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Der Cushway Mercedes-Benz 300 SL war 60 Jahre ein Mitglied der Familie

Der renommierte SL-Experte Martin Cushway hat sich entschieden, seinen geliebten Mercedes-Benz 300 SL, der bereits als Neuwagen noch vor seiner Geburt der Familie gehörte, zu verkaufen. Vor RM Sotheby´s Sealed-Bid-Auktion im Oktober erzählt Martin von seinen schönsten Erinnerungen an dieses Auto.

Mercedes-Benz 300 SL Roadster, die seit sie vom Band rollten, nur einer Familie gehörten, sind äußerst rar. Aber in diesem exklusiven Kreis gibt es wohl nur ein Exemplar, das seinen Eigner in das Krankenhaus gefahren hat, in dem er das Licht der Welt erblickte. Der renommierte SL-Experte Martin Cushway erzählt unserem Autor Simon de Burton von diesem Auto, das sein Leben begleitet hat, seit er vor annähernd 60 Jahren geboren wurde. 

„In 1958 kaufte mein Vater Ron Cushway einen 300 SL Roadster aus zweiter Hand und mit fuhren er und meine Mutter Trudy oft in ihr Geburtsland Deutschland, um an Rallyes mit dem Mercedes-Benz Club teilzunehmen. Sie stammte aus dem Großraum Stuttgart. Bei einem Club-Ausflug zum Werk in 1962 erfuhr mein Vater, dass die Produktion des 300 SL Roadster zugunsten der nachfolgenden Pagode eingestellt werden würde. Damit war ihm klar, dass es sich beim 300 SL um etwas ganz Besonderes handeln würde und er bestellte noch an Ort und Stelle eines der letzten Autos. Es sollte das 17. Fahrzeug vor dem allerletzten 300 SL, der vom Band laufen würde, sein. Allerdings konnte er seinen Roadster erst Anfang 1963 in Empfang nehmen.

Meine Eltern flogen von Heathrow zurück nach Stuttgart und holten ihr Auto am 16. Januar am Werk ab – rund drei Wochen bevor der letzte 300 SL vom Band rollte. Weil er ein Auslaufmodell war, wurden Option wesentlich günstiger angeboten, also kaufte mein Vater ein Radio, einen zusätzlich Satz Räder und noch ein paar andere Extras, ehe er und meine Mutter in den nächsten fünf Tagen das Auto im Umland einfuhren.

Am Ende der Tour zeigte der Tacho gut 1280 Kilometer an. Sie fuhren mit dem Roadster zurück zum zentralen Mercedes-Benz Service Center beim Werk und ließen erstmals das Öl wechseln, danach ging es zurück nach Großbritannien. Von da an war der 300 SL unser Daily Driver: Er beförderte auch meine hochschwangere Mutter am 11. November desselben Jahres in die Klinik, der Tag, an dem ich geboren wurde. Seitdem hat der Roadster in meinem Leben eine wesentliche Rolle gespielt.

Meine Eltern führten eine Ingenieurfirma, die Punktschweiß-Maschinen für die Autoindustrie herstellte. Sie arbeiteten beide sehr viel, aber wenn sich ein wenig Freizeit ergab, steuerten sie gern mit dem SL Richtung Kontinent. Eine beliebte Destination war Portugal, wo wir immer im Mai bis zu zehn Tagen verbrachten, um die Sonne zu genießen. Der Trip durch Frankreich und Spanien dauerte 27 Stunden – ohne eine einzige Autobahn – und meine Vater fuhr meist Non-Stopp, unterstützt von „Funny Pills“, mit denen ihn ein befreundeter Arzt versorgte. 

Weil das Auto ein Zweisitzer war, musste ich es mir in dem Stauraum für das Faltdach bequem machen. Um mehr Gepäck verstauen zu können, stopfte mein Vater Militär-Seesäcke in die Leerräume der Kotflügel hinter den Frontscheinwerfern. Wir haben oft genug erstaunte Blicke geerntet, wenn mein Vater vor Hotels die Leuchten abmontierte, um an meine Kleidung zu kommen! Es gibt einen kleinen Urlaubsfilm, der während der späten sechziger Jahre in Portugal entstand und meine Füße, die unter dem gefalteten Dach hervorlugen, zeigen, dazu die Knie meiner Mutter und die Hände meines Vaters am Lenkrad. Der Tacho zeigt über 225 Stundenkilometer. Tatsächlich besitze ich noch seine alten roten Fahrlizenz-Büchlein, die festhalten, dass er in der ersten Zeit als frischgebackener Besitzer fast wöchentlich wegen zu schnellem Fahren aufgeschrieben wurde.

