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Aufstieg der Restomods – plötzlich sind modifizierte Klassiker salonfähig

Die konservativen Geister der klassischen Automobilszene prahlen gern mit spektakulären Autos, die in wohl temperierten Garagen im Tiefschlag liegen und zum Schutz der Originalität nie die offene Straße sehen. Derweil tauchen immer mehr Restomods auf – ganz zur Freude ihre Besitzer.

Wölfe im Schafspelz

Individuelles Tuning ist ein jahrzehntealtes Phänomen in der Automobilszene. Was als Hobby und nicht selten auf dem Hinterhof begann, hat sich jedoch längst zu einem professionellen Gewerbe von Markenexperten entwickelt. War diese Entwicklung zunächst auf Neufahrzeuge beschränkt, nehmen sich mittlerweile in klinisch sauberen Werkstätten immer mehr Spezialisten auch der Verbesserung von klassischen Automobilen an. Eine Vorreiterrolle spielte sicherlich Singer Vehicle Design mit seinen bekannten Variationen des Porsche 911. Die Amerikaner schafften, das Thema aus den verschwiegenen Zirkeln der Sammler auf die Titelseiten von Fachmagazinen wie Top Gear und an die Posterwände einer neuen Fan-Generation zu bringen. Keine Frage: Der Ansatz, alte Autos nicht nur zu restaurieren, sondern sie zusätzlich zu regelrechten „Über-Klassikern“ zu pimpen, ist aktuell stark en vogue. Wer dem Braten noch nicht traut und Originalität für sakrosankt erklären, möge sich vorurteilsfrei diese beiden von uns ausgesuchten Modelle anschauen. Fotografiert in aller Pracht auf den sonnigen Landstraßen von Chichester. 

10/10 911

Es sind die Details, die ein Restomod von einem nur konventionell modifizierten Auto unterscheiden. Als Beispiel diene dieser Porsche 911 von 1971, der sein Autoleben einmal als braver 911 T 2.2 begann. Schon im Stillstand zeigen die von den ST-Modellen entlehnten Kotflügelverbreiterungen (natürlich aus Stahl) mit darunter verstauten, auf Fuchs-Felgen aufgezogenen Michelins, dass es sich hier nicht um ein gewöhnliches Tuning-Objekt handelt. Die Außenfarbe in Signalgelb verstärkt den Eindruck latenter Aggression zusätzlich, und eine Schlüsselumdrehung zerstreut dann auch noch letzte Zweifel, es könne sich nur um „einen weiteren 911“ handeln. Die biblische Eruption des auf 2,3 Liter aufgebohrten und mit Rennsport-Zylinderköpfen und -Schalldämpfern bestückten Motors erinnert an den Donnerhall von Rennlegenden. Es ist ein Sound, der in Häuserschluchten von den Wänden widerhallt. 

Der Teufel steckt in den Details 

Der von den italienischen Spezialisten von Nosgruppe in Monza und – für finale Details – Historika aufgebaute Elfer wirkt wie ein Greatest-Hits-Album von Porsche. Indem sich die Restomod-Zauberer quasi die Kirschen aus dem illustren Zubehörkatalog der Stuttgarter herauspflückten, entstand ein ultimativer und auf die Wünsche des Kunden maßgeschneidertes Gefährt. Vom hölzernen Schaltknauf im Stil eines Porsche 917 über den durchlöcherten Zündschlüssel und die Nürburgring-Plakette am Lüftungsgitter des Motors bis zu zeitgenössischen Schroth-Rallye-Gurten und im Pepita-Muster überzogenen Schalensitzen ist das Interieur ein Paradebeispiel für die Philosophie des „weniger ist mehr“. Zugleich ist die Verarbeitungsqualität weit jenseits von dem, was man vielleicht erwartet hätte. Was den Charakter des Autos nur noch weiter verstärkt, statt ihn zu verwässern. Auf kurvenreichem Terrain kommen dann auch noch das fein abgestimmte Fahrwerk und die fetten Reifen ins Spiel. Zusammen mit dem die Seele erwärmenden Soundtrack entsteht so ein Fahrerlebnis, das die Frage aufkommen lässt, wie man überhaupt noch ernsthaft über einen absolut originalen Klassiker nachdenken kann.

