Der BMW 3er hat viele Gesichter: Working Class Hero, Markenbotschafter und Dauerbrenner, Vielseitigkeitswunder, Einstiegsmodell, Familienkombi, Sonnencruiser, Leistungssportler, Art Car, BMW-M-Ikone, DTM-Legende, Migrationshelfer und Integrationsmobil, Tuningopfer und Drift Car, automobiles Klischee und Traumwagen zugleich. Er ist der archetypische BMW, das Gegenstück zum Porsche 911 aus Zuffenhausen – bayerisch-bodenständig, und doch heiß begehrt. 1975 kam die BMW 3er Reihe auf den Markt, um die "Neue Klasse" abzulösen, die gerade ihr elektrisches Comeback feiert. Und der Dreier verkaufte sich von Anfang an blendend! Schon 1981 war die erste Million vom Band gerollt. Seitdem wurden mehr als 16 Millionen Exemplare gebaut und in aller Welt verkauft. Im Dreigestirn aus Dreier, Fünfer und Siebener stand der "Kleine" lange für Sportlichkeit, Design-Purismus und automobile Klasse zu überschaubarem Preis. Der BMW 3er läuft mittlerweile in siebter Generation. Und auch wenn sich die Vorzeichen der globalisierten Automobilwelt geändert haben und man für einen BMW M3 CS mittlerweile soviel bezahlen kann wie für einen Ferrari, ist der Dreier bis heute mit Abstand das erfolgreichste Modell aus München – und das schlagende Herz der Marke BMW.
Blaupause für den großen Erfolg
Zum 50. Geburtstag der kleinen Ikone hat mich BMW Schweiz und BMW Classic nach München eingeladen, um auf einem Road Trip zum Tegernsee einmal quer durch die Modellgeschichte zu fahren. Für uns bei Classic Driver sind vor allem die ersten drei Generationen interessant. So beginne ich mit dem BMW 323i der Generation E21 – ein auf den ersten Blick bescheidenes Auto, das in der Markengeschichte der Epoche zwischen CSL, M1 und den ersten BMW Art Cars etwas unterzugehen droht. Lackiert in schlichtem Silber, wirkt der Ur-Dreier neben seinen breiten Nachfolgern etwas fragil. Doch der Haifischgrill aus der Feder des großen Paul Bracq, die Doppelscheinwerfer und die schmale Kühlerniere haben die Designgeschichte der Marke so nachhaltig geprägt wie kaum ein anderes Modell. Das Design Museum in London feierte ihn jüngst sogar als eines von "50 cars that changed the world". Beim Einsteigen erlebt man die erste Überraschung: Die stoffbezogenen Sportsitze umschließen einen wie ein Handschuh und das gesamte Cockpit neigt sich dem Fahrer entgegen – eine wegweisende Innovation des ersten BMW 3ers.
Im August 1975 kam der BMW 3er zunächst als Vierzylindermodell auf den Markt. 1977 legte BMW jedoch mit zwei knackigen Sechszylinder-Variationen nach. Unser Auto aus den heiligen Hallen der BMW Classic ist ein BMW 323i aus dem Jahr 1979, dessen Motor mit einem vielversprechend sonoren Dröhnen erwacht. Und tatsächlich fährt sich das Coupé überraschend geschmeidig und kraftvoll. Vor allem auf den kurvigen Landstraßen zwischen Tegernsee und Walchensee zeigt sich, wie sportlich sich 140 PS anfühlen können, wenn sie einem Gesamtgewicht von nur 1100 Kilo entgegenstehen. Auch das Fahrwerk ist bemerkenswert straff und agil. Der berühmte BMW-Slogan „Freude am Fahren“ wurde zwar schon im Jahr 1965 eingeführt – aber mit der Laufkultur des Sechszylinder-Dreiers wurde aus dem Versprechen Wirklichkeit.
Auf das Coolness-Konto des E21 zahlt zudem ein, dass seine Rennstrecken-Inkarnation in Form des BMW 320 Gruppe 5 – vorzugsweise als Pop-Art-Car von Roy Lichtenstein oder im orangefarbenen Livrée von Jägermeister Racing – zu den faszinierendsten Rennwagen der 1970er Jahre gehört. Und egal, ob dieser BMW 323i zu seiner Zeit tatsächlich so fantastisch durchgezogen hat, oder ob die freundlichen Mechaniker von BMW Classic etwas nachgeholfen haben – ein wenig von diesem urtümlichen Racing Spirit meinen wir doch noch im Gasfuß zu spüren.
