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Das waren die schönsten Momente der Mille Miglia 2018

Die Mille Miglia führt durch das Herzstück Italiens und ist eine atemberaubende Rallye bei der große Geschichte lebendig wird. Für Rémi Dargegen ist es einiger Frustrationen zum Trotz immer noch das schönste Straßenrennen der Welt. Hier sind seine Eindrücke von der diesjährigen Auflage.

Prolog

Was man bei der Mille Miglia unbedingt beachten muss ist, dass die Organisation – diplomatisch ausgedrückt – italienische Eigenheiten besitzt. Schon die Akkreditierung bot eine erste Hürde, denn es gibt zwei unterschiedliche Aufkleber-Sets für das Auto, die auch einen unterschiedlichen Zugang gewähren, aber wir erhielten die falschen Sticker. Wenn man also die gesamte Route zwischen Rom und Brescia hautnah begleiten möchte und dann feststellt, dass man zu frustrierend langen Umleitungen gezwungen wird, macht einen das nicht gerade glücklich. Wir hätten Ihnen gerne mehr unmittelbare Bilder vom faszinierenden Mix der teilnehmenden Fahrzeuge und der Durchfahrt durch historische Innenstädte gezeigt, doch wir mussten leider draußen bleiben.

Die Helden von 2018

Aber trotz dieser organisatorischen Hürden für Chronisten, ist die Mille Miglia immer noch das schönste Straßenrennen der Welt. Allein die Auswahl der Autos ist nicht nur zahlenmäßig groß, sondern bestechend, wobei das Starterfeld 2018 zu den besten überhaupt zählen dürfte. Aus dem illustren Kreis der rund 450 Teilnehmer einen hervorzuheben, erscheint zwar fast unmöglich, aber wir haben uns für den Alfa Romeo P3 Tipo B entschieden. Nach dem Sieg beim Grand Prix in Monaco 1934 avancierte es zum einzigen Exemplar, das von der Scuderia Ferrari nach Zweisitzer-Spezifikationen modifiziert worden ist - und sicherte sich daraufhin 1935 den Sieg bei der Mille Miglia. 

Etceterini, ecteterini

Überhaupt Ferrari: Die versammelte Herde an springenden Pferden war zwar außergewöhnlich, dennoch gewinnt man den Eindruck, dass jedes Jahr immer weniger wirklich wichtige Beispiele zu bestaunen sind. Dieses Jahr waren mit von der Partie beispielsweise der 500 Mondial mit Classic Driver-Händlern Tom Hartley Jnr. und Max Girardo am Steuer, der 225 S Vignale, 166 MM, 750 Monza und der ganz wunderbare 857 S. Andere bemerkenswerte Autos waren der Alfa Romeo 6C 1750 Aprile aus der Sammlung Lopresto, dem das Kunststück gelang, nach 1.000 Meilen Staub und Schmutz sogar noch besser auszusehen, und mit dem 8C 2900 Boticella unser alljährlich wiederkehrender Liebling.

Aber man darf unter diesen erlauchten Marken auch nicht die zahlreichen funkelnden Edelsteinchen, genannt Etceterinis, vergessen: italienische Rennwagen mit kleinem Hubraum, die in den vierziger und sechziger Jahren für Furore sorgten und auf so klangvolle Namen wie Ermini, Cisitalia, Siata, Stanguellini, Faccioli, Dagrada und Bandini hörten. Zu unseren Favoriten gehörten das Cisitalia 202 D 2800 Coupé, die Ermini 1100 Berlinetta Motto sowie der Fiat 1100 Sport von Ermini - wunderbar beherzte kleine Autos. 

Magische Momente

Der Nimbus der Mille Miglia ist auch der Route zu verdanken, die sich von Brescia bis Rom und wieder zurück schlängelt, sei es die Fahrt durch die Berglandschaft nach dem Passo della Cisa oder die Parade der Automobile nach Parma vor der Kulisse eines grandiosen Sonnenuntergangs oder der chaotische Slalom durch Mailand, bei dem sich die Teilnehmer nicht nur gegen den Großstadtverkehr behaupten, sondern auch um Straßenbahnen herum manövrieren mussten. Zu diesen charakteristischen Momenten bei fast jeder Mille Miglia zählt tatsächlich der Regen. Da die meisten Autos offen fahren, müssen die Teams rasch trockene Orte finden, um das Dach zu schließen. Und wenn sie nicht unter eine Haube schlüpfen können, dann legen sie stoisch Regenkleidung an. 

Nur bei der Mille Miglia

Was die Routenführung betrifft, würde man sich allerdings wünschen, dass weniger Wert auf historische Genauigkeit gelegt würde. Wäre es nicht sinnvoller eine Strecke zu entwerfen, die einerseits den Teilnehmern mehr Fahrgenuss bietet und zugleich Rücksicht auf fragile, alte Sportwagen nimmt - wer hat schließlich Lust, einen kostbaren Vorkriegsklassiker durch graue Industrieansiedlungen und endlose Staus zu pilotieren? In dieser Hinsicht punkten die fraglos die Organisatoren der Tour Auto.

Wo wiederum die Mille Miglia die französische Rivalin überholt: die Atmosphäre der Veranstaltung. Zuschauer über Zuschauer und keine Gemeinde entlang der großen Sause von Brescia nach Brescia, die sich das Spektakel entgehen lassen. Sei es morgens um sechs oder spät in der Nacht. Örtliche Autoclubs, Kinder, die schulfrei bekommen haben und betagte Dorfbewohner säumen die Route, um dem historischen Konvoi und seinen Helden zuzujubeln. Auch die Regeln des Straßenverkehrs sind in diesen Tagen aufhoben. Ein Phänomen, das gewöhnungsbedürftig ist, wenn beispielsweise die Polizeieskorte der Mille Miglia dazu auffordert, rote Ampeln und Stoppschilder zu ignorieren oder man die Lizenz bekommt, mit 90 Stundenkilometer kleinste Dörfer zu passieren und dabei auch noch die Fahrbahnmitte für sich beanspruchen zu dürfen.

Grazie Mille!

Wie jedes Jahr, wenn das letzte Fahrzeug die Ziellinie der Mille Miglia passiert hat, fühlen wir uns zunächst leer und traurig, dass es schon wieder vorbei ist. Und das, trotz der Hindernisse, Ärgernisse, den langen, erschöpfenden Tagen und der unbestreitbaren Gefahr. Aber diese Veranstaltung besitzt einen ganz eigenen Charme, den sich kaum ein Enthusiast entziehen kann. Zu erleben, wie die Teilnehmer erschöpft und beglückt in Brescia ankommen, meist mit einem prickelnden Getränk oder einer Zigarre in den von Blasen zerschundenen Händen - es macht einfach stolz und glücklich, Teil dieses historischen Straßenrennens sein zu dürfen. Grazie, Mille Miglia! 

Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2018