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Manufaktur der Meisterwerke

„Prämierte Concours-Schönheit, besser und schöner als bei ihrer Werksauslieferung!“ Wer sorgt für solche Schlagzeilen? Neben den Eigentümern, die viel Geld in automobile Avantgarde investieren, sind es wenige spezialisierte Restaurationsunternehmen wie der Betrieb von Ulrich Weinberg in der Friesischen Wehde. Ob BMW 507, Ferrari 212 Inter oder Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer: bei Ulrich Weinberg werden Automobil-Legenden von Grund auf wiederbelebt. Wenn nötig, in allen Details bis auf die sprichwörtlich letzte Schraube restauriert. Ein Besuch in den heiligen Hallen des „Past Masters“.

Sieh mal einer an! Mittlerweile sind auch die Fahrzeughersteller dahinter gekommen: Die Komplettrestauration von hochwertigen Automobilen ist ein interessantes Geschäftsfeld mit nennenswerter Wertschöpfung. Gerade erst hat BMW sein neues Classic Center eröffnet, um sich der Wiederherstellung der hauseigenen Klassiker zu widmen. Mercedes-Benz, Ferrari und auch Porsche verfügen ebenfalls über eigene Klassiksparten- oder abteilungen, die sich intensiv mit der eigenen Markenhistorie beschäftigen, alte Fahrzeuge revitalisieren, komplett neu aufbauen und umfangreiche Services für Old- und Youngtimer anbieten. Es ist ganz offenkundig so: In Zeiten, in denen der Absatz neuer Fahrzeuge einbricht, scheint eine Rückbesinnung auf überbrachte Werte sogar bei den großen Adressen plötzlich opportun.

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Die Restauration von Fahrzeugen haben die Hersteller gleichwohl nicht erfunden. Dieses hochentwickelte Handwerk der perfekten Totalrestauration geht zurück auf wenige begnadete Enthusiasten und passionierte Spezialisten, denen es tatsächlich und vollkommen markenunabhängig gelingt, alte Fahrzeuge in neuer Blüte auferstehen zu lassen. Und wenn es der Auftraggeber wünscht, eben auch „besser als neu“. Dies oftmals nur anhand weniger Originalfotos, welche mit ihren Schattenverläufen die Ursprüngliche Karosserieform erahnen lassen. Oder aber mittels ein paar rostiger Fragmente, die Unwissende glatt zur Altmetallentsorgung geben würden. Wer indes mit offenen Augen beispielsweise über die Bremen Classic Motor Show schlendert, stößt nicht nur auf wunderbare Fahrzeuge, sondern auch auf Kapazitäten wie Ulrich Weinberg, der mit seinem Betrieb nördlich von Oldenburg und fünf Angestellten in Sachen Automobil wahre Wunder vollbringt.

Weinberg hatte praktisch schon alles in seinen Hallen auf der Bühne, in den Händen und, man staune, auch im Regal. Denn: „Wir zerlegen ein Fahrzeug komplett. Lagern die Teile in unserem Regalsystem ein und starten dann die Totalrestauration nach Kundenwünschen von Anfang an.“ Als Beispiel und aktueller Beweis dient ein Mercedes-Benz 300 SL Roadster, dessen Karosserie noch vom Fahrwerk getrennt ist. Ein weiterer filigraner Gitterrohrrahmen wartet von den Aggregaten ausgebeint auf seine Vervollständigung. Eine Skulptur, deren Komplexität beinahe dem menschlichen Skelett ähnelt und höchsten Respekt verlangt. Ulrich Weinberg alleine hat in seiner Karriere schon sieben Flügeltürer und vier 300 SL Roadster komplett restauriert. Damit nicht genug: hinzu kommen beispielsweise acht BMW 507, vier Maybach-Fahrzeuge aus den Jahren 1932 und 1938, sowie zehn Veritas Rennwagen der Jahrgänge 1947 bis 1950. Und das ist nur eine kleine Auswahl der außergewöhnlichen Projekte . Neben einigen teilrestaurierten Fahrzeugen verlassen pro Jahr nur etwa drei neu erschaffene Automobile den unscheinbaren Betrieb. Ist das noch Handwerk oder schon Kunst? Vermutlich beides. Mit üblichen Werkstattarbeiten jedenfalls hat Weinbergs Wirken längst nichts mehr zu tun.

