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Dieser Brabus ist eine rote Rakete nach Maß

Stellen Sie sich vor, Sie sind Pressechef einer der größten Tuningfirmen und könnten sich im Archiv aus 40 Jahren Geschichte bedienen. Würden Sie der Versuchung widerstehen, auf der Basis eines grandiosen Prototyps einen eigenen, leichten Rennwagen zu bauen? Sven Gramm von Brabus konnte nicht anders

Während der achtziger Jahre schufen schnelle deutsche Limousinen ihren ganz eigenen Nimbus: Der Mercedes-Benz 190 E und BMW M3 waren nicht nur bei den Deutschen Tourenwagen Masters enorm erfolgreich, sie sorgten auch für rege Verkaufszahlen. Ein schönes Beispiel für Ursache und Wirkung. Der große Zuspruch schenkte aber auch die Freiheit, kreativ werden zu dürfen. Immer häufiger tauchten unterschiedlichste Ausbaustufen und Varianten der Modelle auf, teils autorisiert vom Werk, teils in Eigenbau. Auch Brabus ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen und schuf 1988 den Prototyp Mercedes 190E Brabus 3.6S Lightweight - keine Klimaanlage, minimale Geräuschdämmung, keine Rücksitze, aber dafür ein auf 3,6 Liter Hubraum aufgebohrter Reihensechszylinder.

Die Kunden von Brabus wussten natürlich das wuchtige Brummen des Motors zu schätzen, aber nur wenige wollten auf den gewohnten Komfort verzichten. Grenzen zu überschreiten, bildete zwar das Geschäftsmodell des weltberühmten Tuners, aber man musste natürlich auch die Kundenwünsche respektieren. Also wurde die Rückbank wieder eingebaut und das Serienmodell erhielt auch wieder eine Klimatisierung. Der Prototyp wurde in seine Einzelteile zerlegt, auch seine Spezifikation war Geschichte - bis jetzt.

Im Jahr 2008 beschloss der früherer PR-Direktor von Brabus Sven Gramm, die große Leistung seines Arbeitgebers mit dem Bau eines eigenen Autos zu würdigen. Nun ging es darum, das richtige Modell für dieses Projekt zu finden. Da ihm das Archiv aus 40 Jahren Firmengeschichte offen stand,  entdeckte er im Laufe der Recherchen mit dem Brabus 190E 3.6S-Prototyp den idealen Kandidaten. Das war die Geburtsstunde des Autos, das wir hier vorstellen. Durch seinen besonderen Status im Unternehmen, konnte Gramm die übliche Warteschlange der Abteilung für Sonderanfertigungen überspringen und bat Brabus, den stillgelegten Prototypen neu aufzubauen. Aus den Serienautos von 1988 musste dann ein adäquates Basisfahrzeug als Grundlage des Projektes gefunden werden. Gramm hatte nochmals Glück, denn er konnte einen Fünfgang-190E 2.6 eines örtlichen Besitzers ausfindig machen, der das gute Stück regelmäßig von seinem Mercedes-Händler betreuen ließ. 

Dann kam der schwierige Teil der Unternehmung, denn man musste nach Originalteilen aus den achtziger Jahren fahnden. Aber das Ersatzteillager von Brabus erwies sich als wahre Schatzgrube, in der sich ein Frontspoiler aus der Epoche heben ließ, genauso wie Leichtbauräder, Bremsen und weitere Komponenten. Wo es keine Originalteile gab, ließen sich die ursprünglichen Gussformen auftreiben und die kollegialen Brabus-Designer halfen Gramm dabei, sie selbst von Hand zu bauen, wie beispielsweise den Heckspoiler. Obwohl es ein ursprüngliches Fahrwerkspaket von Brabus erhältlich war, hatte die technische Entwicklung auf diesem Gebiet im Lauf der 20 Jahre rasante Fortschritte gemacht. Gramm wandte sich deshalb an Eibach und Bilstein und bat sie um einen modernen Setup. Nach 10 Monaten war das Werk vollbracht, das Auto war fertig und erstrahlte in selbstbewusstem Signalrot.

Obwohl das Auto mit allen wesentlichen Motorsportspezifikationen wie Überrollbügel, Recarositzen, entsprechenden Sicherheitsgurten, Bodykit und Rennanzeigen ausgestattet war, hat es leider nur 9.980 Kilometer auf Uhr. Auf der Straße fleht das Auto geradezu nach raschen Gangwechseln, um dann auf einer Geraden zu offenbaren, was an Potenzial in ihm steckt. 

Ein Blick unter die Motorhaube verrät, warum dieser Brabus in den letzten 10 Jahren so enthaltsam gelebt hat - dort wird ein Kunstwerk enthüllt. Jedes Teil ist sichtbar, keine Kunststoffabdeckungen, alles ist auch noch auf Hochglanz poliert. Selbst die Nockenwellen und Brabus-Schilder wurden passend zum Exterieur in Signalrot lackiert.

Wie berechnet man wohl den Wert eines einmaligen Brabus 190E, der vom PR-Chef des Unternehmens in Auftrag gegeben worden war und gerade einmal 9.980 Kilometer Auflauf erhalten hatte? Eine Frage, die auch Lucas Hutchings von Classic Driver-Händler Image Automotive beschäftigte. „Die besten Limousinen werden immer Höchstpreise erzielen, denn sie gelten als Ikonen und es gibt doch noch eine ganze Anzahl am Markt”, erzählt er. „Aber bei einem Solitär wie diesem Brabus, findet man eben kein Vergleichsfahrzeug. Es ist schneller als ein 190E Evo II, der für 150.000 bis 200.000 Euro gehandelt wird, aber der Markt für Käufer eines solchen Autos ist viel exklusiver.”

„Der ideale Sammler dieser speziellen Autos ist jemand, der sie damals schon heftig begehrte - jemand, der sie in den Automagazinen bewunderte, toll fand und jetzt die finanziellen Mittel hat, um einen kaufen zu können. Der aktuelle Besitzer ist ein großer Mercedes-Enthusiast und hat eine umfangreiche Sammlung. Er war bei Brabus, um sich etwas anderes anzusehen, sah diesen 190E und kaufte ihn von der Stelle weg. Bei dem Kunden, der dieses Auto kauft, wird es genauso sein. Alle haben zur Zeit limitierte und sonderangefertige Autos auf dem Radar, was in der Vergangenheit nicht der Fall war. Wie man hier sieht, dreht es sich nicht immer um das teuerste Auto.”

Wenn Seltenheit, Zustand und Provenienz dieses Brabus Sie nicht schon längst überzeugt haben, dann müssen Sie einfach einsteigen, um selbst diese Urgewalt zu erleben.

Fotos: Tom Gidden für Classic Driver © 2018

Sie finden diesen Mercedes-Benz 190E Brabus 3.6S Lightweight von 1989 im Classic Driver Markt sowie den kompletten Bestand von Fast Classics