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Magazin

Tanz auf dem Eis im neuen Porsche 911 Dakar

Nach der Absage des GP Ice Race wegen zu milder Temperaturen drohte der Januar trist zu werden. Bis ein Porsche Pressemann anrief und fragte: „Habt Ihr Lust, für eine Fahrt im neuen Porsche 911 Dakar nach Zell am See zu kommen?” Unser Reporter Błażej Żuławski ließ sich nicht zweimal bitten!

Um es gleich vorweg zu sagen: Vom Porsche 911 Dakar werden nur 2500 Exemplare gebaut. Und falls Sie noch keinen bestellt haben, könnten meine Eindrücke von einem kurzen Ausflug hinter das Steuer dieses besonderen Sondermodells dem am nächsten kommen, was es bedeutet, einen solchen Wagen zu fahren. Wenn Sie also Lust auf diese besondere Form der Folter haben, empfehle ich Ihnen, weiterzulesen, denn dieses Auto ist den Hype wert.

Porsche stellte den 992 Dakar im November 2022 als Hommage an die Rallye-Porsche der Vergangenheit vor. Seine Wurzeln reichen zurück bis auf Vic Elfords Monte-Carlo-Sieg 1968 in einem 911T – obwohl es bei den Rallyes damals mehr um Ausdauer und Gleichmäßigkeit als um Geschwindigkeit ging. Und noch stärker an auf die bei der Safari und bei Wüstenrallyes gestarteten Porsche 911, 953 und 959.Die Bezeichnung des neuen Allradwunders erinnert natürlich an das berühmteste Offroad-Abenteuer von allen, die Rallye Paris-Dakar, die Porsche 1984 mit René Metge als Fahrer und Dominique Lemoine als Navigator in einem 953 und zwei Jahre später – erneut mit Metge/Lemoine – im 959 gewann. 

Es sollte niemanden überraschen, dass Porsche auf seine Kunden hört. Und nachdem in den letzten Jahren eine Flut von eigenhändig modifizierten, gelifteten und geländetauglichen Modellen das Internet überschwemmt hat, haben sich die Zuffenhausener endlich zu Wort gemeldet. Eine moderne Neuinterpretation des 911er-Rallye-Rezepts war angesagt. Und Porsche hat sich die nötige Zeit genommen – nämlich  rund 10 Jahre, um das Auto, das wir heute sehen, zu perfektionieren. Um alles richtig zu machen, wurden 500 000 Kilometer auf der Straße und 10.000 Kilometer im extremen Gelände abgespult. 

Ich frage mich, ob wohl Jacky Ickx, der Porsche mit seinem Einsatz im Jahr 1984 von einem Einstieg in die Dakar überzeugen konnte, wohl stolz auf diesen Wagen wäre? Schauen wir uns zunächst die Fakten an. Der 3,0-Liter-Biturbo-Boxer stammt aus dem Carrera 4 GTS und leistet 480 PS und 570 Nm Drehmoment. Der Sprint von 0-100 km/h dauert 3,4 Sekunden. Aufgrund der Konstruktion der Pirelli Scorpion All Terrain Plus-Reifen mit ihrem klobigen, 9 mm tiefen Profilmuster, den verstärkten Seitenwänden und der speziell für dieses Auto entwickelten Gummimischung ist die Höchstgeschwindigkeit auf 240 km/h begrenzt. Dennoch schafft der Dakar im Offroad-Modus problemlos 170 km/h, obwohl er dann 80 mm höher liegt als ein normaler 911 Carrera mit Sportfahrwerk. Wenn Sie also zufällig im Hinterland oder mitten in einem Wald in Alaska oder Norwegen leben, sollte dieser letzte Teil der technischen Beschreibung Ihre Aufmerksamkeit erregen.

Das ganze System ist unglaublich clever. Der Dakar liegt 50 mm höher als ein normaler Carrera, kann sich aber um weitere 30 mm anheben, wenn das Terrain mehr Bodenfreiheit erfordert. Apropos: Dank seines kurzen Radstands erreicht der Dakar Böschungswinkel, die denen herkömmlicher SUVs in nichts nachstehen. Und sein Rampenwinkel ist sogar noch besser. So kann er auf Dünen surfen wie Kelly Slater.

Mit dem neu programmierten Allradantrieb (Sperrdifferenzial serienmäßig, aber das System bevorzugt generell die Hinterräder), der Hinterachslenkung, der aktiven Wankstabilisierung PDCC und dem „Rallye Launch Control Mode“, der auf losem Untergrund mehr Radschlupf zulässt, meistert der 911 Dakar auch eine mit ein paar Sprüngen gewürzte Eispiste. Und das alles mit Standard-Winterreifen.

