Mehr Speicherplatz: Anfang April 2008 öffnet in der Hamburger Hafen-City die Sammlung Prototyp ihre Schleusen. Wir statteten den Machern und ihrer Backsteinburg am Rande der Speicherstadt einen Besuch ab. Unser Tourfahrzeug: der neue Porsche Cayenne GTS. Eine rasante Annäherung von Alt und Neu.
Sonor, schnell und stark. So läuft der neue Porsche Cayenne GTS in Hamburg auf. Den Weg von Stuttgart-Zuffenhausen in die Hansestadt, Stadtteil Klostertor, absolvierte der potente Geländebolide in Bestzeit. Die Sporttaste gedrückt, schaltet die Auspuffklappe den Hauptschalldämpfer auf Durchzug. Der Achtzylinder-Saugmotor mit 4,8-Liter Hubraum holt tief Luft, grollt dunkel und tritt mit 405 PS (298 kW) zum Ausdauersprint an. Eben noch Landstraße, dann Autobahn, die Elbbrücken und jetzt über die neue Shanghaiallee rein in die Hamburger Speicherstadt.
Die Buchstabenkombination GTS steht bei Porsche für die ausgewogene Kombination aus Langstreckentauglichkeit und Sportlichkeit. Das gilt im GTS genauso wie für das Ziel der Fahrt: die Prototyp Sammlung in der neuen Hafen-City. Mit ausgesprochen langem Atem setzten die beiden Initiatoren Oliver Schmidt (34) und Thomas König (36) eine sportliche Idee, ihren Lebenstraum, in die Tat um: ein eigenes Museum mit Sportwagen, Rennfahrzeugen und Prototypen. Bewegende Geschichte im wahrsten Wortsinn. Anfang April ist es soweit. Der Prototyp ist startklar. Und öffnet seine Pforten.
Vor rund einem Jahr waren wir schon einmal vor Ort im König Haus – nur wenige hundert Meter vom International Cruise Center entfernt. Schmidt und König luden damals zur abendlichen Preview – einige Exponate waren zu sehen, viele Interessierte kamen, Classic Driver berichtete – unser Fazit: „Speicher voll“. Ein anderes Bild bei unserem Folgebesuch: „Speicher leer“ lautet offenkundig die Devise im Erdgeschoß. Alles frisch und weiß. Alles besenrein. „Wir stecken mitten in der heißen Phase“, sagt Oliver Schmidt, „machen klar Schiff. Und haben noch einen Zettel mit Baumängeln, die länger als die Ausstattungsliste für den Porsche Cayenne ist.“ Er muß es wissen, schließlich ist er mit seinem Partner und Schwager König überaus Porsche erfahren, bezwangen sie mit ihrem Cayenne Transsiberia auf der gleichnamigen Rallye zuletzt doch über 6.000 beinharte Rallyekilometer von Moskau nach Ulaanbaatar in die Mongolei. Jetzt aber müssen die Prototyp-Exponate in den Speicher geladen werden; fast fünfzig an der Zahl. König und Schmidt sind die Dirigenten dieser Aktion, wechseln sich im Piloten und Co-Piloten Sessel gegenseitig ab.
