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Magazin

Ford RS200

Der Ford, der nicht siegen durfte

Text: Sven Jürisch
Fotos: Jan Richter

Dieser Ford ist ein Monster, ein Überbleibsel der Gruppe B. Jener Klasse im Rallye-Zirkus, die Mitte der 80er Jahre durch Leistungen jenseits von 500 PS erst auf- und dann unter unschönen Begleitumständen ausfiel. 25 Jahre nach Ende dieser wilden Zeit hat sich Classic Driver noch einmal hinter‘s Steuer des Ford RS200 gewagt und den Ritt durch den feuchten Herbstwald angetreten. Ob wir dabei die Spur gehalten haben, erfahren sie in unserem Youngtimer-Report.

Es sind die Pedale und der Schalensitz. Diese beiden Details sagen mir von Beginn an, wir werden keine Freunde. Der RS 200, jener keilförmige, nur 200 Mal gebaute Rallyebolide der 80er gibt in diesem Fall den Ton an. Und er macht deutlich, dass ihm breite Timberlands in Größe 45 und gesunder Wohlstandsspeck um die Hüften nicht gefallen. So nicht, will er sagen, schließlich hat er sich für den Auftritt auf der Bühne der Rallyemonster bereits in frühen Jahren dicke Muskeln antrainiert und überflüssiges Gewicht über Bord geworfen.

Bei seinem Debüt 1985 glänzte der in England entwickelte und bei Reliant in Shonstone gebaute RS200 mit einem Leergewicht von 1.050 Kilogramm. Ford setzte dafür auf ein gewichtssparendes Chassis in Aluminium-Sandwichbauweise und auf eine Kunststoffkarosse, bei der selbst die Scheiben aus Faserverbundstoffen bestanden. Unter der von Ghia designten Karosse spendierten die Techniker dem RS200 zusätzlich gewichtsoptimierte Rohrrahmen, an denen sie die Vorder- und Hinterradaufhängung mit insgesamt acht Bilstein-Stoßdämpfern befestigten. Wenn es die Situation erforderte, ließen sich die Stabilisatoren und Federwege verstellen. Dies und der zuschaltbare Allradantrieb mit variabler Kraftverteilung in drei Modi ermöglichten es dem Ford, mit nahezu jedem Terrain fertig zu werden. Soweit die Theorie.

Fahreindruck

Nach dem Entern der Rennschale gibt es kein Entrinnen mehr. Sitzverstellung? Fehlanzeige. Lenkradneigung justieren? Nicht im RS 200. Stattdessen gibt es einen gewichtsoptimierten Zündschlüssel aus der Großserie und jede Menge Uhren in der tristen grauen Hartplastiklandschaft des Armaturenbretts. Eine davon verkündet die Motortemperatur, eine andere den Ladedruck. Maximal 0,8 bar waren es bei der Straßen bis zu 1,2 bar bei der Rennversion. Nach dem Anlassen gibt sich der Ford unspektakulär. Im Heck röhrt der 1,8 Liter Cosworth-Vierzylinder mit heiserem aber stabilem Leerlauf. Da selbst Lüftung und Lenkradschalter an den Ford Mondeo der 80er Jahre erinnern, schwindet die Ehrfurcht vor dem Geschoss.

Bis, ja bis die Kupplung ins Spiel kommt. Denn ist schon das Einlegen des ersten Ganges in das Fünf-Gang-Getriebe eine ziemlich knorpelige Angelegenheit, so ist die Dosierung der Sintermetallkupplung nur etwas für Eingeweihte. Zu wenig Gas führt zum sofortigen Stillstand des Motors, zuviel zu einem skurril anmutenden Bocksprung. Gefühl ist nicht gefragt. Gang rein, rauf auf‘s Gas und gleichzeitig die digitale Kupplung kommen lassen. So läuft es rund. Einmal in Fahrt, wird es nicht simpler. Die Gangwechsel erfolgen weiterhin rabiat, denn das Getriebeöl will einfach nicht so warm werden, dass sich die Zahnräder auch schweigend ineinander verlieben, und auch die Sicht aus der Zweierkabine gestaltet sich schwierig. Nach hinten sieht man konstruktionsbedingt nichts und zur Seite fehlt der Durchblick aufgrund der schwachen Lüftung.