(Alfa) Romeo und Julia

Der zweite Vertreter unseres Traum-Restomod-Duos hört auf die Bezeichnung „GTA-R 009“ – die stärkste Mixtur aus dem in Bristol ansässigen Laboratorium der Alfa-Spezialisten von Alfaholics. Wie beim Porsche könnte man den ganzen Tag damit verbringen, sich über die Spezifikationen des auf Basis eines GT Junior „Step Nose“ Baujahr 1970 entstandenen Modells auszulassen. Doch ragen zwei Zahlen eindeutig heraus: das Trockengewicht von knapp über 800 Kilogramm und die Leistung von 216 PS. Die radikale Gewichtsdiät geht auf das Konto einer bis auf die Fronthaube komplett aus Aluminium gefertigten Karosserie, in deren Motorraum ein getunter Monza-Twinspark-Motor mit rot lackierten Nockenwellendeckeln installiert wurde. Die aus Kohlefaser gepresste Motorhaube ist an durchlöcherten Scharnieren aufgehängt – ebenso wie das „Autodelta“-Emblem an den Seitenflanken allein für sich schon ein wunderschönes Feature. 

Gehobene Eleganz

Das Cockpit atmet jede Menge Italianità: Wie das tiefrote Leder, das Nardi-Holzlenkrad, das Motorola-Radio, die Kippschalter auf der Mittelkonsole. Kombiniert wird alles mit modernen Annehmlichkeiten wie einer aus Aluminium gefertigten Pedalbox und einer Klimaanlage. Im Vergleich zum gelben Macho-Romeo bleibt der Alfa eine aufregende Julia. Dennoch ist die Diva begierig darauf, mit den Hufen zu scharren und für Unruhe zu sorgen. Was dank eines gründlichen Fahrwerks-Tunings und einer Servolenkung leicht möglich ist – wie uns der Besitzer anhand eines in Silverstone aufgenommenen Fotos zeigt, auf dem der kleine Alfa im abenteuerlichen Winkel um die Kurve fegt. Was den GTA-R mit dem 911 verbindet, ist das unglaubliche Charisma und der starke Charakter. Die Upgrades bringen die Essenz solcher Autos nur noch stärker zum Vorschein, ebenso wie ihre individuellen Charakterzüge. 

Zweierbund

Doch was verrät uns die wachsende Popularität der Restomods über den Zustand der Welt der klassischen Automobile? Laut Alfaholics sprechen vor allem Kunden mit einer sehr konkreten Wunschformel für ihr Auto bei den spezialisierten Firmen vor – basierend auf langjährigen Erfahrungen mit diesen Autos, ihren Stärken und Schwächen. „Wir restaurieren diese Autos seit 35 Jahren, darunter waren auch viele historisch relevante GTAs“, sagt Max Banks von Alfaholics. „Mit diesem Know-how im Hinterkopf wissen wir sehr genau, was den Reiz des jeweiligen Models ausmacht. Und wie man dessen Qualitäten weiter schärfer kann, ohne den grundsätzlichen Charakter zu verändern.“ Nick Morfett von Historika hat ein wachsendes Interesse aus Kreisen von Besitzern moderner Sportwagen beobachtet, die nun nach „etwas mehr“ suchten. „Diese Besitzer können ihren Supersportwagen im öffentlichen Verkehr nur bedingt ausfahren und nicht das volle Potenzial ausnutzen. Daher reizen sie solche Klassiker und das damit verbundene, sehr aktive Fahrerlebnis“, erklärt er. „Restomods sind dazu bestimmt, bewegt zu werden und die Kunden scheuen sich auch nicht davor.“ Der Besitzer unserer beiden Fotohelden ist dafür das vielleicht beste Beispiel. In seiner Garage stehen moderne Supersportler Seite an Seite mit klassischen Ikonen. Doch diese beiden Rabauken lassen sein Herz noch immer höherschlagen und stehen für den kleinen Wochenend-Ausflug immer ganz oben auf seiner Liste.

Fotos: Tom Shaxson for Classic Driver © 2017

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