Ikone auf Umwegen
Der Umstieg in den BMW M3 der Generation E30, dem goldenen Kalb des Dreier-Kultes, fühlt sich – Überraschung! – zunächst gar nicht wie ein Upgrade an. Statt von Holz und Cordstoff ist man umgeben von gemasertem Hartplastik. Und die rund 200 PS Leistung, die unser rund 1,3 Tonnen schweres Cabrio mobilisieren, hören und fühlen sich zunächst weniger spritzig an, als Aggregat und Fahrwerk des Vorgängers. Wie viele Poster Cars der 1980er Jahre, wie beispielsweise auch der Ferrari Testarossa, muss auch der offene BMW M3 sein Gewicht einmal auf Touren bringen, bevor echter Fahrspass aufkommt. Fast noch mehr Freude als das Fahren selbst, das wegen der Dog-Leg-Schaltung ein wenig Eingewöhnung braucht, macht natürlich das popkulturelle Erlebnis: Der BMW E30 ist schließlich der Bilderbuch-Dreier, die große Designikone, der Verwandlungskünstler. Mehr als 2,3 Millionen Exemplare wurden zwischen 1982 und 1994 gebaut – darunter bescheidene Coupés wie der 316i und der muskulöse M3, aber auch die erste Touring-Variante und das erste, von Schweizer Kunden sehnlich erwünschte Modell mit Allradantrieb. Der BMW 3er der Generation E30 war bei Führerscheinabsolventen und Familienvätern genauso beliebt wie bei DTM-Rennfahrern und Gangster-Rappern. Und genau darin lag sein Geheimnis.
"Dare I squeeze three at your cherry M-3", reimte The Notorious B.I.G. im Sommer 1997 in seinem Hit "Hypnotize" auf allen ernstzunehmenden Radiostationen. Und auch wenn ich nicht in einem kirschroten BMW M3 durch Brooklyn rollte, sondern am Steuer des dunkelblauen 318i Touring meiner Mutter über süddeutsche Straßen tuckerte, fühlte ich mich dem Lebensgefühl jenseits des großen Teichs doch äußerst verbunden. Das Handschuhfach war prall gefüllt mit frisch kopierten Mixtapes, auf Beifahrersitz und Rückbank quetschte sich der halbe Freundeskreis – und wenn man die Panoramastraße über unserer Stadt ansteuerte und die Antenne auf dem Dach ganz nach oben rückte, konnte man Freitagabends im Radio sogar den französischen Sender Skyrock empfangen, wo DJ Cutkiller live aus Paris die neuesten Underground-Hits auflegte. Ich hatte den Führerschein erst kurz in der Tasche, und mein Beamer transportierte meine Freunde und mich tatsächlich in eine neue Realität. Wir fuhren nach Stuttgart, um The Roots live zu sehen und anchließend in der Radiobar bis zum Morgengrauen zu tanzen, oder nach Zürich zu EPMD in die Rote Fabrik. In diesen wenigen Sommern zwischen Jugend und Erwachsensein, zwischen Schule und Freiheit, war der BMW 3er unser Zuhause.
Eigentlich war der E30 natürlich schon 1990 von der Modellgeneration E36 abgelöst worden. Doch das kantigere Design ohne die typischen runden Doppelscheinwerfern hatte nicht das Charisma des Vorgängers – der mittlerweile von der Tuningszene großzügig aufgenommen und nach allen Regeln der Kunst verbreitert, tiefergelegt und mit reichlich Schwarzglas und Blaupunkt-Lautsprechern verschlimmbessert worden war. Der BMW 3er der Achtziger wurde in den Nachwendejahren zum Statussymbol der aufstrebenden Arbeiterklasse, zum Integrationshelfer "Made in Germany" zwischen Dönerbude und Fitnessstudio – und zu einem ehrlichen Botschafter der automobilen Völkerverständigung. Genau dieser authentischen Karriere vom Bestseller zum Underdog und zurück zum veritablen Museums-Klassiker verdankt der E30 seinen ungebrochenen Kultstatus. In der automobilen Familienaufstellung ist er der aufmüpfige, aber umso charismatischere Bruder des immer etwas zu glatten und angepassten Porsche 911.