Als Museumsdirektoren indes sehen sich die beiden dabei nicht. „Auch wenn dies einmal unser Jugendtraum war“, wie König und Schmidt gleichermaßen zugeben. Los ging es mit dem Führerschein und einem „total vergammelten VW Kübelwagen, den wir für 500 Mark erstanden.“ Aber: „Die Tätigkeit eines Museumsdirektors setzt ein Museum voraus. Von diesem Klischee hat sich unser Ansatz als Sammler immer weiter entfernt“, resümiert Thomas König. Denn das, was Besucher der Sammlung Prototyp in der HafenCity Hamburg am dem 12. April 2008 bewundern dürfen, hat mit konventioneller Präsentation von Kulturgut nur noch wenig zu tun. „Statische Exponate, ängstlich abgesperrt, technische Daten auf nüchternen Erklärungstafeln – solche Langeweile haben weder unsere Besucher, noch die Ausstellungsstücke verdient.“
Was aber dann? Der Erstbesuch verrät es: Einen dynamischen Ansatz auf drei Etagen. Mobile und Immobilie im Einklang. Eine Sammlung zum Anfassen. Eine Ausstellung, die lebt. Hier helfen ein einmaliges Gebäude, einzigartige Fahrzeuge, umfangreiche Multimedia-Technik und die Kreativität der Macher. Ein Café, eine Bibliothek und eine gläserne Restaurationswerkstatt gehören auch zum Prototyp Gesamtkonzept. „Wir wollen uns als kleine, aber feine Pilgerstätte mobiler Kultur etablieren, die außerhalb der markengebundenen Erlebniswelten verschiedener Hersteller einzigartig sein dürfte“, so Oliver Schmidt. Seltene Exponate wie ein Sagitta, der siegreiche Cisitalia D 46 von Hans Stuck, ein extrem rarer Denzel Sportwagen, der Audi Le Mans-Prototyp oder auch ein Jordan 191 von Michael Schumacher dokumentieren diesen Anspruch.
Viele der Fahrzeuge entstammen zudem aus einer Epoche des chronischen Materialmangels. Der „Fetzenflieger“ des österreichischen Rennfahrers Otto Mathé beispielsweise. Oder der legendäre Petermax Müller Rennwagen, mit dem der hannoversche Volkswagen-Händler unter anderem 22 Gruppensiege und acht Weltrekorde auf der Strecke von Montlhery feierte. Oliver Schmidt führt diese Ikone unlängst in Goodwood beim Festival of Speed und beim Hamburger Stadtparkrennen aus. Schließlich sind die Pretiosen trotz ihren Alters Fahrzeuge und keine Stehzeuge.
Porsche bildet einen Schwerpunkt der Sammlung. 904 GTS oder 911 GT3 RS dokumentieren unterschiedliche Epochen und Ansätze im Motorsport der Marke aus Stuttgart. Keine Motorsport-Herkunft, aber eine umso größere geschichtliche Bedeutung hat der schwarze Porsche 356, dessen Fahrgestellnummer 5047 ein höchst wirksamer Pulsbeschleuniger für Automobil-Chronisten ist: die Ziffern stehen für das älteste Coupé der Stuttgarter Renn- und Sportwagenschmiede, das heute noch existiert. Nach aufwendiger Restauration erhielt der 356er vor einem italienischen Künstler ein tiefschwarz glänzenden Nitrolack. Authentizität im Detail. Oder „Pars pro proto“, wie man im Speicher in Anlehnung an die lateinische Redewendung des Teils für das Ganze gerne sagt. Classic Driver wird rechtzeitig zur Eröffnung des Prototyps ein Klassikerporträt über dieses Fahrzeug veröffentlichen.
Unten im Hof: Im direkten Vergleich zum Transsiberia Cayenne wirkt unser GTS viel gedrungener. Kein Wunder: Bug und Heck gleichem dem Cayenne Turbo, die auf jeder Seite um etwa 14 Millimeter ausgestellten Radlaufverbreiterungen machen den GTS jedoch zum optisch kraftvollsten Modell der Baureihe. Innen unterstreichen die elektrisch verstellbaren 12-Wege Sportsitze mit erhöhten Seitenwangen den Anspruch. Technisch vertraut der Cayenne GTS auf ein speziell für diese Modellvariante entwickeltes Fahrwerk, welches eine Stahlfederung mit dem geregelten Dämpfersystem PASM kombiniert. Das gab es so bislang nur in den Sportwagen von Porsche. Auch Oliver Schmidt und Thomas König zeigen sich trotz Stress im Speicher sehr interessiert. „Probefahrt gefällig?“, frage ich. Gern, doch dafür reicht die Zeit nicht. Denn jetzt muss erst einmal der historische Tempo Matador Renntransporter von 1951 in den Speicher gefahren werden. Und das machen die Chefs selbst. So sind die beiden Hamburger: immer in Bewegung.
Text & Fotos: Mathias Paulokat
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