Wie konnte man mit so etwas nur Rallyes gewinnen, schießt es mir durch den Kopf? Doch schleichend siegt der Ford über meine Skepsis. Mit ansteigender Motortemperatur bekomme ich Lust, das Biest zu bezwingen. Und siehe da: Je intensiver ich an dem Escort-XR3i-Lenkrad kurbele, desto mehr spricht der RS200 mit mir. Er zeigt mir, wo seine Stärken liegen. Etwa in seiner perfekten Straßenlage oder seiner unbeirrbaren Traktion, selbst bei vollem Leistungseinsatz. Dass die Timberlands dagegen beim Bremsen aufgrund des fehlenden Bremskraftverstärkers Schwerstarbeit leisten müssen, sehe ich ihm als sportliche Eigenart nach. Und es beginnt Spaß zu machen. Plötzlich wage ich mich trotz der Ermahnungen der Ford-Classic-Mannschaft in höhere Drehzahlbereiche, fordere den RS200 in den Kurven dezent heraus und merke, wie ich immer tiefer in die spärlich gepolsterte Fahrerschale sinke. Meine Anerkennung für Rallyeasse wie Stig Blomquist und Co wächst angesichts der nicht servounterstützten Lenkung und der harten Kupplung mit jedem Meter. Dieses Geschoss bei spärlich beleuchteter Fahrbahn, Regen und mit Geschwindigkeiten von teilweise über 200 km/h über hunderte von Kilometern durch die Pampa zu prügeln, verdient Respekt.

Fazit und Fakten

Nach fünfzig Kilometern ist meine erste Sonderprüfung dagegen zu Ende. Durchgeschwitzt aber mit dem Gefühl eines Siegers gehe ich unter dem komplett aufklappbaren Heck des RS200 auf Entdeckungsreise. Von perfekter Großserientechnik keine Spur. Das meiste ist feinste Handarbeit. Heute würde man sagen: Es hat Manufakturcharakter. Vom Luftfilterkasten bis hin zur Auspuffanlage bietet dieser Ford noch Maschinenbau erster Klasse. Da wirken die wenigen Fertigteile der Großserienmodelle Sierra und Escort wie ein mildes Zugeständnis an das damals vermutlich nur rudimentär vorhandene Controlling im Hause Ford.

Rund 48.000 Euro berechnete Ford seinerzeit den Kunden für den RS200, der nach dem Rallyedesaster wie Blei auf den Höfen der Händler stand. Heute sind die rund 140 verbliebenen Fahrzeuge in fester Liebhaberhand. Wenn sich doch einmal ein Fahrzeug auf das internationale Handelsparkett verirrt, sind Preise ab 120.000 Euro realistisch. Doch dieses Preisniveau dürfte der Garant dafür sein, das mit dem RS200 tatsächlich niemand mehr Rallyes gewinnen wird.

Aktuell steht bei der springbok sportwagen GmbH in Isernhagen ein Ford RS200 mit nur 15.000 km Laufleistung zum Verkauf. Zum Angebot...

Fakten

Motor:
1,8 Liter Vierzylinder Leichtmetallmotor mit Abgasturboaufladung, Vierventiler

Leistung:
230 PS (Rennversionen: bis 420 PS)

Drehmoment:
280 Nm bei 4.500/min

Höchstgeschwindigkeit:
240 km/h

Besonderheiten:
Trockensumpfschmierung, zuschaltbarer Allradantrieb mit Differentialsperren, Monocoque-Bauweise mit angeflanschten Rohrrahmen für die Aufnahme von Vorder und Hinterachse

Preis:
Neupreis (1985): circa 47.300 Euro
Aktueller Preis: ab 120.000 Euro

Gruppe B: Ende mit Schrecken

Audi quattro S1, Peugeot 205 oder auch Lancia Delta S4 – so hießen die Boliden der Gruppe B im Rallyesport. Von 1982 bis 1986 fuhren die bis zu 550 PS starken Rallyefahrzeuge häufig unter extrem waghalsigen Umständen die Rallye-Weltmeisterschaftsläufe. Einerseits stellen die teilweise leichtsinnigen Zuschauer eine Gefahr dar, in dem sie sich oft bis zum letzten Moment Auge in Auge mit dem heranrasenden Fahrzeug auf der Straße aufhielten. Andererseits waren es vor allem die extrem schnellen und nur von wenigen Top-Piloten beherrschbaren Rallyefahrzeuge, die diese Gruppe nach zahlreichen Unfällen mit prominenten Todesopfern schließlich ins Aus beförderte. Mit dem Ende der Gruppe B im Jahr 1986 wurden viele der noch verbliebenen Fahrzeuge bei Rallye-Cross-Veranstaltungen eingesetzt. Heute gelten diese Modelle bei Sammlern als absolut gesuchte Raritäten, von denen nicht selten auch Fälschungen angeboten werden.

Fotogalerie

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