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Mercedes-Benz 300 SEL: Revoluzzer in Nadelstreifen

Diese schwarze Mercedes-Limousine könnte eigentlich nicht klassischer sein. Doch hinter der eleganten Linie der Baureihe 109 steckt noch mehr – nämlich ein wahrer Revolutionär.

Ende der 60er Jahre in Deutschland: Die Jugend probt den Aufstand gegen das Establishment, und auch bei Mercedes brechen mit dem Wegfall der Heckflosse in der Oberklassebaureihe 108 neue Zeiten an. Designer Paul Bracq schnitt zur Verwunderung vieler die alten Zöpfe ab und schuf mit der Oberklasselimousine des Typs W108 einen völlig schnörkellosen Gegenentwurf zu der bisherigen Designlinie des Hauses.
 

Mercedes-Benz 300 SEL: Revoluzzer in Nadelstreifen
Mercedes-Benz 300 SEL: Revoluzzer in Nadelstreifen Mercedes-Benz 300 SEL: Revoluzzer in Nadelstreifen


Mit den Modellen 250, 250 SE und 300 SE, letztere mit einer mechanischen Einspritzung, begann 1965 die Markteinführung. Wenig später erweiterten die Stuttgarter das Sortiment um den deutlich aufgewerteten 300 SEL, der im Gegensatz zum weiterhin erhältlichen 300 SE nicht nur über eine um zehn Zentimeter verlängerte Karosserie verfügte, sondern auch über eine Luftfederrung an beiden Achsen. Vorläufer dieses Systems waren zwar schon bei der Heckflosse und dem Mercedes Kombi „Universal“ an der Hinterachse zum Einsatz gekommen, als komplettes Federungssystem stellte es jedoch eine Neuheit dar. Das System sorgte neben einer gleichbleibenden Bodenfreiheit vor allem für ein völlig neues Fahrgefühl, wurden doch die Narben der wüsten Nachkriegspisten weitestgehend eliminiert. Zusätzlich zu dem gehobenen Federungskomfort konnte der 300 SEL mit zahlreichen Detailänderungen aufwarten, die sich wenig später auch im legendären Spitzenmodell 300 SEL 6.3 wiederfinden sollten.
 

Mercedes-Benz 300 SEL: Revoluzzer in Nadelstreifen
Mercedes-Benz 300 SEL: Revoluzzer in Nadelstreifen Mercedes-Benz 300 SEL: Revoluzzer in Nadelstreifen


Angetrieben wurde der als W109 titulierte Luxusliner (diese Typenbezeichnung erhielten nur die Modelle mit Luftfederfahrwerk) von einem 3,0 Liter Voll- Aluminium-Motor mit anfangs 170 PS. Der ausgesprochen laufruhige Sechszylinder-Reihenmotor hatte zwar nicht den Dampf und die Souveränität des späteren 6,3-Liter-Modells, doch war er agil genug, um im von VW Käfern besiedelten Deutschland auf den noch leeren Autobahnen ganz vorne mitzumischen. Ein spezielles Klangbild und die ganz eigene Art der Fahrdynamik prägten das Bild vom schweren Reisewagen. Später ersetzte der leistungsgleiche 2,8 Liter Reihensechszylinder dieses Aggregat, um Fertigungskosten und Unterhaltskosten zu senken. Eine erhebliche Veränderung erfuhr das Modell mit dem Einsatz des kleinen 3,5 Liter Achtzylindermotors im Jahre 1968, der den Sechszylinder ersetzte. Die Leistung stieg um 30 auf 200 PS und auch die Zuverlässigkeit der Einspritzung erfuhr durch die Umstellung auf die Bosch-D-Jetronic eine erhebliche Steigerung. Schöner Nebeneffekt der Maßnahme war, neben der Optimierung des Klangbildes, auch ein Absenken des Verbrauchs bei gleichzeitiger Steigerung der Fahrleistungen. Zu erkennen sind diese raren Achtzylindermodelle an dem Zusatzschriftzug „3,5“ auf dem Heckdeckel. Für die hubraumsüchtige Überseekundschaft kam zudem erstmals der 4,5 Liter V8 zum Einsatz, wenngleich dieser mit seiner bescheidenden Leistung von 198 PS noch unter dem Wert der nicht Abgas gereinigten Europaversion blieb.
 

Mercedes-Benz 300 SEL: Revoluzzer in Nadelstreifen
Mercedes-Benz 300 SEL: Revoluzzer in Nadelstreifen Mercedes-Benz 300 SEL: Revoluzzer in Nadelstreifen


Der hier gezeigte 300 SEL 2.8 verfügt zwar nicht über einen jener prestigeträchtigen V8, kann dafür aber mit einer für dieses Modell und für die damalige Zeit ungewöhnlich reichhaltigen Ausstattung punkten. Der 200 PS starke Ersthandwagen, der bei 80.000 Kilometer einen originalen Mercedes-Benz-Austauschmotor bekam, bietet neben einer tadellosen Stoffsitzausstattung auch Optionen wie vier elektrische Fensterheber, ein elektrisches Schiebedach, ein historisches Becker Mexiko Kassettenradio sowie eine automatische Kraftübertragung, deren Wählhebel nach Altväter Art an der Lenksäule untergebracht ist. Das Besondere an diesem, im Oldtimeralltag mittlerweile äußerst rar gewordenen Modell, ist der hervorragende Pflege-und Erhaltungszustand sowie die geringe Laufleistung, die von Mirbach mit originalen Wartungs-und Reparaturunterlagen belegt werden kann. Aufwändige Instandsetzungsmaßnahmen wie der Ersatz der Luftfederbälge sind neben der turnusmäßigen Wartung bereits vom Vorbesitzer durchgeführt worden. Eine Tatsache, die dem einstigen Revolutionär vermutlich ein problemloses Dasein in der Hand eines Enthusiasten der letzten Oberklasse-Baureihe ohne S-Klasse-Attribut bescheren dürfte.

Fotos: Jan Richter

 

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