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Magazin

Porsche 911 Turbo Generationen

Turbolution

Text: Mathias Paulokat
Fotos: Porsche

„Exclusive. Explosive. Expensive.“ So warb Porsche im Jahr 1976 treffend für die erste Generation des Porsche 911 Turbo. Der Sportwagen war wild, unangepasst. Und erwarb sich so weltweit schnell den Ruf einer Ikone. Gerade hat Porsche die siebte Generation des 911 Turbo auf die Straße gelassen. In über 30 Jahren Sportwagengeschichte stieg die Leistung von 260 PS auf nunmehr 500 PS, die Beschleunigung sank von mehr als respektablen 5,4 Sekunden auf nur noch 3,6 Sekunden bei der aktuellen Baureihe 997/2. Classic Driver skizziert in diesem 911 Turbo-Brevier die Entwicklungsgeschichte des Ausnahme-Sportwagens und stellt alle wichtigen Modelle vor.

Von „Rennsport für die Straße“ bis zu „umöglich, unfahrbar!“ reichten die Einschätzungen. Wir schreiben das Jahr 1974, Höhepunkt der Ölkrise. Selbst das oberste Management der Porsche AG zweifelt, ob es zu diesem Zeitpunkt klug und opportun sei, ein solches Fahrzeug in den Markt zu schieben: den Porsche 911 Turbo, Modellreihe 930. 2.993 ccm Hubraum, 260 PS Leistung, 350 Newtonmeter Drehmoment und über 250 km/h schnell. Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in gerade einmal 5,4 Sekunden. Die Meinungen klafften weit auseinander. „Eine Sensation – ein Skandal!“ Offenkundig, die Lager waren gespalten. Porsche entschied dennoch: „Go für den Turbo!“ Eine hoffnungsfrohe, gleichwohl vage Vorahnung von dem unerwarteten Erfolg des Porsche Carrera RS zwei Jahre zuvor mag hier wichtiger Treiber gewesen sein.

Und tatsächlich! Eindeutig begeistert zeigten sich motorsporthungrige und zahlungskräftige Kunden ob dieser Neuerscheinung. Sie kamen und kauften. Insgesamt in den Jahren 1975 bis 1977 exakt 2.874 Fahrzeuge des Turbo 3.0 der ersten Generation. Das war Erfolg genug. Die Kunden hatten quasi über die Fortsetzung des 911 Turbo entschieden. Die stetige Nachfrage über die Modellzyklen hinweg ließ den Turbo zur Konstante im Programm der Porsche AG reifen. Ein weiteres Erfolgsgeheimnis der 911-Baureihe ist deren ständige technische Evolution. Als Spitzenmodell der Baureihe profitierte der 911 Turbo ungemein vom ingeniösen Drang nach technischen Verbesserungen und rückte dem Ideal des perfekten Sportwagens mit jedem Generationswechsel ein Stückchen näher. Den ersten Porsche 911 Turbo fuhr übrigens eine Dame: Louise Piëch. Ihr Bruder Ferry Porsche schenkte ihr das erste Serienmodell 1974 zum Geburtstag. Die Prominenz liebte den Turbo: Herbert von Karajan, Uli Hoeneß, Paul Pietsch hießen nur einige Turbo-Fahrer. Und im Mai 1976 feierte Porsche die Auslieferung des 1.000 Turbo: an Prinzessin Antoinette zu Fürstenberg. Den wahren Ritterschlag erfuhr der Porsche Turbo jedoch erst später.

Schlag ins Kreuz

Das Jahr 1977: Der Sprit floss mittlerweile auch wieder williger, und so machte sich Porsche emsig daran, das enorme Potential aus dem luftgekühlten Boxermotor zu holen. Der Hubraum des Sechszylinders wuchs mit dem Modelljahr 1978 von 3,0 Liter auf jetzt 3,3 Liter. Dank Ladeluftkühler erreichte die Motorleistung die seinerzeit magische Grenze von 300 PS. Eine vom Porsche 917 abgeleitete Vierkolben Feststattel-Bremsanlage sorgte für eine standesgemäße Verzägerung. Mit diesem Paket wurde der 3,3-Liter-Turbo zu einem echten Dauerbrenner, der bis 1989 im Programm blieb und jährlich in Details verbessert wurde. Die Spitzengeschwindigkeit des Turbo 3.3 stieg auf 260 km/h, das Beschleunigungsvermögen sank um 0,2 Sekunden auf 5,2 Sekunden für den Standardsprint. Mit 16-Zoll-Fuchsfelgen und Bremskraftverstärker ausgeliefert, handelte es sich hierbei um den teuersten Serien-Porsche seiner Zeit.