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Dabei gilt folgende Faustregel: „Ein Auto, zwei Mann, ein Jahr!“ Soviel Ressourcen benötigt es, um ein Fahrzeug von Grund auf neu herzurichten. Egal ob nun Vorkriegs-Bentley, mondäner Maybach-Jagdwagen, Mercedes-Benz 380 KA, ein Prototyp mit Bertone-Spezialkarosserie oder Meteor-Rennwagen. Dieser immense Aufwand schränkt den Kreis der Fahrzeuge, bei denen so ein Vorhaben objektiv wirtschaftlich vertretbar ist, erheblich ein. „Nehmen Sie beispielsweise die aktuelle Classic Driver Sleeping Beauty-Auswahl“, sagt Weinberg, „prinzipiell könnten wir jedes der 24 vorgestellten Fahrzeuge komplett neu aufbauen. Doch bei einem Ferrari Dino GT4 dürfte das in Anbetracht des Arbeits- und Kostenaufwands wirtschaftlich kaum vertretbar sein.“

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Bei einem Ferrari 212 Inter/ Export, Vignale Karosserie, mit der Chassis-Nummer 0163E, Jahrgang 1951, ist das natürlich etwas anderes. Von diesem Fahrzeugtyp entstanden gerade mal 48 Fahrzeuge, wobei jedes für sich ein Unikat ist. Ulrich Weinberg baute das sogenannte „Lissabon-Taxi“ nach beinahe fünf Jahrzehnten komplett neu auf. Arg verschlissen und lädiert zeigte sich die einstige Schönheit, die auf diesen seltsamen Rufnamen hört, weil ihr erster Eigentümer die gleiche Farbgebung der Taxen von Lissabon wählte: schwarze Karosserie, mintgrünes Dach. „Wir mussten ganze Elemente, wie den einzigartigen Kühlergrill, rekonstruieren und als Unikat nachbauen.“ Dies ist Weinberg perfekt gelungen. Und das Ergebnis hat sich bereits herum gesprochen. Die klassische Doppelniere des BMW 507 Roadsters beispielsweise fertigt Weinberg mittlerweile als einziger exklusiv an. Auch die Karosserie, Lack und Polsterarbeiten zur Wiederherstellung des NSU 6/30 Werksrennwagen aus dem Jahre 1925 gab eine andere Traditionsmarke an die Firma Weinberg ab.

Was zeichnet einen Restaurateur aus, der sein Handwerk wirklich beherrscht? Laut Ulrich Weinberg sind es drei Dinge: „Handwerkliche Perfektion, Improvisationstalent und Optimismus. Ohne diese Fähigkeiten geht es nicht“, ist Weinberg überzeugt. Wenn es beispielsweise gilt, Karosserieschwünge nachzuempfinden, für die es keine Pläne mehr gibt. Oder alte Fensterdichtungen und gewölbte Panoramascheiben rekonstruiert werden müssen, die nur einmal verbaut wurden, ist der Grat zur Verzweiflung manchmal äußerst schmal. Dann sind Fingerspitzengefühl und Geduld gefragt. Die friesische Abgeschiedenheit gewährt eben diesen Tugenden genügend Freiraum. „Angst habe ich vor keinem Projekt“, sagt Ulrich Weinberg. „Aber Respekt vor dem Projekt ist bei uns ein ständiger Begleiter.“ Und dies in dem nun seit 40 Jahren existierenden Unternehmen.

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„Gelernt habe ich diesen Beruf vor über 20 Jahren bei Ulrich in de Frey und seitdem praktisch alles selbst gemacht: Karosseriebau, Tischler-, Sattler- und Lackierarbeiten, Fahrwerk- und Motorentechnik“, erzählt Weinberg. 1994 übernahm er den Betrieb seines Lehrmeisters, firmiert seitdem als „Ulrich Weinberg – Restaurationsbetrieb für historische Fahrzeuge“ und Erwarb sich einen Ruf weit über die Landesgrenzen hinaus. Mittlerweile ist seine Kundschaft im besten Sinne International.

„Der Kreis echter Top-Restauratoren, die einen Full-Service bieten, ist klein“, sagt der Meister. Und bescheiden fügt er an: „Ein weltweites Netzwerk zu den jeweiligen Fahrzeug-Spezialisten ist neben dem handwerklichen Vermögen ein weiterer Schlüssel zum Erfolg.“ Seit Jahren schon arbeitet er beispielsweise mit einem Mercedes Spezialisten zusammen, der fast nichts anderes macht, als die anspruchsvolle Technik des 300 SL zu warten und instand zu setzen.

