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Magazin

Wir blicken zurück auf das Auto-Auktionsjahr 2020 – Teil 1

2020 war das Jahr, in dem das Coronavirus die Welt zum Stillstand brachte – und der digitale Kauf eines Sammlerautos ganz ungesehen, per Mausklick endgültig zum Normalfall wurde. Wir blicken zurück auf ein turbulentes Auktionsjahr.

Wer hätte im Januar dieses Jahres schon geahnt, dass schon Wochen später eine Pandemie zum Stillstand bringen sollte – und für eine unerwartete Revolution der Automobilauktion wie wir sie kannten sorgen würde? Selbst wir bei Classic Driver, die wir auf 22 Jahre im Internet zurückblicken, hätten nicht erwartet, dass die vertrauten Szenarien vom dichten Gedränge in den Verkaufsräumen in Goodwood, Pebble Beach, Villa d‘Este und Amelia Island derart rasant dem Bieten per Mausklick vor dem heimischen Bildschirm oder am Smartphone weichen würden. 

Ein Gebot abzugeben, ohne physisch anwesend zu sein, ist natürlich an sich nichts Neues. Seit knapp einem Jahrhundert haben Versteigerer auf ihrer Bühne mit dem ersten Hammerschlag durch die geschriebene Anweisung oder dem Telefonat der Käufer ihre Geschäfte abgewickelt. Aber noch nie zuvor avancierten Ferngebote zur notwendigen, unausweichlichen Norm. Nicht „mittendrin dabei“ sein zu können, scheint dem anhaltenden Enthusiasmus der Käufer und Sammler auch im Krisenjahr 2020 keinen Dämpfer verpasst zu haben. Natürlich sind die Umsätze im Vergleich zu den Vorjahren etwas gesunken, aber eine Preiskorrektur zeichnete sich sowieso schon vorher ab. Dennoch generierte der Verkauf von klassischen Automobilen durch die vier großen spezialisierten Auktionshäuser – Artcurial, Bonhams, Gooding & Co. und RM Sotheby‘s – im Jahr 2020 mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar Umsatz. 

Hier sind einige Highlights der Autos, die in den herausfordernden letzten zwölf Monaten unter den Hammer gekommen sind. Zugleich belegt diese Bilanz, wie rapide sich die Auktionshäuser und Bieter auf diesen fundamentalen Wandel eingestellt haben – auch in Kooperation mit Online-Plattformen wie Classic Driver. 

Januar

Zum Auftakt des Jahres 2020 schien alles noch business as usual zu sein, während die Bieter zu den jährlichen Saisoneröffnungen in die USA eilten. Bei Mecum kam eines der berühmtesten Autos der Filmgeschichte unter den Hammer – der bestechend originale Fastback-Mustang in Highland Green aus „Bullitt“, der nach Jahrzehnten in Familienbesitz für 3,7 Millionen US-Dollar einen Käufer fand. Bei der großen traditionellen Scottsdale-Versteigerung realisierte Gooding stolze 35,5 Millionen Dollar aus einer Fülle von Sammlerautos, an deren Spitze der Ferrari F50 von 1995 mit 3,2 Millionen Dollar sowie ein Hispano-Suiza J12 mit Binder-Karosserie von 1932 standen.

Februar

Irgendetwas war nicht in Ordnung. Bei der Peninsula „Best of the Best“-Gala im Rahmen der Pariser Rétromobile-Woche erzählte Sir Michael Kadoorie, dass gerade ein neuartiges Coronaviurs Hongkong heimsuchte und sich in seinem Hotel in Kowloon mit 300 Zimmern gerade einmal 20 Gäste verloren. In Europa gingen die Geschäfte indes weiter: Bei der Rétromobile-Auktion von Artcurial gab es das übliche Gedränge, als ein Ferrari 275GTB-Rennwagen von 1965 mit 2,5 Millionen Euro alle anderen Lose übertraf,;Bonhams erzielt derweil 690.000 Euro  mit dem ersten MAT New Stratos.