Optisch war die neue Generation am PU-Schaumrand des Heckspoilers zu erkennen – landläufig als Gummilippe bekannt. Wichtiges fahrerisches Merkmal dieser Turbo-Modelle war der sprichwörtliche „Schlag ins Kreuz“, der je nach Gastritt und nach Traktionsverhältnissen mal erwartet, mal eher unverhofft einsetzte. Für den unkundigen Laien war der Turbo 911 damit insbesondere bei Nässe praktisch unfahrbar. In zu forsch genommenen Kurven grüßte gerne das eigene Fahrzeugheck mit einem ungewollten Überholmanöver. Selbst versierte Piloten hatten mit dem Spiel aus Power, Traktion und dem eng ausgelegten Grenzbereich alle Hände voll zu tun. Doch gerade diese Wildheit verhalf den ersten beiden Generationen zu mittlerweile legendenhaftem Ruf.

Ein Ruf, der zudem mit jedem Generationswechsel größer wurde, da die nachfolgenden Turbos zwar regelmäßig stärker, dank elektronischer Helfer jedoch auch zahmer wurden. Wenn man es denn wollte. Das Schöne am 911 Turbo ist, dass zu einem Großteil der Fahrer über das jeweilige Temparament seines Porsche entscheidet. Für die Chronik ist es wichtig zu erwähnen, dass der 911 Turbo 3.3 ab 1987 auch als Cabriolet und Targa erhältlich war. Zuvor schon, im Jahr 1983, gab es den 911 Turbo auf Sonderwunsche auch als „Flachschnauzer“ mit Klappscheinwerfern. Aus heutiger Sicht eine – glücklicherweise – nur temporäre Zeitgeist-Erscheinung. Als Nachfolger ging Anfang der neunziger Jahre ein 911 Turbo an den Start, der eine neue Ära einleitete. Nach über 20 Jahren puristischen Designs mit dem optischen Merkmal der Ziehharmonika Faltenbalg-Stoßstangen wurde der „Elfer“ gründlich überarbeitet. Das Exterieur wurde vom Bug bis zum Heck geglättet. Doch nicht nur bei der Aerodynamik zeigte sich frischer Wind. 85 Prozent aller Teile der intern 964 genannten Baureihe waren neu.

Ritterschlag mit über 400 PS

Die Turbo-Variante des 911 stand ab 1990 bei den Händlern. Mit bis zu 320 PS Leistungsvermögen im Heck. Schon zwei Jahre später erhielt der Turbo der dritten Generation einen neuen Motor mit jetzt 3,6 Liter Hubraum, der ein Plus von 40 PS aufwies. Trotz der Gesamtleistung von 360 PS präsentierte sich der Wagen nicht nur spürbar stärker, sondern auch sparsamer. Ein fortan äußerst wichtiges Porsche Prinzip, welches die Evolution des 911 Turbo von Generation zu Generation begleiten sollte. Die Leistungsspitze markierte der im Frühjahr 1992 in Genf präsentierte 911 Turbo S. Zahlreiche Modifikationen verhalfen dem nur 86 Mal gebauten Sondermodell zu 381 PS Leistung. Die erste Generation des 964 wurde 3.871 Mal verkauft. Der Turbo 3.6 war von 1993 bis 1994 im Programm und brachte es auf eine Stückzahl von 1.437 Fahrzeugen. Heute sind beide Modelle gesuchte Sammlerfahrzeuge, die stattliche Kaufpreise erzielen.

