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Giorgio Moroder, Marcello Gandini und die unglaubliche Geschichte des Cizeta V16T

Denken Sie an einen Ohrwurm von Janet Jackson und mixen Sie sich einen kräftige Pina Colada. Denn heute nehmen wir Sie mit ins sonnige Miami und damit zum vielleicht verrücktesten Supercar der gesamten 1990er-Jahre: den Cizeta V16T...

Drei ungleiche Protogonisten stehen an der Wiege dieses unglücklichen 16-Zylinder-Einhorns. Der erste ist Claudio Zampolli, ein Ex-Lamborghini Ingenieur und -Testfahrer, der im „Motor Valley“ von Modena aufwuchs, dann aber nach Amerika ging, um sich mit seiner eigenen Firma auf den Verkauf von exotischen Autos an der amerikanischen Westküste zu verlagern. Doch irgendwann wurde es ihm wohl zu langweilig, denn er entschied sich, stattdessen seinen eigenen Traumsportwagen zu bauen. Er sollte all jenen, mit denen er sonst hausieren ging, weit überlegen sein. Alles was er noch brauchte war ein ebenso begeisterungsfähiger Finanzier. 

Bühne frei für Giorgio Moroder. In der Tat, der Gottvater der elektronischen Musik hatte Geschmack an Zampollis Vision eines das Segment rockenden Supercars gefunden. Bleibt – last but not least – Marcello Gandini, das Designwunderkind und Schöpfer solch unsterblicher Modelle wie Lancia Startos und Lamborghini Countach – um nur zwei seiner wichtigsten Entwürfe zu nennen. 

Zampolli hatte die Vision und das ingenieurtechnische Wissen, Moroder das Geld und Gandini ein fertiges Design in der Schublade. Es war ursprünglich für Lamborghini gedacht, wurde aber von den Chrysler-Oberen, die den wilden Stier vor dem finanziellen Ruin gerettet hatten, abgelehnt.  Nun, unter dem Banner von Cizeta-Moroder, machte sich das Trio an den Bau des definitiven Supercars. So war zumindest der Plan.

Sollte Zampollis Modell innerhalb der damals florierenden Supercar-Sphäre, die schon einen Ferrari F40 und Porsche 959 hervorgebracht hatte, ernst genommen werden, musste es technologisch Neuland betreten. Was dann auch geschah. Über einem Gitterrohrahmen aus Chrommolybdän-Stahl und Doppelquerlenker-Achsen vorn und hinten zog Gandini eine Hülle (bis auf das Dach aus Aluminium), die auf den ersten Blick aussah wie ein Lamborghini Diablo in niedrigerer Auflösung. Die in typischer Keilform ausgeführte Karosserie wurde gekrönt von extravaganten Details wie den aufgeschichteten Klappscheinwerfern. . 

Doch ist es das Heck, an dem die Dinge wirklich knifflig wurden. Denn Gandini sah sich zu größeren Änderungen gezwungen, um den Motor – einen aus zwei V8 zusammengesetzten V16 mit gemeinsamem Leichtmetallblock – quer einbauen und mit einem manuellen Fünfganggetriebe verheiraten zu können. 

Mit 1.705 Kilo war der Cizeta-Moroder kein Leichtgewicht, und eindrucksvoller als seine 540 PS waren vielleicht seine Innereien und Nebenaggregate: 64 Ventile, acht Nockenwellen, zwei Einspritzsysteme, vier Zylinderköpfe und zwei Steuerketten. Von 0 auf 100 km/h sprintete er in 4,5 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit soll 328 km/h betragen haben. Der Antriebsstrang war der ganze Stolz  Zampollis und lieh dem Auto auch seinen Namen:  V16T (T für transversale = Quereinbau). Leider hatte man darüber andere wichtige Dinge vergessen – zum Beispiel die Frage, wie man das Auto für den US-Markt homologieren könnte.

Trotz erfolgreicher Präsentation auf der Los Angeles Auto Show von 1989, auf der mehrere Bestellungen für das 650.000 Dollar teure Supercar getätigt worden sein sollen, zeigten sich schon bald die ersten Risse. Obwohl es eigentlich keine bessere Verkörperung für seine High-tech-Musik und seinen glamourösen Lebensstil hätte geben können, zog sich Moroder 1990 zurück und überließ Zampolli die alleinige Führung der kriselnden Edelschmiede. Ab da wurde auch das „Moroder“ im Namen des Autos gestrichen. 

Zwar bedeutete der Abgang des Musikproduzenten und gebürtigen Südtirolers noch nicht das Todesurteil für den V16T, doch war das Ende vorgezeichnet. Zampolli machte noch bis 1995 weiter, ehe auch er den Stecker zog. Am Ende entstanden mit Hilfe einer kleinen Gruppe von Ex-Lamborghini und -Ferrari-Ingenieuren in Modena in wunderbarer Handarbeit nur neun Exemplare. 

Das blaue Modell, das Sie hier in aller Pracht bewundern können, ist eines von diesen neun. In den letzten sechs Monaten führte der in Miami ansässige Classic Driver-Händler Curated Verhandlungen zum Kauf von  #101, dem sechsten Cizeta V16T, der das Werk verließ. Nach einem Auftritt auf dem Genfer Salon von 1993 war er im Auftrag des Sultans von Brunei zunächst an Hong Seh Motos in Singapur verschifft worden. 

Aus unerfindlichen Gründen kam der Cizeta aber nie in Brunei an, sondern blieb in seinem „wie neu“-Zustand und unangemeldet im südostasiatischen Stadtstaat stehen. Bis ihn John Temerian Jr. von Curated im Juli diesen Jahres dann erfolgreich an Land zog. „Wir verbrachten Monate damit, nach dem Auto zu forschen und organisierten eigens ein Interview mit Claudio Zampolli,” erzählte uns Temerian Jr. „Er hat Chassis #101 immer schon als seinen Lieblings-V16T beschrieben. Heute repräsentiert er fraglos den weltweit am besten erhaltenen Citeza, dank seiner einzigartigen Lackierung, des nahezu neuwertigen Zustands und der besonderen Vergangenheit.“  

Dass der V16T nicht den durchschlagenden Erfolg hatte, den sich Zampolli erträumte, steigert heute seine Begehrlichkeit eher noch. Auch, weil der Wagen sehr professionell zusammengebaut wurde und keineswegs jene hastig zusammengeschusterte Bastelbude ist, für den ihn manche damals fälschlicherweise hielten. Nachdem Gordon Murray und Peter Stevens den Citeza 1991 in Genf begutachtet hatten, schickten sie Zampolli einen persönlichen Brief, in dem sie die Qualität des Baus lobten. Eine wirklich hohe Auszeichnung. 

Mehr denn je erwecken seltene und ungewöhnliche Sportwagen aus der modernen Ära die Aufmerksamkeit jüngerer Sammler. Und Sie werden uns sicher zustimmen, dass wohl kaum ein Supercar aus dieser Zeit so selten und in jeder Beziehung extrem sein kann wie dieser. Wer weiß, wann sich noch einmal eine Gelegenheit zum Erwerb eines Cizeta V16T ergeben wird? 

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Curated © 2020 

Sie finden diesen Cizeta V16T von 1993 zum Verkauf im Classic Driver Markt gelistet, zusätzlich zu Curateds komplettem Bestand.