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EICMA 2011 in Mailand: Abseits eingefahrener Pfade

Auf der weltgrößten Motorradmesse EICMA in Mailand zeigt die Zweirad-Branche derzeit ihre neuen Modelle für 2012 – und überrascht dabei mit ungewöhnlichen und abwechslungsreichen Konzepten. Classic Driver hat sich auf der Messe umgesehen und präsentiert die „Best of Show“.

Wer nach dem Mobil der Zukunft sucht, kommt am Motorrad nicht vorbei: Leicht, wendig, sparsam, schnell – und das schon seit mehr als 100 Jahren. Auf der 69. EICMA in Mailand kann man derzeit beobachten, wohin sich die Branche orientiert – und welche Trends die kommende Saison bestimmen werden. Nachdem im Zuge der Weltwirtschaftskrise auch die Zweiräder ins Straucheln gekommen waren, sind es derzeit vor allem die europäischen Marken, die wieder zur alten Form gefunden haben – und mitunter auch darüber hinaus. Mit mutigen strategischen Kurswechseln und der Entwicklung neuer, mitunter revolutionärer Modelltypen jenseits der klassischen Typologie, aber auch durch die Rückbesinnung auf die eigene Historie haben sich Vorzeige-Marken wie BMW, Ducati oder Triumph vor die asiatischen Rivalen gesetzt. Gleichzeitig wird die Branche von kleinen Manufakturen und Custom-Workshops belebt, die hier auf der italienischen Herbstmesse wie Pilze aus dem Boden sprießen. Und auch die Außenwirkung hat sich verändert: Wurde man als Biker noch vor einigen Jahren automatisch der ewigen Bart-und-Leder-Szene zugeordnet, gilt Motorradfahren plötzlich als Style-Statement der Stunde. Ich bike, also bin ich.

Ducati
 

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Die größte Diva der Mailänder Show hatte wahrscheinlich auch die kürzeste Anreise: Die neue Ducati 1199 Panigale – benannt nach dem Viertel von Bologna, in dem die Traditionsmarke ihren Stammsitz hat – ist das Superbike der kommenden Saison. Bestückt mit dem völlig neuen Superquadro-V2-Motor mit eindrucksvollen 195 PS, dazu nur 164 Kilo leicht und auf dem neuesten Stand der elektronischen Rennsport-Technik, dürfte die Panigale kaum ernsthafte Rivalen haben. Anfang 2012 kommt die Ausnahme-Maschine als Basis-, Sport- und Tricolore-Version auf den Markt. Neben dem neuen Topmodell zeigt Ducati in Mailand auch das kleine Naked-Bike Streetfighter 848 und die Chromo- und AMG-Editionen des neuen, genreüberschreitenden Erfolgsmodells Diavel. Was darüber hinaus für die Zukunft geplant ist – und welchen Stellenwert die Markenhistorie dabei hat, verriet uns Ducati-Chef Gabriele del Torchio im Interview.

MV Agusta

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Die legendäre, aber recht kleine italienische Motorradmarke MV Agusta ist natürlich auch prominent in Mailand vertreten: Im glamourösen Marken-Pavillion kann man die neue F3 675 in voller Pracht bewundern. Das Dreizylinder-Superbike mit seinen namensgebenden 675 ccm Hubraum leistet aus seinem Rennsport-Triebwerk stolze 128 PS und generiert ein Drehmoment von 71 Newtonmetern, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei rund 260 km/h. Auf den Markt kommt die neue F3 zunächst als begehrenswertes Sondermodell „Serie Oro“. Die zweite wichtige EICMA-Premiere ist die MV Agusta Brutale 675, eine günstigere Naked-Bike-Alternative zum goldenen Prunkstück aus Varese.

Moto Guzzi

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Bei Moto Guzzi sind es die V7-Variationen, die uns mit ihrer gelungenen Mixtur aus Vintage-Chic und moderner Zweizylinder-Technik überzeugen. Neben der V7 Classic und der im Stil der Siebzigerjahre gestyle V7 Classic Cafe ist es vor allem die V7 Racer im klassischen Rennsport-Outfit, die wir als einen unserer Favoriten identifizieren. Neu bei Moto Guzzi ist aber auch die überarbeitete Geländemaschine Stelvio, die in Mailand als NTX 1200 8V zu sehen ist.

Husqvarna

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Bei Husqvarna treffen wir Adrian van Hooydonk, der als BMW-Designchef auch für die Produktgestaltung der schwedischen Tochterfirma verantwortlich ist. Die Marke wird gerade recht geschickt in der Nische zwischen Motocross und Straße positioniert, in Mailand überzeugt vor allem die Scrambler-Studie MOAB – eine Hommage an die Geländemaschinen der Sechziger- und Siebzigerjahre. Vor allem die berühmte Husqvarna 400, auf der Steve McQueen einst durch den Film „On Any Sunday“ fegte und die jüngst für 144.500 US-Dollar versteigert wurde, stand Pate für die Konzeptstudie mit ihren Stollenreifen, der langen Sitzbank und dem geraden und breiten Lenker.