Der Genfer Automobilsalon im Jahre 1995. Porsche präsentierte den neuen Turbo der Typreihe 993 mit Allradantrieb. Die Fahrzeuge sollten als letzte 911er mit luftgekühltem Motor in die Firmengeschichte eingehen. Bei dem 993 Turbo handelte es sich fraglos um den Höhepunkt dieser Ägide, der dem Boxer den Ritterschlag verpasste. Gleichzeitig verblüffte der Biturbo-Motor mit dem Abgas-Kontroll-System OBD II mit seinen Abgaswerten. Dieses Aggregat entpuppte sich in Relation zu seiner Leistung als emissionsärmster Serien-Automobilantrieb der Welt. Der Boxer leistete 408 PS und ermöglichte ein Spitzentempo von 290 km/h. „Kills bugs fast“ – schneller Fliegentöter, so lautete die Turbo-Botschaft in US-Werbeanzeigen aus dem Jahr 1995. Auch vom 993 gab es wenige Cabriolets und Turbo S Modelle. Wie alle Porsche 911 Modelle der Baureihe 993, sind auch die Turbo-Varianten äußerst gesuchte Sportwagen. Saubere Historie und Originalität vorausgesetzt, gelten diese Stuttgarter Boliden als sportliches wie gleichermaßen sicheres Investments.

Turbo Evolution

Die im Januar 2000 folgende Generation des Porsche 911 Turbo der Baureihe 996 leitete einen Paradigmenwechsel ein. Wasser statt Luft war bei der Motorkühlung das gültige Thema. Eingefleischte Porsche-Fahrer zuckten zunächst, wurden jedoch schnell überzeugt. Als erster Turbo konnte der 996 mit 5-Gang-Tiptronic S und der ungemein standfesten Keramik-Verbundscheibenbremse „PCCB“ aufwarten. Gegenüber dem Vorgänger verringerte sich der Verbrauch des 420 PS-Triebwerks noch einmal um 18 Prozent auf 12,9 Liter je 100 Kilometer. Möglich wurde dies durch Vierventil-Technik, eben die Wasserkühlung und vor allem dem Einsatz von VarioCam Plus. Die Aufladung des Motors erfolgte über zwei Turbolader mit je einem Ladeluftkühler. Die fünfte Generation entwickelte sich zum Verkaufsschlager. Produziert von 2001 bis 2005 wurden 20.499 Einheiten des 305 km/h schnellen Porsche Turbo abgesetzt. Das Beschleunigungsvermögen von 0 auf 100 km/h war mittlerweile übrigens auf nur noch 4,2 Sekunden gesunken. Das 911 Turbo Cabriolet erweiterte das Verkaufsprogramm ab dem Herbst 2003. Bis zum Juni 2005 fanden über 3.500 Exemplare ihre Käufer. Im Mai 2004 sorgten noch zwei 450 PS starke und 307 km/h schnelle S-Varianten für Aufsehen.

Im Modelljahr 2006 folgte mit dem 911 Turbo auf Basis der Generation 997 eine weitere Evolutionsstufe des Technologieträgers. Die sechste Generation verfügte als erstes Serienautomobil über einen Turbolader mit variabler Turbinengeometrie (VTG). Neue Technologien, wie das gesteuerte Allradsystem PTM und intelligenter Leichtbau. ermöglichten einen weiteren Performancesprung des nun 480 PS starken Sportlers, dessen Verbrauchswerte einmal mehr gesenkt werden konnten. Leistungshungrige Frischluftenthusiasten wurde 2007 auf der IAA das passende Cabriolet präsentiert. Technischer Höhepunkt des offenen Turbo-Elfers war die Synthese aus geringem Gewicht und hoher Karosserie-Steifigkeit, bei gleichzeitig kompakten Abmessungen und hoher Innenraum-Ergonomie. Auch Classic Driver zeigte sich von den Tugenden, die mit kraftvoller Motorpräsenz einhergingen, überzeugt.

Ein nochmaliges Plus an Dynamik bei gleichzeitig niedrigerem Verbrauch verspricht und hält die aktuelle Turbo-Generation. Herzstück und Höhepunkt des im Herbst 2009 vorgestellten 911 Turbo ist der neue Motor mit 3,8 Liter Hubraum und 500 PS Leistung. Das von Grund auf neu konzipierte Triebwerk verfügt über Benzindirekteinspritzung und kann erstmals mit einem Siebengang-Porsche-Doppelkupplungsgetriebe (PDK) kombiniert werden. Diese Getriebewahl ist unbedingt zu empfehlen, da sich so spielerisch leicht das fulminante Beschleunigungsvermögen am besten auskosten lassen. Die Werte 3,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h und 312 km/h V-max werden dabei gleichwohl nur einen Zwischenstand in der Porsche Turbo-Evolution markieren. Denn wie notierte Porsche noch in den 1970er Jahren treffend: „There are leaders and there are followers. Life is really quite simple, isn´t it?“