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In Erinnerung an Jochen Mass: Ein Leben am Grenzbereich

Ein lieber Freund und echter Gentleman hat uns verlassen. Jochen Mass ist am Sonntag im Alter von 78 Jahren gestorben. Mit ihm haben die Welt des historischen Motorsports und alle, die das Privileg hatten, ihn näher zu kennen, einen Menschen mit einzigartiger Ausstrahlung verloren.

Der 1946 im bayrischen Dorfen geborene Jochen Mass fuhr vor seinem Einstieg in den Motorsport zur See. Segeln blieb seine lebenslange Passion. Nach anfänglichen Erfolgen in Tourenwagen (unter anderem mit Ford) und dem Vize-EM-Titel in der Formel 2 schaffte er 1974 den Sprung in die Formel 1. Zunächst im Team von John Surtees, dann von 1975 bis 1977 als Stammfahrer für McLaren. Er blieb bis 1982 in der Königsklasse, fuhr dann noch für ATS, Arrows und March. Seinen einzigen, aber traurigen GP-Sieg feierte er 1975 beim GP von Spanien in Barcelona – für den er nach dem schweren Unfall von Rolf Stommelen und dem folgenden Abbruch nur halbe Punkte erhielt. Danach verlagerte Jochen seine Aktivitäten auf den Langstreckensport, zunächst für das Werksteam von Porsche und dann für Sauber-Mercedes, in dessen C9 er 1989 die 24 Stunden von Le Mans gewann. Noch lange nach seinem Rücktritt vom professionellen Motorsport blieb Jochen eine gefeierte Figur bei Classic Events und klassischen Motorsport-Meetings. Nicht nur bekannt für seine weiterhin schnellen Rundenzeiten, sondern auch für seinen Witz und Esprit, seine Großzügigkeit und sein enzyklopädisches Wissen über die Geschichte des Motorsports.

Classic Drivers CEO JP Rathgen erinnert sich, wie und wo er Jochen Mass zum ersten Mal traf: „Das war 2016 während der Schloss Dyck Classic Days, im Rahmen eines Welcome BBQ. Mein guter Freund und Gründer von Jägermeister Racing, ‚Eckie‘ Schimpf, lud mich an einen sehr speziellen Tisch ein. Ich weiß noch, wie ich am Kopfende auf einem Strohballen Platz nahm und mich ungläubig umguckte. Eckie hatte mich tatsächlich an einen Tisch voller Rennsportlegenden geladen: Christian Geistdörfer, Walter Röhrl, Prinz Leopold von Bayern, Hans-Joachim Stuck und auch Jochen Mass mit seiner Frau Bettina.

An diesem Abend, untermalt von Lachen, Geschichten und Erinnerungen, die zwischen Legenden ausgetauscht wurden, stupste Eckie Jochen an, etwas wie sich zeigte Unvergessliches vorzuführen. Und das tat er. Jochen begann, alle Strophen von Schillers „Der Taucher“ zu rezitieren. Am Tisch wurde es still, wir waren alle gebannt. Nur wenige wussten, dass Mass in jungen Jahren begonnen hatte, Gedichte auswendig zu lernen, um sich vor einem Rennen besser konzentrieren zu können. Eine geistige Disziplin, die seine Entwicklung vom bescheidenen Schiffsjungen zu einem scharfsinnigen und redegewandten Kulturliebhaber und Rennfahrer begleitete.

Dieser Abend im Jahr 2016 war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Seitdem haben wir viele Momente der Freude und des Lachens geteilt – Jochen hatte einen bemerkenswerten Sinn für Humor. Ich habe von ihm auch viel über Rennstrategien und das Innenleben des Motorsports gelernt. Auch wenn ich selbst nie Rennfahrer geworden bin, waren Jochens Erkenntnisse von unschätzbarem Wert. Das Goodwood Members' Meeting und das Revival werden ohne ihn nicht dasselbe sein. Er brachte Wärme, Schalk, Intellekt und Freundlichkeit in jedes Fahrerlager und jedes Gespräch. Ich werde meinen lieben Freund sehr vermissen, der immer für einen Scherz zu haben war und immer für ein Lächeln sorgte.“

Wir werden Dich alle schmerzlich vermissen, Jochen.