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Der Ferrari 340 America Vignale Spyder war ein transatlantischer Traum 

Hand aufs Herz – gibt es eine puristischere Linie als die Silhouette dieses Ferrari 340 America Vignale Spyder? Wir haben mit Copley Motorcars bei Boston gesprochen, wo der Rennwagen gerade zum Verkauf steht. 

„Das herausragende Feature dieses Autos? Das muss seine Einfachheit sein”, analysiert Stu Carpenter von Copley Motorcars aus Needham  (Massachusetts), die diesen wirklich exquisiten und aus einer rund 50 Wagen starken Ferrari-Sammlung stammenden 340 America jetzt zum Verkauf anbieten.

Die Karosserie wurde von Michelotti gezeichnet und bei Vignale produziert. Eine Co-Produktion, die zu einigen recht radikalen und dramatischen Kreationen führte. Doch bei diesem speziellen Auto legten sie sich eine unglaubliche Zurückhaltung auf“, ergänzt Carpenter.

In der Tat schien „weniger ist mehr“ das Gebot der Stunde gewesen zu sein, als Chassisnummer 0140 A im Herbst 1951 über einen Zeitraum von sechs Wochen montiert wurde. Um dann rechtzeitig zu Weihnachten beim amerikanischen Ferrari-Importeur Luigi Chinetti angeliefert zu werden.

Das Auto war aber nicht als ultimatives Weihnachtsgeschenk gedacht, sondern als Star auf dem Chinetti-Stand der jährlichen Frühjahrs-Automesse im Grand Central Palace von New York. Wo es als Schaustück einer Marke herausragen sollte, die – obwohl erst vier Jahre alt – bereits eine exotische Mystik versprühte. Was die Besucher nicht ahnen konnten: Sie sahen hier nicht nur ein ungewöhnliches, sondern sogar ein absolut einzigartiges Auto.

Wie Carpenter schon andeutete, konnten Ferrari mit Vignale-Karosserie ziemlich opulente Kreationen sein. Doch von den fünf von dieser Carrozzeria eingekleideten 340 America war dies das einzige Modell ohne die drei „Bullaugen” in den vorderen Kotflügeln. Eine weitere Besonderheit des rechtsgelenkten Spiders waren die links und rechts knapp vor der Windschutzscheibe platzierten Standlichter und feine Chromleisten. Diese zogen seitlich, ungefähr über Dreiviertel der Länge von den hinteren Radläufen nach vorne, wurden aber für die Messe demontiert. Das Interieur war in braunem Cordsamt ausgeschlagen.

Nach seiner Premiere auf der New York Auto Show von 1952 wurde der 340 in eine United Airlines-DC-6 gepackt und vom „Big Apple” nach Denver (Colorado) transportiert. Entgegengenommen wurde er dort vom frisch ernannten Ferrari-Vertreter für den amerikanischen Westen, George Joseph Jr.

Schon beim Ausladen sorgte der Ferrari für großen Medien-Andrang. Der Ingenieur und Rennfahrer Kurt Kircher steuerte ihn dann vom Airport auf den Vorplatz von Denver Imported Motors. Man hielt Kircher offenbar für die einzige Person, die dieses fremde und knurrende Biest von Auto bändigen konnte. Verdankte es doch seinen Zusatznamen „America” der Tatsache, dass es speziell für den US-Export in den Genuss einer auf 4,1 Liter aufgebohrten Version des berühmten V12 von Aurelio Lampredi kam. In Italien war dieses Triebwerk nur mit vergleichsweise kleinem Hubraum erhältlich, um einer exzessiven „Motor-Steuer“ zu entgehen.

Gleichwohl musste selbst dieser Big Bore-V12 nach US-Standards noch immer eher kümmerlich wirken, wuchsen doch Amerikaner mit der Vorstellung auf, dass alle Motoren mit weniger als fünf Litern Hubraum höchstens für Gartenbauarbeiten taugen würden.

Josephs Begeisterung für sein neues Schmuckstück wurde nur noch von seiner Zuversicht übertroffen, den Wagen schnell und zu einem vergleichsweise astronomischen Preis verkaufen zu können. Also hing er erst einmal ein Preisschild von $20.000 hinter die Windschutzscheibe. Was sechsmal so hoch war wie der Preis für die erste Corvette, die Chevrolet im Jahr darauf auf den Markt brachte.

Als sich trotz eines um $2000 reduzierten Angebots noch immer kein Käufer fand, ging der 340 an den Dirt-track-Rennfahrer und Nash Händler Johnny Mauro. Doch schon nach sechs Monaten und weniger als 800 Kilometern wurde er erneut und diesmal für nur noch $15.000 sowie mit dem Claim „leistungsstärkster Sportwagen in den USA“ angeboten.

Wie Carpenter ausführt, hinterließ der Wagen einen „unauffälligen Abdruck in der Rennsportwelt“. Er war sogar in mindestens zwei Unfälle verwickelt, wurde viermal neu lackiert und ging zu immer weiter sinkenden Preisen im Verlauf von einem Dutzend Jahren durch die Hände von sechs Besitzern. 1967 war mit $2.500 ein Schleuderpreis erreicht.

Doch laut des in diesem Jahr fertiggestellten und ausführlichen Reports von Marcel Massini bekamen die Preise Mitte der 1970er-Jahre wieder die Kurve. Genau zu dem Zeitpunkt, als der America den Weg zurück nach Europa gefunden hatte. Ein Schweizer Händler hatte ihn erworben und für $27.000 an einen belgischen Sammler weiterverkauft.

1976 überquerte der Ferrari dann erneut den Atlantik, nur um in einer Garage in Berkeley (Kalifornien) zu landen. In einem sichtbar vernachlässigten Zustand und nur lackiert mit einer schäbigen Schicht schwarzer Farbe.

Vier Jahre später trieb ihn ein Retter in Gestalt des kalifornischen Weingutbesitzers und Marken-Aficionado Gil Nickel auf. Er ließ den Ferrari komplett restaurieren und neu in „Giallo Fly“ lackieren. Danach erfreute er sich 23 Jahre an ihm und setzte ihn allein bei der Mille Miglia dreimal ein. Aber auch bei Premium-Events wie Monaco Historic, Monterey Historic und Colorado Grand.

Daneben holte der von Nickel bis zu seinem Tod im Jahre 2003 geliebte und gefahrene Ferrari Preise bei Top-Concours, darunter Pebble Beach und – dank der einzigartigen Carrozzeria Vignale-Karosserie – beim Emilia-Romagna Concours. Der 340 blieb danach noch sieben weitere Jahre im Besitz der Nickel-Familie, ehe er auf einer Auktion verkauft und vor zehn  Jahren durch Carpenter an seinen aktuellen Besitzer vermittelt wurde.


Zurück in seiner originalen Farbe rot – und ohne die bei seiner Ankunft in Colorado montierten Standlichter und Chromzierleisten – steht der 350 nun erneut zum Verkauf. Zu einem Preis, den Carpenter nur mit dem Prädikat „on request“ beziffert.

Müßig zu betonen, dass die Nachkommen all jener, die während der 50er- und 60er-Jahre dem Auto so wenig Wertschätzung entgegenbrachten, ihre Vorfahren leise verfluchen werden. Spätestens wenn sie feststellen, wie viel ein originaler Ferrari 340 America heute wert ist. Nämlich verdammt viel...

Dieser Ferrari 340 America mit Vignale Karosserie und viele weitere Autos sind über den Classic Driver Markt bei Copley Motorcars erhältlich.