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Die Restauratoren Gemeinde ist ein eingeschworener Kreis. Werbung und reißerisches Marketing ist dieser Gilde fremd. Vielmehr sprechen die geschaffenen Automobile für sich und zu denen, die sich so ein Unterfangen finanziell erlauben können. Gezahlt wird in der Regel per Bauabschnitt, und eine umfangreiche Dokumentation mit bis zu 1000 Detailfotos begleitet jede Komplett-Restauration. Der Auftraggeber müsse sich dabei entscheiden, ob er sein Auto nach damaligen oder heutigen Maßstäben hergestellt haben will. „Wer den modernen Standard wählt, erhält ein Fahrzeug, welches beispielsweise bessere Flächen und Spaltmaße aufweist, als vom Hersteller ursprünglich ausgeliefert“, erklärt Weinberg. Nicht jeder will dieses Hochmaß an Perfektion. Ein Bentley aus den zwanziger Jahren hatte zu keinem Zeitpunkt eine so perfekte Karosserie wie beispielsweise ein aktueller GTC. „Aber es gibt auch ein Zuviel des Guten“, weiß Weinberg.

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Ein weiteres Beispiel seiner Werkkunst: der Glöckler-Porsche von 1954. Ein kompletter Wiederaufbau. Weltweit existente Stückzahl: ein Fahrzeug! Ulrich Weinberg berichtet: „Auch wenn man es kaum glauben mag: Reinrassige Rennwagen mit Porschemotoren gab es schon zeitgleich mit den ersten komplett von Porsche selbst gefertigten Rennwagen – schuld daran waren Walter und Helm Glöckler, Rennfahrer und Autohändler. Sie bauten zwischen 1948 und 1955 nur etwa eine handvoll Rennwagen. Dazu zählen offene Spyder und nur ein Coupé.“ Es handelte sich dabei um Fahrzeuge, die nicht nur im Motorsport erfolgreich waren, sondern auch bei Hochgeschwindigkeits-Rekordfahrten auf der Rennstrecke von Monthléry für Weltrekorde sorgten. Weinberg weiter: „Ursprünglich für die Mille Miglia geplant, wurde der letzte gebaute Glöckler-Porsche 1954 für die berüchtigte Liège-Rom-Liège-Rallye als Coupé fertig gestellt. Dort fiel das Auto recht früh aus, gelangte dann zu Versuchszwecken zu Porsche, bevor es in die USA verkauft wurde.“

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Dort verunfallte der Glöckler-Porsche spektakulär, indem er in eine Schlucht stürzte und der Fahrer samt Fahrzeug nach Wochen tot aufgefunden wurde. „Nach der Bergung des Wracks geriet das Fahrzeug in einer verstaubten Halle in Vergessenheit. Der jetzige Eigentümer spürte es auf und beauftrage uns, das Wrack in Original Zustand von1954 zu versetzen“, sagt Weinberg. Und so machte sich das Team ans Werk und ließ diesen Porsche-Sportwagen wieder auferstehen, dessen jetziger Zustand besser als bei Werksauslieferung sein dürfte. „Die Karosse ist von uns per Hand unter Verwendung der verbliebenen Original Karosserieteile rekonstruiert worden. Alles fehlende an diesem Fahrzeug ist eigens nach Bildern neu angefertigt worden wie z.B. Dichtungen, Scheiben und Sitze. Bei dem 1,5-Liter-Fuhrmann-Motor handelt es sich um ein reinrassiges Rennaggregat mit vier oben liegenden Nockenwellen, welche via Königswellen angetrieben werden“, erklärt der Meister. Nachdem Weinberg das Fahrzeug für seinen Auftraggeber fertig gestellt hatte, war es, wie auch der Vignale Ferrari, bei der Concours d´Elegance Veranstaltung der 1. Schloss Bensberg Classics zu sehen.

Perfektion kennt viele Variationen doch nur eine Konvention. Wie notierte einst der Philiosoph Stanislaw Jerzy Lec in seinen „unfrisierten Gedanken“? „Die Proportionen des Schönen sind einfach – hundert Prozent.“ Die Manufaktur der Meisterwerke macht es möglich: Ulrich Weinbergs automobile Kreationen erreichen diesen Standard. Und wenn gewünscht sogar noch etwas mehr.

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Text & Fotos: Mathias Paulokat


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