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Jaguar Schatzsuche: Britische Chromjuwelen

Wenn das Indiana Jones wüßte: In den alten Jaguar Werkshallen in Coventry schlummert eine faszinierende Sammlung großartiger Automobilklasser. Rund 160 Fahrzeuge der Marken Jaguar, Daimler und SS-Automobile stehen Seite an Seite in maroden Backsteingebäuden an der legendären Browns Lane im Stadtteil Allesley. Es sind die Schätze der britischen Rassemarken, das Vermächtnis von Jaguar-Gründer Sir William Lyons. Classic Driver begab sich auf Schatzsuche. Eine ungewöhnliche Expedition mit überraschenden Entdeckungen.

Zwei Seiten einer Prinzessin: Lady Diana war nicht nur die unangefochtene "Queen of Hearts", sondern auch eine umsichtige und kluge Geschäftsfrau. Mitte der Neunzigerjahre stellte Jaguar der Princess of Wales einen Jaguar XJS als kostenlose Leihgabe zur Verfügung. Normalerweise fahren die Royals nur Daimler, Bentley oder Land Rover – doch Lady Di spielte schon immer eine Sonderrolle: ein Jaguar sollte es sein, ein Coupé zudem! Als die Zeit der Leihgabe nach einigen Jahren abgelaufen war und sie den Jag zurückgeben sollte, fragte sie bei Jaguar an, wieviel der Wagen wohl noch Wert sei. In Coventry wurde kurz gerechnet. „13.000 Pfund“, lautete die Antwort. „Erwägen Eure Hoheit den Jaguar zu kaufen?“ Ein Moment Stille in der Telefonleitung. „Nicht ganz“, soll sie entgegnet haben, „spenden Sie bitte diesen Betrag an eine meiner Stiftungen, dann erhalten Sie das Auto zurück!“

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Charmanter und gleichzeitig direkter geht Fundraising wohl kaum. Jaguar spendete und heute steht der Wagen von Princess Di wieder in Coventry - in der legendären Browns Lane. So weit so gut? Von wegen: wir wissen, welch tragisches Ende Diana fand. Und mittlerweile ist Jaguar selbst für Finanzspritzen dankbar. Um besagten XJS ist es kaum besser bestellt. Er steht, etwas eingestaubt, mit einem Rudel von 50 bis 60 Fahrzeugen in einer leeren, fast fußballfeldgroßen Backsteinhalle. Fahles Winterlicht fällt durch die trüben Scheiben. Kalte Luft streicht unter dem Hallentor und lässt Besucher und Jaguare frösteln. Kein Glanz. Kein Glamour. Statt dessen Tristesse. Wie haben sich die Zeiten geändert. Rund fünfzehn Jahre zurück: nur wenige Meter entfernt lief der XJS in der Nachbarhalle vom Band, wurde seinem Zwölfzylinder Leben eingehaucht. Heute faucht hier nicht mehr der Jaguar, sondern beißt nur der Abrissbagger mit seiner Stahlschere in den Backstein, reißt Stücke heraus. Das Urteil ist endgültig: Abriss. Das ganze Areal. Heute ist hier alles Geschichte mit kurzer Restlaufzeit, die Browns Lane Automobillegende und Jaguar im Umbruch – gelinde gesagt.

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Als eine der letzten Medien überhaupt konnte sich Classic Driver vor Ort auf dem ehemaligen „Jaguar factory plant“ umsehen. Aus Platz- und Geldnot hat Jaguar die Werkslatifundien an der Browns Lane in Coventry bereits vor einiger Zeit an einen Finanzinvestor veräußert. Jaguar produziert mittlerweile in Castle Bromwich und geplant sei in Allesley nun eine unvermeidliche Shopping Mall. Wie aber kommen die Jaguar Fahrzeuge auf das verwaiste Gelände? Die Lösung zu dieser Frage ist ein Code mit vier Buchstaben: JDHT.

JDHT - dahinter verbirgt sich der Jaguar Daimler Heritage Trust. Was 1983 und damit zwei Jahre vor dem Tod von Sir William Lyons als Vehikel zur Pflege des automobilen Kulturguts Jaguar ins Leben gerufen wurde, darf heute als die Schatzkammer der Marke gelten. Im buchstäblichen Sinne, denn die Werte des Inventars dürften mühelos einen dreistelligen Millionenbetrag erreichen. Mit einer Sammlung von über 160 außergewöhnlichen Fahrzeugen sind hier alle Epochen und Fahrzeugklassen der Marke vertreten. Ein neu gegründetes Museum zur Pflege der eigenen Tradition wie beispielsweise Audi, Mercedes-Benz, BMW und bald auch Porsche haben, besitzt Jaguar derzeit nicht. Geplant, ja, geplant sei es. So hört man immer wieder, doch wann es kommen werde, stünde letztlich in den Sternen über den Midlands oder in den Wolken von Madras, wenn man an die Übernahme durch die Tata Group denkt.

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Die kostbare DNA der Marke Jaguar liegt somit vielmehr in der Obhut des Trusts. Glücklicherweise, so möchte man in Anbetracht des Browns Lane Schicksals sagen, sind die Werte aufgrund der rechtlich gewählten Konstruktion des JDHT in Form einer selbständigen Stiftung vor dem direkten Zugriff der Investoren gefeit. Tony O’Keeffe, Neil McPherson und ihr kleines Team kümmern sich um den einzigartigen Bestand der Stiftung. Ihnen zur Seite stehen rund 30 freiwillige und passionierte Helfer, die sie bei der Pflege und Wartung der Fahrzeuge unterstützen, bei Events und internationalen Fahrveranstaltungen helfen und im Archiv tätig sind. Ohne diese Volunteers würden die Pretiosen des Trusts wohl kaum in Goodwood, auf dem Nürburgring oder bei der Mille Miglia zu bewundern sein.