BMW

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Was die großen und komfortablen Maschinen angeht, sitzt BMW seit Jahren fest im Sattel. Nun soll auch das zukunftsträchtige Scooter-Segment weiter erschlossen werden – schließlich sind im urbanen Verkehr weltweit kleine und schnelle Roller gefragt. Auf der EICMA präsentiert BMW zwei Scooter im Maxi-Format, den jüngeren C 600 Sport und den eher komfortabel ausgelegten C 650 GT. Beide sind mit neu entwickelten Zweizylinder-Motoren mit 647 ccm, 60 PS und 60 Nm Drehmoment ausgestattet und schalten über ein stufenloses CVT-Getriebe. Neben den Rollern zeigt BMW aber natürlich auch „echte“ Bikes wie das technische Update des Supersportlers S 1000 RR, ein Facelift des Roadsters F 800 R sowie verschiedene Sondermodelle.

Triumph

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Am Vorreiter BMW orientiert sich auch der britische Hersteller Triumph bei der Positionierung einer neuen Cross-Tourer-Maschine, der Triumph Tiger Explorer. Zudem ist in Mailand auch die R-Version des Naked Bikes Speed Triple zu sehen. Wie Husqvarna möchte auch Triumph vom derzeitigen McQueen-Hype profitieren und zeigt die Steve McQueen Edition einer klassischen Bonneville T100, die an die TR6 aus „The Great Escape“ angelehnt ist. Der militärische Khaki-Matt-Lack steht der auf 1.100 Exemplare limitierten Maschine gut, der Sticker mit der Unterschrift des King of Cool auf dem Tank wirkt derweil etwas uninspiriert. Wer Steve McQueen als Geisteshaltung und nicht als Trademark versteht, dürfte hier ins Grübeln kommen.

Harley-Davidson

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Harley-Davidson gilt noch immer als Ikone der amerikanischen Bike-Bewegung – in Mailand präsentieren sie gleich vier neue Modelle für 2012 – darunter drei Modelle aus der Individualisierungsabteilung Harley-Davidson Custom Vehicle Operations, kurz CVO: Road Glide Custom, Street Glide Softail Convertible und Ultra Classic Electra Glide. Alle CVO-Modelle werden von einem Twin-Cam-110-Zweizylindermotor mit stolzen 162 Nm Drehmoment angetrieben, den es ausschließlich in dieser Serie gibt. Zudem ergänzen die V-Rod 10th Anniversary Edition und die Dyna Switchback Bagger das Modellprogramm.

Custommade in Italy: Borile, CR&S, Headbanger

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Die EICMA ist natürlich auch eine gute Gelegenheit für kleinere italienische Manufakturen, um sich der Welt zu präsentieren. Ein interessantes Konzept verfolgt etwa Borile – die Marke fertigt Road Scrambler und Enduros im Retro-Stil des Sechzigerjahre mit Ducati-Technik. Die Borile Bastard ist eine Serie von Aluminium-Rahmen für den On- und Offroad-Einsatz, die ohne Motor verkauft werden. Eindrucksvolle Maschinen baut auch die Mailänder Manufaktur CR&S, die handgefertigte Muscle-Bikes in limitierter Stückzahl produziert. Eindrucksvolles Zeugnis dieser Arbeit ist das Modell DUU: Das ist Mailänder Dialekt und bedeutet „Zwei“ – also zwei Liter, zwei Zylinder, zwei Sitze. Die italienische Harley wird derweil bei Headbanger Motorcycles von unzählbaren Stand-Girls gefeiert.

Electric Avenue: Brammo, Evolve, Zero Motorcycles

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Auch im Zweirad-Bereich halten die Elektromotoren Einzug. Vor allem in den USA scheint das Interesse an den alternativen Antrieben zu wachsen. Die 2002 gegründete Marke Brammo aus Oregon ist in Mailand gleich mit einer ganzen Elektro-Kollektion samt Rennmaschinen und Schnittmodell vertreten. Für das kommende Modelljahr werden die neuen Modelle Enertia Plus, Empulse, Engage und Encite gezeigt. Auch Zero Motorcycles aus Kalifornien bekennt sich zum emissionsfreien Ritt und zeigt Serienmodelle mit Elektroantrieb, die eine Reichweite von mehr als 100 Meilen versprechen. Auf den Show-Effekt zielt dagegen die Firma Evolve Electric Motorcycles, die im echten Leben Elektro-Scooter fertigen, in Mailand aber mit einem straßentauglichen Sci-Fi-Bike im Tron-Look die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen.

Scooterama: Vespa, Piaggio, LML

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Wir sind in Italien – also besuchen wir schlussendlich auch die großen Rollerhersteller, die von Mailand bis Palermo das Straßenbild und den urbanen Hintergrundsound dominieren, an ihren Ständen. Vespa setzt wie gewohnt auf Retro-Modelle. Heraus sticht vor allem das Quarantasei Concept, das sich auf den Vespa MP6 Prototyp von 1946 bezieht. Bei Piaggio setzt man derweil weiterhin auf den zeitgenössischen Scooter-Look. Eine Überraschung zum Schluss bereitet uns der indische Generalimporteur LML, der auf seinem Stand die klassischen Schaltroller aus buntem Blech wie die Smarties dargereicht werden – und wohl auch kaum mehr kosten.

Text & Fotos: Jan Baedeker