März

Plötzlich geriet alles außer Kontrolle und die Welt stand Kopf – auch jene der Automobilauktionen. Überall wurden Events gestrichen oder verschoben – vor allem die Mega-Versteigerung „Passion of a Lifetime“, die Gooding & Co. ausgerechnet am 1. April in London durchführen wollte, riss eine Lücke in den Kalender. Doch jenseits des Atlantiks fanden sich Käufer noch live in den Verkaufsräumen ein – wie beispielsweise bei den wichtigen Auktionen in Amelia Island. Hier gelang RM Sotheby‘s eine Abverkaufsrate von 94 Prozent. Angeführt wurde die Verkaufsliste von einem Ferrari Enzo, der für 2,7 Millionen Dollar unter den Hammer kam, sowie einem Bugatti Type 57 von 1938 mit einzigartiger Cabriolet-Karosserie, der 1,6 Millionen Dollar erlöste. Bei Gooding & Co. fand ein Rolls-Royce Silver Ghost von 1914 für 2,2 Millionen Dollar eine neue Garage und mit dem Porsche RUF Turbo R für 676.000 Dollar wurde zugleich ein neuer Rekord aufgestellt. Bonhams verbuchte für sich den teuersten Verkauf der Amelia-Island-Woche – ein Bugatti Type 55 Super Sport wechselte für 7,1 Millionen Dollar den Besitzer. Nicht weniger erstaunlich waren die 456.000 Dollar für das Myers Manx Beach Buggy aus „Thomas Crown is nicht zu fassen“.

April

Nun war niemand mehr unterwegs. Fast überall wurden Lockdowns verordnet, die meisten Menschen mussten zuhause bleiben – und hatten mehr Zeit denn je, um online die Auktionskataloge zu studieren. Auktionshäuser zündenten bei ihren bereits bestehenden Internet-Plattformen eine Art Turboeffekt. Bieter, die es gewohnt waren, ein Auto mit einer Handbewegung zu kaufen, mussten sich nun ins Netz begeben. Die Auktion von RM Sotheby‘s in Palm Beach im späten März war die erste wichtige Veranstaltung dieser Art, die exklusive online abgehalten worden war. Dennoch machte man bei der Premiere mit einem Erlös von 13,6 Millionen Dollar das Beste aus einer Umbruchsituation. Das Haus toppten die eher bescheidenen April-Verkäufe mit 550.000 Dollar für den letzten Porsche 911 Speedster der 991-Baureihe – der Erlös wurde in Gänze dem United Way Covid 19 Fund gespendet. Bonhams organisierte derweil eine Wohltätigkeitsauktion für den britischen nationalen Gesundheitsdienst und erzielte unter anderem mit Lewis Hamiltons Rennanzug von 2019 stolze 12.000 Pfund.

Mai

Statt sich auf ein glamouröses Wochenende mit Prosecco und dem Anblick exquisiter Automobile vor der Kulisse des Comer Sees auf dem gepflegten Grün der Villa d‘Este und der Villa Erba zu freuen, hatten sich Enthusiasten inzwischen mit einem Leben im Lockdown arrangiert. Im Vereinigten Königreich luden Silverstone Auctions zur ersten komplett online stattfindenden Versteigerung in ihrer Jahrzehnte alten Historie. Allerdings konnten Interessenten nach strengen Corona-Auflagen organisierte Besichtigungstermine buchen. Trotz der neuen Situation wurden fast 90 Prozent der Lose verkauft und insgesamt 4,6 Millionen Pfund erlöst. Der stabile Trend für moderne Rennwagen wurde mit einem Gebot von 336.600 Pfund für den Peugeot T16 von 1984 bestätigt.

Bei Bonhams bewährte sich in dieser Pandemie-Situation die Strategie, mit der MPH-Auktion in Bicester Heritage eine Einsteigerveranstaltung zu bieten. Das riesige Areal gestattete physische Präsenz mit ausreichendem Abstand der Käufer und der Verkauf der Autos, die für diese Versteigerung versammelt waren, bewies sich all voller Erfolg. Zu den typischen Losen zählten ein Lynx Eventer Jaguar XJS, der für 60.750 Pfund verkauft wurde, und ein Land Rover Series I, der für 14.625 Pfund einen neuen Besitzer fand. Aber es war vor allem RM Sotheby‘s Auktion „Driving into Summer“, die belegte, wie sehr sich Enthusiasten mit Online-Bieten angefreundet hatten: Es wurden beeindruckende 16,3 Millionen Dollar erzielt. Und man stellte auch noch einen Rekord für ein über das Internet verkauftes Auto auf: Ein Ferrari Enzo von 2003 kam für 2,6 Millionen Dollar unter den virtuellen Hammer.

Der zweite Teil unseres Rückblicks auf das Auktionsjahr 2020 erscheint am 31. Dezember.