Und es sind Pretiosen, über die wir hier berichten: In den Nebenräumen einer Halle parkt ein Flotte großer Daimler DS 420 Limousinen aus dem Fuhrpark des englischen Königshauses. Ausrangiert aber noch in erstklassigem Zustand. Dort stehen frühe E-Types und Prototypen der aktuellen Jaguar XK-Baureihe einträchtig beieinander. Eine Decke ruht über einer polierten XJ-Limousine der aktuellen Generation mit einer Karosserie aus Aluminium. Ein Prototyp für den damaligen Genfer Salon. „Die Formel 1 Fahrzeuge bitte nicht fotografieren“, mahnt unser Guide. Die Eigentumsverhältnisse der rund 15 Boliden seien noch nicht gänzlich geklärt.

Dafür gibt es eine wahre Story zur grünen Daimler V8 Limousine, die direkt neben dem giftgrünen XK8 aus dem James Bond Streifen „Die Another Day“ parkt: Die Daimler Limousine gehörte zum privaten Fuhrpark von Queen Elizabeth. Als der Wagen zum Trust überführt wurde, fuhr auf der Autobahn nach Cambridge unglücklicherweise ein Fahrzeug auf das Heck des V8 auf. Das ondulierte Fahrzeug alarmierte die Ordnungshüter. Die Polizei gab das Kennzeichen durch und nach kurzer Zeit kreisten Hubschrauber über der Unfallstelle, rückte gar ein Sonderkommando aus London an. Unser Fahrer war total perplex. Zu Recht: der Wagen hatte schließlich noch die persönliche Zulassung der Queen mit der Anschrift Buckingham Palace, London. Und Scotland Yard reagierte sofort mit diversen Sicherheitsmaßnahmen. Alarmstufe Rot.

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Unsere Sigthseeing-Tour geht weiter: Abteilung Neufahrzeuge und Prototypen. Hier warten der erste X-Type Estate und die letzte S-Type Limousine auf Auslauf. Daneben Jaguar Mk. II und die späte Sparversion, der Jaguar 240, mit Auslieferungskilometern auf dem Tacho. Dort hinten steht ein XJ40 Estate. Moment, XJ40 und Estate – den gab es doch gar nicht. Beinahe, das Fahrzeug hier ist ein absolutes Einzelstück. Hier vorne noch ein ungewohnter Anblick: ein X300 Polizei-Fahrzeug. Den hatte Jaguar den regionalen Behörden vorgestellt. Doch die winkten ab. „Zu teuer!“ Rover schien angemessener.

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Schnell wird deutlich: Nicht nur Jaguar hatte in Allesley ein Problem, auch die Stiftung hat eines: Zu viele Autos, zu wenig Platz. „Wir wissen momentan schlicht nicht wohin mit den Fahrzeugen. Verkaufen kommt nicht in Frage. Also haben wir sie auf dem Gelände verteilt“, sagt unser Guide mit der Schulter zuckend. Solange es die Hallen noch gebe, stünden die Autos wenigstens trocken. Hinter den Scheibenwischern der Fahrzeuge klemmen von Hand beschriebene Zettel. Notizen wie „Prepared to run“, „washed and Oil-Service done, starter renewed“ oder „polished and cleaned inside, still need to change sparks“ stehen auf den karierten Blättern. Die Zettel dokumentieren gleichsam den Fleiß der Volunteers bei der Pflege der sensiblen Katzen. Ein über 100 Jahre alter Daimler, zurück vom London Brighton Run, harrt seiner Inspektion neben einer halb demontierten goldenen frühen XJ-Limousine. „Ach ja, der Vanden Plas XJ gehörte übrigens Sir William Lyons – sein Dienstwagen, den er gerne persönlich fuhr“, ruft ein Mechaniker herüber. Grundsätzlich sollten alle Fahrzeuge zu jeder Zeit startklar sein. Verständlich, dass sich dieser Anspruch bei der bloßen Anzahl der Autos nicht immer erfüllen lässt.

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Bei einem Jaguar C-Type oder D-Type würde das richtig schmerzen. Reden wir doch über die automobile Hochkultur der Marke. Die Volunteers indes geben sich alle Mühe, auch diese Rennlegenden fit zu halten, um sie in England, Frankreich, der grünen Hölle oder der Mille Miglia in Italien wieder auf die Jagd zu schicken. Am Ende der Browns Lane steht ein modern und unversehrt wirkendes Gebäude: die Zentrale des JDHT. Im Warmen rasten hier weitere rund 25 Fahrzeuge. Neben Jaguar 120 XK OTS Legenden, frühen S.S. Modellen und diverse Prototypen der aktuellen Baureihen kauert in einer Ecke auch ein Vorserienfahrzeug des Supersportwagens Jaguar XJ 220. Auch der legendäre Jaguar XJ 13 steht hier. Seine ganz eigene Geschichte lesen Sie in unserem Klassikerporträt. Doch jedes der Trust-Fahrzeuge hat eine faszinierende Vita. Hoffen wir mit der Stiftung, daß diese ein glückliches Ende nehmen. Princess Diana jedenfalls kann nicht mehr helfen. Die Katzen sind sich überlassen. Und der die Männer hoffen auf ein Wunder. „In Jag, we trust!“

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Mehr Informationen über den Jaguar Daimler Heritage Trust und dessen einzigartiger Sammlung finden Sie unter www.jdht.com.

Text & Fotos: Mathias Paulokat


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