte nicht nur Scherentüren und Neon-Beleuchtung, er war vor allem ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich liebe Autos, weil man in ihnen fährt, so ihre Geschichte schreibt und sie sich schließlich zu einer Form von Haustier entwickeln. Dieses pinkfarbene Auto war alles andere als eine Augenweide, aber es wurde zum Medienstar und berühmt.

Was haben denn die Leute in Chamonix davon gehalten?

Sie verstehen dort nicht viel von Autos, deswegen hielt sich das Gerücht, es gäbe einen rosaroten Ferrari in der Stadt. Ironie der Geschichte: Ich habe es auf Instagram zum Verkauf gepostet und innerhalb von vier Stunden an einen Galeriebesitzer in Modena verkauft.

Tetsu Ikuzawa mag zwar Ihr Vater sein, aber Sie haben auch für sich einen großen Ruf als kreativer Kopf in dieser Industrie erworben. War es sehr schwierig?

Zunächst hat mein Namen Türen geöffnet, aber es freut mich, dass Hersteller auf mich zukommen, weil ich anders bin. Zum Einen, bin ich eine Frau. Ich lege einen anderen Augenmerk auf das Thema Auto fahren. Marken haben erkannt, dass sie ihren Fokus viel stärker auf Lifestyle und Genuss richten müssen. Petrolheads sind ihnen sicher, aber sie wissen noch nicht, wie man Frauen anspricht. Ich bin in Aston Martins ausschließlich aus Frauen bestehenden Beirat, um bei künftigen Planungen zu beraten. Das ist für ein so maskulines Unternehmen eine ganz große Leistung. Selbstständige Frauen mit hohem Einkommen sitzen nicht zuhause herum und fragen den Ehemann, welches Auto sie kaufen sollten.

Wie werden sich die Dinge in Zukunft verändern?

Die Autoindustrie muss sich verändern. Sie wird - wahrscheinlich mehr als die Finanzwelt - von Männern dominiert, hat aber diese Situation inzwischen erkannt. Sie müssen lernen zu verstehen, dass Frauen nicht unbedingt kleine, feminine Autos wollen - ich habe meinen Nissan GTR nicht verkauft, als ich Mutter wurde. Ich frage meine unabhängigen, vermögenden Freundinnen immer, welche Autos ihnen gefallen. Sie wählen immer das Unerwartete.

 

Wenn Sie die Chance hätten, Ihr perfektes Auto zu entwerfen, wie würde es aussehen?

Das Problem ist, dass es heute immer weniger um Genuss geht. Das Ziel der #Manual-Ausstellung meines Freundes Kenny Schachter bei der Art Basel diese Woche ist die Begeisterung und den Sex-Appeal von Autos zu zelebrieren. Jetzt geht es doch zunehmend um autonomes Fahren und Elektromobilität. Ich mag kantige Autos wie den Lamborghini Countach, Aston Martin Lagonda und Maserati Ghibli, deswegen würde mein Traumwagen scharfe, geradlinige und schlichte Linien besitzen. Aber ich glaube, es geht hier mehr ums Gefühl als um die Ästhetik. Der Reiz der Klassiker liegt doch auch darin, dass sie mit Sorge verbunden sind: Wird es anspringen? Werde ich mich verfahren? Wird es eine Panne geben? Mein Auto müsste diesen Spirit einfangen. Die Freude und die Freiheit, die man erfährt, erlebt man anscheinend nur mit Fahrzeugen der Vergangenheit. Wir werden ein kleiner Club sein, die der Nostalgie des echten Fahrens nachhängen werden - dieses Gefühl müsste mein Auto verkörpern.

Was sind Ihre Kriterien für ein Alltagsauto?

Japanisch, Alltradtechnologie - für Chamonix- und verlässlich. Japanische Autos waren immer Vergleich zu Europa immer die Underdogs. Deswegen bin ich deren große Verfechterin.

Fährt Ihr Vater noch Rennen?

Er ist in Japan bei einigen historischen Porsche-Rennen unterwegs und gewinnt immer wieder. Aber ich habe eine Theorie: Ehre ist so wichtig in Japan, dass es niemand wagen würde, Tetsu Ikuzawa zu überholen!

Fotos: Tom Shaxson für Classic Driver © 2017 / Historische Aufnahmen mit freundlicher Genehmigung von Mai Ikuzawa.

Weitere Informationen über Rove Cars #Manual-Ausstellung bei der Art Basel 2017, bei der auch diese Lancia Aurelia eine rolle spielt, finden Sie hier. Sie finden aber auch eine Auswahl an Lancia Aurelias zum Verkauf im Classic Driver Markt.