Die reine Lehre
Schlüsselübergabe für den dritten Wechsel auf unserem Road Trip: Vom BMW M3 Cabrio steigen wir um in den BMW M3 GT der Generation E36, auf dieses Auto waren wir am meisten gespannt! Gestaltet von Pinky Lai – kurz bevor er zu Porsche welchselte, um den 996 und den Boxster zu entwerfen – ist der BMW 3er der Generation E36 ein für die Neunziger so typisches ästhetisches Mischwesen, mehr eierlegende Wollmilchsau als großer Wurf. Dennoch verkauften sich zwischen 1990 und 2000 rund 2,7 Millionen Autos der Baureihe. Erdacht als Homologationsmodell für den Renneinsatz, limitiert auf 356 Exemplare und ausschließlich in "British Racing Green" lackiert, ist der BMW M3 GT sicherlich das interssanteste und begehrenswerteste Auto der Generation E36. Auf den ersten Blick wirkt das dunkelgrüne High-Performance-Coupé mit seinem 295 PS starken Reihensechszylinder zwar wenig spektakulär. Doch wer genauer hinsieht, entdeckt Front- und Heckspoiler sowie aerodynamisch optimierte Außenspiegel – und zum Sterben schöne M-Doppelspeichen-Leichtmetall-Schmiederäder! Im Cockpit gibt sich das Sondermodell durch Amaretta-Sportsitze mit Nappaleder-Bahn in Mexicogrün, BMW-Motorsport-Embleme sowie Dekorleisten aus Carbon zu erkennen. Das Understatement zahlt sich aus: Sammler bieten für gut erhaltene Exemplare mittlerweile deutlich mehr als 100.000 Euro.
Auf der linken Spur der Autobahn verstehe ich auch, warum solche Summen durchaus angemessen sind: Ohne elektronische Fahrhilfen an Bord, dafür aber mit einem großvolumigen Motor unter der Haube, verkörpert der BMW M3 GT die "reine Lehre". Der überarbeitete 3,2-Liter-Reihensechszylinder nutzte Komponenten des späteren S50B32 und leistete dank 264-Grad-Nockenwelle ganze 295 PS, womit er in 5,9 Sekunden auf 100 km/h beschleunigte. Mit seinem kraftvollen Ansprechverhalten ab Leerlauf, dem Hochdrehzahlkonzept und dem charakteristischen Reihensechszylinder-Sound gilt das Aggregat zurecht als technisches Meisterwerk der 1990er Jahre. Das zeigt sich nicht nur in dem für ein 30 Jahre altes Auto beendruckenden Sprintvermögen und elastischen Durchzug beim Überholen, sondern auch im Sound: Der freisaugende Klang der sechs Zylinder dürften selbst Besitzer aktueller M3-Katapulte neidisch machen.
Für die Rückfahrt nach München setze ich mich schließlich in den BMW 330i Touring der Generation E46. Mit rund 3,3 Millionen zwischen 1997 und 2006 gebauten Exemplaren ist die Baureihe bis heute der Rekordhalter der BMW 3er Reihe. Mit ihm wurde der Dreier noch dynamischer, effizienter, sicherer – und digitaler: Erstmal gab es an Bord ein Navigationssystem mit Bildschirm und Bordcomputer, ein Multifunktionslenkrad und einen Parksensor. Der E46 war ein technologischer Quantensprung in der Mittelklasse – mit Fokus auf Fahrdynamik, Sicherheit und Alltagstauglichkeit. Viele Innovationen, die heute selbstverständlich sind, wurden hier erstmals in einem BMW 3er umgesetzt. Als Krönung erschien im Jahr 2003 der BMW M3 CSL als 360 PS starkes Sondermodell der Generation.
In seinen Reifenspuren ist heute auch der BMW M3 CS unterwegs, mit dem wir schließlich die Heimreise nach Zürich antreten. Mit Haifischgrill und Muskelpaketen rundherum, 550 PS, Achtgangautomatik, Allradantrieb und einer Beschleunigung von null auf 100 km/h in 3,4 Sekunden ist das Topmodell der neuesten Dreier-Generation ein technisches Wunderwerk, das es mit den rasantesten Sportwagen aufnehmen kann. Und doch ist es die leichtfüssige Sportlichkeit und kultivierte Eleganz der allerersten BMW 3er-Reihe, die mich an diesem Tag am meisten überrascht und beeindruckt hat. Weniger ist mehr, das gilt vielleicht auch für die berühmte Freude am Fahren.