Da das Auto allen möglichen Torturen standhalten muss, benötigte der Unterboden zusätzlichen Schutz. Alle Kühlelemente wurden ebenfalls neu gestaltet, um Beschädigungen durch Kies oder Sand zu vermeiden. Der Dakar ist dennoch nur zehn Kilogramm schwerer als ein normaler Carrera 4 GTS, was den dünneren Scheiben und der umfangreiche Verwendung von Kohlefaser im Kofferraum und für die Motorabdeckung mit integriertem Spoiler (eine weitere Hommage an das Originalfahrzeug) zu verdanken ist. Die Sitze wurden direkt von einem GT3 RS übernommen, ebenso wie die Motoraufhängungen. Der Überrollkäfig im Fond ist anscheinend optional, aber auch wenn es ein bisschen lästig ist, seine Sachen hindurch zu quetschen, spendet er ein dringend benötigtes zusätzliches Sicherheitsgefühl. Schließlich handelt es sich um ein Rallyeauto, ein Überschlag ist also nicht völlig ausgeschlossen.

Es braucht keine Eingewöhnungszeit – von dem Moment an, in dem man den Schlüssel dreht (natürlich auf der linken Seite), hat man sofort das Gefühl, einen Porsche 911 zu fahren. Auf der Straße scheint er sogar komfortabler zu sein als ein normaler Carrera, obwohl er im Rallye-Modus auf der Autobahn wie ein klassischer Citroën rollt, was manche als beängstigend empfinden könnten. Im Normalmodus, mit ausgeschaltetem Sportauspuff und dem 8-Stufen-PDK auf Vollautomatik eingestellt, cruist er ruhiger als das 911 Turbo S Cabrio, mit dem ich in Zell am See ankam. Es gibt Apple Car Play für die Fahrt zum nächsten Biwak und ein großartiges Bose-Soundsystem, falls Sie auf Ihrer Fahrt Paul Simons „Graceland“ hören möchten.

Aber wenn Sie den Sport- oder Rallye-Modus einschalten und sich auf eine gefrorene Piste begeben, beginnt ein ganz anderes Kapitel der Geschichte. Selbst auf spikelosen Pirelli-Winterreifen verwandelt sich das Auto sofort in eine Waffe. Es kann schnell fahren, wenn man es will – wie mir später Rallye-Legende Walter Röhrl bei einer Mitfahrt zeigte, sogar schneller, als wir Normalsterblichen erwarten können. Aber es liefert auch ein großes „F“: für „Fokus“ und „Fahrspaß“. 

Die meisten modernen Autos, einschließlich der großen, teuren und „seriösen“ Autos von Porsche, fühlen sich ein wenig hygienisiert an und geben dem Fahrer das Gefühl, vom eigentlichen Erlebnis losgelöst zu sein. Bei diesem Auto ist das nicht der Fall. Wie der GT3 oder der Cayman GT4 verbindet er sich mit auf diese präzise Art und Weise, die den Fahrer instinktiv verstehen lässt, wie man ihn nur fünf Sekunden nach dem ersten Einsteigen in einen spektakulären Drift ums Eck treiben kann.

Es ist ein Auto, das Nicht-Renn- und Rallyefahrern wie mir hilft, ihr Gehirn neu einzustellen – man sucht nach etwas Grip auf dem verschneiten Teil der Kurveninnenseite, damit die Vorderreifen sich festbeißen können, und man versucht, die Masse des Autos optimal zu übertragen, indem man die Lenkbremse und das Gaspedal so betätigt, dass man perfekt von einer Kurve in die nächste übergeht, während man die ganze Zeit durch das Seitenfenster schaut.

Und alles, was man tun muss, ist, ihn in den manuellen Modus zu schalten, damit er einen Gang einlegt, das PSM (übersetzt: Please Save Me) auszuschalten und zu entscheiden, ob das Auto sich im Sport- oder Rallye-Modus am besten verhält. Ich persönlich bevorzuge auf einer glatten, eisigen Oberfläche die erstere Einstellung. Im Geiste verwandelt man sich dann sofort in Walter Röhrl, Björn Waldegaard, Jacky Ickx, René Metge oder Sobiesław Zasada, dem polnischen Rallyefahrer, dessen Teamlackierung von der Safari-Rallye 1971 jetzt als eine von drei Sonderfolierungen für den 911 Dakar zu ordern sind. Die beiden anderen erinnern an die Porsche Einsätze bei der Safari von 1974 (Waldegaard, blaue Längsstreifen) und – angelehnt an die ikonische Martini Lackierung – von 1978.

War also die Absage des GP Ice Race bedauerlich? Eindeutig ja, obwohl sich nun alle um so mehr auf die Ausgabe von 2024 freuen. Ich hingegen muss in einem früheren Leben irgendetwas karmisch richtig gemacht haben, damit ich als Entschädigung das heißeste Auto dieses Winters fahren durfte. Ich muss jetzt nur noch herausfinden, wie ich eins bekomme.

Photos by Filip Blank & Błażej Żuławski for Classic Driver © 2023