Wenn man aus dem drittmeist frequentierten Bahnhofs Londons, der Liverpool Street Station, ins Freie tritt, durch die Sun Street zum Finsbury Square schlendert und dabei den Pulsschlag der Metropole spürt, kann man fast den kleinen Torbogen verpassen, durch den man eine der vielen versteckten Juwelen Londons erreicht. Die „HAC Grounds“, eine normalerweise für Militärübungen sowie Cricket-, Rugby- und Fußball-Spiele dienende Rasenfläche in Finsbury, die einmal im Jahr zugleich als ultimative Arena für den London Concours fungiert.
Der lockere Stil der Veranstaltung, die eine willkommene Mischung aus Klassikern, historischen Rennwagen und den aktuellsten Hypercars bietet, sorgt an alle drei Tagen (der heutige Donnerstag ist der Schlusstag) für eine stimmungsvolle Atmosphäre. Nimmt man die Treppe hinunter zum Hauptgelände, bietet eine Reihe von farblich aufeinander abgestimmten Exponaten einen idealen Startpunkt. Ging es im letzten Jahr darum, Grün wieder groß zu machen, war es dieses Jahr an der Zeit für „Purple Reign“. Und dazu hat das Londoner Concours-Team eine wunderbare Auswahl an purpurfarbigen Köstlichkeiten zusammengestellt.
Bei unserem Streifzug durch ein Meer von Lila-Tönen reichte das Spektrum von Klassikern aus den Swinging Sixties bis zu Modellen, die gerade erst die Werkshallen verlassen haben. Neben einem Porsche 911 Carrera 2.7 RS Touring in Lila, einem Aston Martin DB5 in Roman Purple und einigen Ferrari machte uns das Exponat einer anderen italienische Sportwagenlegende neugierig. Ein Lamborghini Diablo ist auf jedem Event ein gern gesehener Anblick, auch wenn er vielleicht im Schatten des Countach und des Miura steht und nicht so extrovertiert wie neuere Lambos vom Format eines Aventador daherkommt. Dafür ist sein eher dezentes Design besser gealtert als das anderer Vertreter seiner Ära und so war es eine sehr passende Idee der Veranstalter, gleich am Eingang einen SE30 Jota Seite an Seite mit einem weiteren Diablo auszustellen.
Während es in den verschiedenen Kategorien des London Concours – darunter Zagato, die Ikonen der Carnaby Street und Hypercars – jede Menge Schönheiten zu entdecken gibt – stießen wir im Bereich der V12-Legenden auf ein Unikat ganz eigener Art: das „Beast“ des 2022 im Alter von 90 Jahren verstorbenen John Dodd. Ein Rolls-Royce Kombi mit einem 1000 PS starken 27-Liter-Rolls-Royce-Flugmotor, 1977 im Guinness-Buch der Rekorde als „stärkstes Auto der Welt“ aufgeführt. Die Geschichte des von Rolls-Royce mit allen juristischen Mitteln bekämpften Ungetüms säumen Gerichtsprozessen, unbezahlte Rechnungen, Urheberrechtsansprüche und mehr Drama als in jeder Daily Soap Opera. Heute zeigt sich das Biest zumindest an der Front deutlich ziviler und geglätteter als das 2023 für 72.500 Pfund versteigerte Original-Modell – nur noch mit vier statt acht rechteckigen Scheinwerfern, authentischem Rolls-Grill samt Kühlerfigur „Spirit of Ecstasy“ und sogar einer Straßenzulassung.
Doch nicht nur dieser Shooting Brake folgte auf dem Londoner Concours dem „Was ist denn das?“-Ethos – denn ebenso mysteriös wirkte auf uns auf den ersten Blick ein ungewöhnliches Modell mit TVR-Logo. Der Scamander Amphibious aus 2007 war das Werk des 2009verstorbenen Ex-TVR-Chefs Peter Wheeler. Definitiv kein Fahrzeug, das wir zwischen zwei klassischen Jaguars parken würden. Mit einer Sitzanordnung, die eher einem McLaren F1 ähnelt, und einer Kabine, die für einen Mond- oder Marsrover zugeschnitten zu sein scheint. Das Einzelstück stand fast zwölf Jahre in einer Scheune und wurde erstmals beim London Concours, sogar mit Straßenzulassung un d damit bereits für neue Abenteuer, wieder gezeigt. Stand für uns TVR bislang immer für kernige Sportwagen, in Handarbeit gefertigt in Blackpool, war für uns der Scamander eine völlig neue und sicher für längere Zeit unvergessliche Überraschung.
Ein letzter Blickfang und eine weitere Kuriosität, aber zumindest eine von einer Marke, die für Sonderaufbauten bekannt ist. Von vorne sah das Modell noch wie eine normale, wenn auch sehr gepflegte Mercedes-Benz W140 S-Klasse mit AMG-Anbauteilen aus. Doch von der Seite betrachtet, entpuppte sich das in Glacier White lackierte Modell als eine von DK Engineering zu einem T-Modell umgebaute V12-S-Klasse. Mit seinem kecken Interieur in Designo Jade Green war dieser breitbeinige Benz einer der absoluten Hingucker des Concours! Die große Auswahl an sorgfältig kuratierten Autos, die beim London Concours inmitten der wolkenkratzerartigen Stadtlandschaft von Central London geparkt waren, hebt diese Veranstaltung wirklich von anderen ab. Und erweckt einen eher ruhigen Teil eines sehr geschäftigen Bezirks der Hauptstadt zum Leben.
Photos: Elliot Newton