Wenn Sie im Jahr 2020 die Formel 1-Meisterschaft verfolgt haben, dann haben Sie wahrscheinlich eines von Yan Denes neuesten Kunstwerken bemerkt – und zwar auf dem Helm von Charles Leclerc, den die Zeichnung zum Jubiläum des tausendsten Grand Prix der Scuderia schmückte. Zu sehen waren 15 Weltmeisterschafts-Rennwagen der Scuderia und ein Porträt von Enzo Ferrari. Die Gesamtzahl der kleinen Kunstwerke entsprach mit 16 zugleich Charles Leclercs Startnummer. Für Yan Denes kam dieser Auftrag der Scuderia Ferrari einem Ritterschlag gleich.
Obwohl Yan für seine Zeichnungen und Gemälde von Ferrari-Rennwagen in vollem Tempo berühmt geworden ist, entsprachen sie nicht seinem ursprünglichen Berufswunsch: „Ich wollte schon immer ein Künstler werden. Vor allem liebe ich die amerikanische Minimal Art der sechziger Jahre. Aber ich muss zugegeben, dass ich seit meinem neunten Lebensjahr eine ganz große Liebe zu Ferrari pflege – ich erlebte damals eine Ferrari-Rallye auf Korsika, woher meine Familie stammt.“
Nachdem er an der renommierten Académie des Beaux-Arts studiert hatte, experimentierte Yan mit verschiedenen künstlerischen Stilmitteln, ehe sich das Zeichnen als seine präferierte Form durchsetzen konnte. „Ich schätze die sogenannten trockenen Techniken wie Pastellpigmente und schwarzer Stein, aber ich interessiere mich auch immer für Aquarelle. Das Papier ist für mich sehr wichtig. Ich benutze fünf oder sechs unterschiedliche Qualitäten – vom dünnen Papier, um Details gerade der statischen Szenen besser zu übertragen, bis zu dickeren Blättern für verwischte Zeichnungen.“
Obwohl ein großer Teil der privaten Aufträge von Besitzern moderner Ferrari-Rennwagen wie dem 360 Challenge, 430 GTE, 488 GT3 oder dem FXX bestellt werden, kennt man Yan tatsächlich vor allem wegen seiner Leidenschaft für die Darstellung historischer Motorsport-Szenen. „Für mich spielte sich die alles überragende Ära des Motorsports ganz klar in den sechziger Jahren ab. Für diese Werke greife ich mit Zustimmung der Fotografen auf Bilder aus jener Zeit zurück. Meine Freiheit besteht in der Wahl des Ausschnitts. Ich mag Rennwagen, und wenn sie Makel haben, dann sind auch die auf meinem Bild zu sehen.“
Yan Denes ist unbestreitbar ein Virtuose, wenn es um die zeichnerische Erfassung von Geschwindigkeit und Bewegung geht. „Mein Vorbild, mein Meister, ist Leonardo da Vinci – für Zeichner ist wegen seines unerreichten Umgangs mit Unschärfe und Bewegung er die höchste Referenz. Diese Komponente des Unbestimmten in Zeichnungen ist ganz wesentlich. Das erinnert mich immer an Picasso, der sagte: „Eine Zeichnung fertigzustellen – welch ein Horror!“ Genau darum geht es. Ich lasse immer einen Bereich, der verwischt ist, und eine Leerfläche. Es wird dann der Betrachter sein, der diese unausgefüllten Momente mit seinen Erlebnissen und seiner Geschichte anreichert. Eine Zeichnung ist nichts weniger als dies: ein Austausch, eine Begegnung.“
Um bildnerisch Geschwindigkeit umzusetzen, ist es für Yan „ganz wesentlich, Spiegelungen, Nuancen und Abstufungen im Geist von Geo Ham und Denis Sire, den ich kennengelernt habe, zu beherrschen. Sie meistern das sehr gut, finde ich. Der verwischte Bereich im Bild wird subtil mit verlaufendem Pastellpuder übertragen. In einer Rennszene liegt mein Fokus auf dem Auto und seinem Fahrer, das Publikum im Hintergrund erscheint verwischt.“ Diese sorgfältige und akribische Arbeit fordert ihren Zoll an Konzentration und Zeit, für manche Zeichnungen braucht Yan mehr als 25 Stunden.
Yan Denes ist aber zugleich auch begeisterter Porträtist. Jacqueline, Ehefrau des großen Piloten Jean-Pierre Beltoise, machte ihm das schönste Kompliment: Sie habe im Porträt ihres Bruders, des Rennfahrers François Cevert, sofort dessen blaue Augen wiedererkannt – obwohl es sich um ein Schwarzwei-Porträt handelte. Ein anderes bemerkenswertes Bildnis zeigt Ayrton Senna, gezeichnet am Tag seines Todes. Es steht allein für sich in Yan Denes Studio.
„Rund 80 Prozent meiner Kunden befinden sich heute im Ausland und haben mich durch die sozialen Plattformen kennengerlernt. Aber ich freue mich auch über Amateure, die zufällig meine Studio-Galerie in einem kleinen Dorf im französischen Haute Marne entdecken. Manche besuchen mich mit ihren klassischen Autos wie diese Dame, die mit ihrem Lamborghini Miura SV von der Schweiz nach London unterwegs war und dem Atelier auf der Durchreise einen Besuch abstattete. Doch, doch, ich mag Lamborghini und zeichne sie auch gerne. Gerade bin ich im Begriff, eine Zeichnung eines roten Lamborghini Miura SV zu verschicken.“
Um die Essenz des Motorsports einzufangen, hat Yan so viele Reisen wie möglich eingeplant. Er ist alles andere als ein Fremder bei den Challenge & GT Days am österreichischen Red Bull Ring, die von Heinz Swoboda organisiert werden und für die Yan das Veranstaltungsplakat entworfen hat. Einige der Teilnehmer zählen inzwischen zu den treuesten Kunden des Künstler und bitten ihn jedes Jahr um eine Zeichnung ihres Autos in den jeweils aktuellen Farben.
Dasselbe gilt auch für die Besitzer der historisch bedeutsamsten Ferrari, die Yan regelmäßig um exklusive Schöpfungen für ihre 250 GTO, SWB oder 750 Monza bitten. Deswegen ist Yan auch gerne bei Veranstaltungen des historischen Motorsports dabei. Sollte irgendwann wieder Normalität in diese Szene zurückkehren, dann dürften Sie den Künstlern in den Paddocks der nächsten Mille Miglia oder der Le Mans Classic entdecken. Auch Asien stünde potenziell in Yans Reisekalender, denn er arbeitet auch mit dem in Hongkong basierten Verlag Blackbird Automotive zusammen. Zu gerne würde er auch in naher Zukunft Japan erkunden – ein Land, das er immer wegen der dortigen Liebe zur Perfektion, zu Papier, Tinte und Fotographie bewundert hat.
Nach dem Ferrari-Helm will sich Yan nun an großformatigen Skulpturen versuchen. Aber bis dieses Projekt realisiert wird, darf man sich weiter auf exquisite Zeichnungen freuen, welche die goldene Ära des Motorsports feiern. Vor allem, wenn Ferrari eine Hauptrolle in diesen Szenen spielt.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2021