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In diesem französischen Museum ist der Mythos Matra noch lebendig

Versteckt in einer ländlichen Ecke des Loire-Tals verbirgt sich ein magisches und allein Matra gewidmetes Museum. Jene so innovative Marke, die das französische „Je ne sais quoi“ und den Geist einer goldenen Epoche des Motorsports so glaubhaft verkörperte. Ein Besuch war längst überfällig.

Das in einem ehemaligen, im frühen 20. Jahrhundert errichteten Fabrikgebäude des Kameraherstellers Beaulieu untergebrachte Museum Espace Automobiles Matra in Romorantin-Lanthenay ist ein geheimer Schrein des großen, leider nicht mehr existierenden französischen Autobauers. Und bis heute hat Matra für unterschiedliche Menschen ganz unterschiedliche Bedeutungen: Die einen denken an den ersten Familien-Van Renault Espace, den originellen dreisitzigen Bagheera oder den praktischen Rancho, einen frühen Vorläufer der heutigen SUVs. Die anderen an den coolen Formel 1-Piloten François Cevert oder an den die Trommelfelle malträtierenden Sound des Matra V12, der nicht nur Formel 1-Wagen, sondern vor allem jene blauen Flundern antrieb, die in den frühen 1970er-Jahren die Hunaudières-Geraden von Le Mans so schnell wie kein anderer durchpfeilten. 

Matra war noch während der deutschen Besatzungszeit als Flugzeug- und Rüstungskonzern gegründet worden und kam in den 1960er-Jahren dank des Ingenieurs und späteren CEOs Jean-Luc Lagardère neben Projekten für die Weltraumfahrt auch in Kontakt zum Motorsport. Lagardère sah darin eine Möglichkeit, das Image der Matra-Straßensportwagen zu veredeln und deren Produktion anzukurbeln. Sicher spielte dabei auch ein spezifisch-französischer Chauvinismus eine Rolle, zumal Matra ein halbstaatliches Unternehmen war. „Formel 3 um zu lernen, Formel 2 um sich abzuhärten und Formel 1 um zu gewinnen– Lagardères Plan war glasklar und seine Ausführung ohne Alternative. Mit Hilfe der Luftfahrtexpertise von Matra bauten die Ingenieure sehr fortschrittliche Chassis und schon 1969 gelang – zwar noch mit Ford-Power – der erste Formel 1-WM-Titel mit Jackie Stewart auf einem von Ken Tyrrell eingesetzte Matra MS80.

Das Juwel in der Matra-Krone war jedoch der legendäre Dreiliter-V12. Sein sonores Kreischen, das unüberhörbar das ganze Museum erfüllt, schmerzte die Zuschauer auf den Tribünen und kostete so manchem Fahrer das optimale Gehör. Doch selbst sie würden sagen, dass sich das Opfer gelohnt hätte – denn mit dem hauseigenen Motor im Rücken holten die kurvig gestylten offenen Matra zwischen 1972 und 1974 drei Mal den Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans und 1973 und 1974 zugleich die Marken-WM gegen Ferrari, Alfa Romeo und Mirage. Nur in der Formel 1, mit dem Matra MS 120, klappe es nicht so wie gewünscht: Da die Blauen abgesehen von Graham Hill, der 1972 zusammen mit Pescarolo in Le Mans gewann, fast nur französische Piloten wie Jean-Pierre Beltoise, Gérard Larousse und eben Henri Pescarolo beschäftigte, wurden sie und das ganze Team kurzerhand in den Rang nationaler Helden erhoben. Immerhin war der Sieg von 1972 der erste eines französischen Autos in der Sarthe seit 1950.

Dass eine Marke ohne vorherige Rennsporterfahrung binnen zehn Jahren insgesamt 124 Rennen gewinnen konnte, dazu drei Le Mans-Siege holte und als Chassishersteller zu Stewarts erstem WM-Titel beitrug, zeugt von der Hartnäckigkeit, mit der Lagardères Team immer wieder aufs Neue innovative Lösungen anstrebte und umsetzte. Obwohl Matra Straßenautos auch nach der Fusion mit der zu Chrysler gehörenden Marke Simca nie zu einem kommerziellen Erfolg wurden, sorgten sie doch aufgrund ihrer Exzentrik und ungewöhnlichen Fähigkeiten für viel öffentliches Aufsehen. Los ging es mit dem Matra Djet, einem Überbleibsel der von Matra aufgekauften Firma von René Bonnet; gefolgt vom M530, so benannt nach der von Matra entwickelten Boden-Luft-Rakete R350, dem Bagheera mit seinen drei nebeneinander angeordneten Sitzen und dem bereits erwähnten Rancho, im Grunde der weltweit erste Vertreter jener Gattung, die wir heute „Crossover“ nennen. Der Pressetext beschrieb den Offroader damals als ein „sehr bemerkenswertes Auto zu einem nicht bemerkenswerten Preis.“ 

Es gibt zu jedem dieser Modelle ein passendes Exemplar im Museum, dazu teils leicht abenteuerliche Konzeptstudien und Prototypen: Besonders beeindruckend sind die zwei Espace (von dem Matra später rund 800.000 Einheiten für Renault bauen sollte) – ein futuristischer Espider von Sbarro und der Espace F1 mit einem Zehnzylinder-Renault-Formel 1-Motor aus dem Williams-Siegerauto der Saison 1993 im Heck.  

Während unseres Besuchs trafen wir auch Museumsdirektor Bruno Lorgeoux, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, das Erbe von Matra zu bewahren und sicherzustellen, dass diese große französische Marke nicht in Vergessenheit gerät. Und das kann man nur begrüßen, denn jeder, der einmal das Glück hat, einen Matra V12 live gesehen und gehört zu haben – entweder damals in den 1970ern oder heute bei einem historischen Rennen – wird hingerissen sein. Zu seinen besten Zeiten beschäftigte Matra in Romorantin rund 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zuletzt den avantgardistischen Renault Avantime montierten.  Nachdem dieser beim Publikum nicht eingeschlagen war, schloss das Werk mangels anderer Aufträge am 27. Februar 2003.

Die Geschichte von Matra ist so grandios wie tragisch, auf den gewaltigen Erfolg folgte ein kompletter Absturz aus großer Höhe. Wir sollten Lagardère dankbar sein, dass er innerhalb dieses riesigen staatlichen Mischkonzerns auch die Motorsport-Sparte bediente und uns so einige der größten Rennwagen aller Zeiten bescherte, welche die französische Trikolore dann so nonchalant vor sich hertrugen. Das Museum Espace Automobiles hält die Erinnerung an diese Zeiten wach – ein Besuch dort ist absolut empfehlenswert. 

Fotos: Mathieu Bonnevie fur Classic Driver © 2018 

Das Espace Automobiles Matra in Romorantin-Lanthenay ist bis auf Dienstag täglich geöffnet. Sie finden weitere Informationen hier.