Aktuell stehen gut 611550 Kilometer auf der Uhr – den Löwenanteil verbuchen die vielen Rallyes, die meine Eltern fuhren, nachdem ich in den achtziger Jahren das Geschäft übernahm. Vor jeder Reise würde mein Vater das Auto peinlich genau in unserer Werkstatt vorbereiten. Er hatte auch immer einen umfassenden Werkzeugsatz dabei, mit genügend Equipment an Bord, um, falls nötig, den Motor am Straßenrand neu aufzubauen. Aber es hat nie eine wesentliche Panne gegeben, denn dieses Auto war hervorragend zuverlässig. 

Einmal, in 1984, fuhren sie darin mit dem Club nach Berlin – ich folgte mit dem gesamten Gepäck, vollbepackt in einem 300 TD-Kombi. Die Stadt war damals noch durch die  Mauer getrennt, aber weil die Rallyes von Mercedes-Benz gesponsert wurden, stellte die Marke Servicefahrzeuge zur Verfügung, die uns in Gruppen von zehn Autos in und aus dem Osten eskortierten. Immer unter den wachsamen Augen der DDR-Polizisten.

Mit dem Roadster wurden auch drei oder vier Mal die langen Reisen nach Griechenland unternommen, was zur Folge hatte, dass etwa um 1979 oder 1980 eine neue Lackierung und Pflege des Interieurs nötig wurde – beides gemäß der ursprünglichen Konfiguration. Die intensive Sonneneinstrahlung hatte zu Rissen im Leder geführt und den Lack verblichen. Dreimal wurde auch der Motor neu aufgebaut: Zweimal im Werk selbst und 2002 von Kienle, dem Star unter den deutschen Mercedes-Benz-Restauratoren.

Etwa zu der Zeit starben auch meine Eltern und ich beschloss, das Unternehmen zu verkaufen. Aber weil ich mein ganzes Leben mit diesem 300 SL verbracht hatte, rief ich ein paar andere Besitzer, die zu Freunden geworden waren, an und bot an, ihre Autos zu pflegen und warten. Nun sind 20 Jahre vergangen und ich betreue 45 SL, die sich in Großbritannien befinden sowie einige andere in Belgien und Österreich.

Allerdings hat mich mein eigener SL über ein paar Jahre lang in eine Zwangslage versetzt. Mir war klar geworden, dass ich ihn wie mein Vater zuvor täglich beanspruchte. Er wurde nie wie ein „Klassiker“ betrachtet, sondern war einfach das geliebte Auto. Aber jetzt haben mich der gestiegene Wert und die Kosten für Ersatzteile auch davon überzeugt, dass ich den Roadster nicht mehr länger nachts auf der Straße parken oder damit zum Einkaufen fahren sollte. Es hat mich rund fünf Jahre gekostet, um mich schweren Herzens zu entwöhnen. Ich schaffte das, in dem ich mit dem Auto nach Deutschland gefahren bin und es bei Kienle eingelagert habe.

Ich gewöhnte mich dadurch an die Erfahrung, den SL nicht täglich zu sehen und täglich zu fahren. Und so konnte ich mich irgendwann mit dem Gedanken arrangieren, das Auto zu verkaufen. Aber diese Entscheidung ist mir keinesfalls leicht gefallen. Ich werde ganz bestimmt nie wieder ein Auto besitzen, das 60 Jahre meiner schönsten Erinnerungen beherbergt."

RM Sotheby´s wird Martin Cushways bemerkenswerten Mercedes-Benz 300 SL in einer speziellen Auktion mit verschlossenen Geboten am 7. Oktober verkaufen. Martin Cushway hat angeboten, dieses Exemplar auch für den neuen Eigner zu warten und zu pflegen.