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Bei der Tour Auto 2017 qualmten nicht nur die Reifen...

Michel Vaillant, der fiktive Rennfahrer schlechthin der Grande Nation, wäre auf dieses Starterfeld neidisch gewesen. Die 242 Teams mit ihren Ligiers, Jaguar, Ferraris, Porsches oder Ford GT 40 schenkten sich bei diesen 2.500 Kilometern durch Frankreich nichts, aber auch gar nichts.

Etched in the memory

Das typisch französische Städtchen Champsdeniers zwischen Nantes und Limoges bleibt wohl nur denen in Erinnerung, die bei dieser 26. Ausgabe der Tour Auto Optic 2000 gestartet sind. Wo sonst, als in Frankreich würden Frauen in Landestracht den tollkühnen Männern und Frauen im Rennoutfit lächelnd frische Austern reichen? Bei anderen Rallyes gibt es eventuell ein karges Sandwich, ehe man zur nächsten Zeitnahme rollt. Für die Delikatesse hatten die beiden Piloten in einem der zahlreichen Ford GT 40 allerdings keine Zeit, denn sie posierten fröhlich mit hingerissenen Erstklässlern, welche die legendäre Rennmaschine geentert hatten. Die Schüler bewiesen Gespür für Champions, denn das britische Team Smith-Cottingham auf ihrem Le Mans-Star von 1965 sollten sich auch ohne Kraft spendende Meerestiere als Sieger der Tour Auto 2017 behaupten.

‘Proper motorsport’

Auf den Spuren der legendären Tour de France Automobile starteten in diesem Jahr 242 Teams in Sportwagen, die auch damals zwischen 1951 und 1973 antraten. Mit 2.500 Kilometern Gesamtstrecke, die vom Start beim Pariser Grand Palais erstmals in die Bretagne nach Saint-Malo, ins Limousin nach Limoges und über Toulouse schließlich zu den gefürchteten Nachtprüfungen vor dem Ziel in Biarritz an der Atlantikküste führte, war diese Tour Auto auch die bisher längste Rallye. „Wir sind zum ersten Mal dabei”, lachte das amerikanische Team Mac Neil und Jeannette, deren Porsche 911 RS 3,0-Liter von 1974 im Gegensatz zu ihnen schon einmal das historische Straßenrennen bestritten hatte. „Es wird auch nicht das letzte Mal sein, denn das hier ist echter Motorsport, der dir alles abverlangt.” Bei ihrem Porsche musste der Mechaniker um den Abrollkomfort zu erhöhen nur ein wenig Luft aus den Reifen lassen. So manche andere müde Rennveteranen im abendlichen parc fermé verharrten aufgebockt und von ihren Motorhauben befreit, während sich Fahrer und Mechaniker wie besorgte Chirurgen über die Technik beugten. 

No walk in the park 

Ein unbestrittener Publikumsliebling muss der Ferrari 250 GT Berlinetta gewesen sein, der sich noch Stunden zuvor auf dem kleinen, feinen Circuit Val-de-Vienne erfolgreich gegen einen erbittert herannahenden Mercedes-Benz 300 SL zur Wehr gesetzt hatte. Zwischen Fassungslosigkeit und Faszination beobachtete die Menschentraube wie der Techniker unter der millionenschweren, kostbaren Karosserie mit einem Hammer beherzt gegen die Vorderachse schlug. Ist ein Concours, und mag er noch so schön sein, ein auf Hochglanz poliertes Openair-Museum, dann ist die Tour Auto wie die Mille Miglia oder das Festival of Speed in Goodwood packend-lebendige Geschichte im Zeitraffer, begleitet vom kräftigen Parfum aus Öl und Gummi und dem grandiosen Lärm aus kehligen, donnernden, brummenden Motoren. Wer teilnimmt, riskiert allerdings kaum ein Auge für die Schönheiten der Landschaft und der malerischen Orte, denn zu den Etappen der Fünftagestour zählen Prüfungen gegen die Uhr auf abgesperrten Landstraßen und Rennen auf den vielen Kursen, die neben dem Programmpunkt Le Mans am ersten Tag Frankreich auch als Grande Nation des Motorsports ausweisen. Und manchmal gilt das alte olympische Motto, dass dabei sein alles ist. Der Fahrer des De Tomaso Pantera nahm es jedenfalls mit Humor, dass der Über-Supersportwagen vorne mit Klebeband notdürftig bepflastert worden war: „Nicht weiter schlimm. Vor uns tauchte nach einer Kuppe ein etwas langsamerer Teilnehmer auf und den haben wir leicht touchiert.” Auch Derek Bell als fünfmaliger Sieger an der Sarthe und neben dem großen Rallyemeister Ari Vatanen ebenfalls prominenter Mitstreiter bei der Tour Auto 2017 war mit einem stark beklebten und irgendwie leicht lädierten Porsche RS von 1974 unterwegs.

Eenie, meenie...

Für Enthusiasten ist dieses Rennen wie ein mobiles Autoquartett der Superlative. Während man im Roadbook die nächsten Prüfungen studiert, die Gleichmäßigkeits- und Competition-Teilnehmer absolvieren müssen, füllt ein Ligier JS 2 DSV von 1975 den Außenspiegel aus und drei Renault Alpine A110 vor einem bieten zusammen mit einem Alfa Romeo 1600 Sprint und einem Lotus Elan ein seltenes Schauspiel. Irgendwann ist es auch ganz selbstverständlich, dass ein Ferrari 308, ein Lancia Stratos HF oder ein Shelby Mustang mit winkenden Fahrern vorbei ziehen. So selbstverständlich wie die Ford Escort im Renntrim der frühen siebziger Jahre, die sich zwischen den BMW 3,0 CSL im „Batmobile”-Look gemäß ihres Jahrgangs vor einem Rennen einreihen. Allein eines dieser Exemplare anzutreffen, ist eine kleine Sensation, die für verdrehte Hälse am Straßenrand sorgt, aber so viele - man kann nur lebhaft ahnen, was in einem Auktionator vorgehen würde. 

The week of the year

Der Schweizer Dominique Vananty, der mit seiner Tochter Mascha in einem grauen Zweiliter-Porsche 911 von 1965 gestartet war, empfindet die Tour Auto immer wieder als beglückend anstrengende und zugleich schönste Woche im Jahr. Sein Coupé aus dem Zenith-Team huschte als Schatten durch die engen Kurven vor der Kulisse in Frühlingsgrün und erinnerte nicht von ungefähr an die berühmte Anfangssequenz von Steve McQueens „Le Mans”. Als Kenner und Veteran historischen Motorsports ist diese Veranstaltung für ihn einzigartig: „Man erlebt oft so einiges, aber hier sind die Fahrer auf dem Grid auch wirklich gut, fair und sportlich. Jeder weiß, das ist alles andere als eine Promenade.”

Wo sonst könnte man zwei sichtlich erschöpfte aber zufriedene Fahrer fragen, wie der Tag war und zur Antwort bekommen: „Nicht schlecht, nur mein Fahrer ist zu schnell.” Sind sie im nächsten Jahr wieder mit von der Partie? Mais naturellement!

Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2017 

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