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Wann haben Sie zuletzt so viele Gruppe-5-Monster zusammen gesehen?

Die glühende Juni-Hitze von Le Mans war nur eine entfernte Wunschvorstellung, als eine erlesene Schar kraftstrotzender Gruppe 5-Spezialproduktionswagen am letzten Wochenende im verschneiten Goodwood zusammenkam. Für uns der definitive Moment des 76. Members’ Meetings.

Hätte es angesichts der frostigen Bedingungen eine unpassendere Kategorie von Rennwagen geben können als die urgewaltigen Gruppe 5-Spezialproduktionswagen? Jene Porsche 935, Ferrari 512 BB oder BMW 320, die am Samstag und Sonntag gleich zweimal im winterlich anmutenden Goodwood zu Hochgeschwindigkeits-Demofahrten ausrückten. Nun, die tapferen Piloten nahmen all ihren Mut und ihr Fahrkönnen zusammen und zogen eine Show ab, welche die fröstelnden Fans erwärmte und auch für uns zum erinnerungwürdigsten Moment des gesamten 76. Members Meeting avancierte. 

Flammenwerfer 

Zwischen 1976 und 1982 führte die Weltmotorsportbehörde für die Rennen zur Langstrecken-WM die sehr liberale Gruppe 5 ein. Eine „Silhouetten“-Formel für „Spezialproduktions“-Rennwagen. Diese lupenreinen Rennwagen hatten kaum noch etwas mit den Serienmodellen gemein, ihre Karosserien schwollen so stark an, dass sie fast schon karikaturhafte Züge annahmen. Unter der Haut saßen Motoren in unterschiedlich extremen Tuningstufen. Neben den aggressiv bellenden Saugern stachen besonders die etwas leiseren Turbos heraus. Sie spuckten bei jedem Gaswegnehmen Flammen aus den Endrohren, begleitet vom schnalzenden Zischen der Abblasventile und – bei Nacht in Le Mans gut zu sehen – rotglühenden Ladergehäusen.

Der lauteste Club der Welt?

Zu den beim 76. Members Meeting aufgefahrenen Modellen zählten die allgemein bekannteren Modelle wie die von Kremer gebauten Porsche 935 K3, diverse BMW 320 sowie ein Ex-Hans-Heyer-Ford Escort und ein Ex-Klaus Niedzwiedz Capri Turbo, beide aus der PS-Küche von Zakspeed. Dazu gesellten sich unbekanntere Vertreter wie ein BMW-March M1 und eine Chevrolet Greenwood Corvette, beide aus der IMSA-Serie in den USA. Das Porsche-Museum stellte zwei Fahrzeuge aus seiner Sammlung zur Verfügung: einen 924 GTP, mit dem Tony Dron und Andy Rouse 1980 in Le Mans auf Platz zwölf fuhren, und dazu die ultimative Evolutionsstufe des 935, den 1978 in Le Mans eingesetzten 935/78 „Moby Dick“ in Martini-Farben. 

Mass: „Turboloch war groß“ 

Während am Sonntag der erst 17-Jährige Nordire Daniel Harper – ein Fahrer aus dem britischen Porsche Carrera Cup - die Chance erhielt, den mächtigen Wal auszuführen, saß am Samstag Jochen Mass am Steuer jenes 850 PS starken und 366 km/h schnellen Monsters, das er vor 40 Jahren zusammen mit Jacky Ickx pilotiert hatte. „Ich bin die ‚normalen’ 935 nicht übermäßig gern gefahren“, bekannte Mass, „Sie hatten zwar immens viel Power und gewannen auch viele Rennen, doch hatte ich immer Bedenken, weil sie nicht handlich genug waren und zusätzlich dieses Turboloch hatten.“ Als Teil seines Vertrags mit Porsche wurde Mass damals als Teilzahlung ein „930“ Turbo angeboten, doch zog dieser wegen des stark verzögerten Ansprechens des Laders einen Carrera mit Saugmotor vor.

Zeitreise

„Der Moby Dick“ hingegen war ein komplett anderes Auto“, fuhr Mass fort. „Als Jacky und ich ihn 1978 erstmals in Silverstone einsetzten, eroberten wir auf Anhieb die Pole und fuhren im Rennen alles in Grund und Boden. Das war ein phänomenales Auto.“ Ich fragte ihn, wie er mit dem Gedanken klarkomme, solch ein Auto bei leichtem Schneefall zu fahren. Darauf Jochen: „Unabhängig vom Wetter kann man beim Fahren dieser Autos nur dann Spaß haben, wenn man sich in die Zeit zurückversetzt und so denkt, wie die Ingenieure und Fahrer damals – ich mache das jedes Mal so.“

Ein Wahnsinns-Cocktail

Müßig zu betonen, dass Mass den Moby Dick meisterhaft bewegte. Mit ihm gemeinsam auf der Strecke waren nicht weniger als neun weitere Exemplare des 935, der Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre weltweit so erfolgreich war. Eine Handvoll heulender Ferrari 512 BB LM mit „flachem“ 12-Zylinder-Saugmotor und die kaum weniger leisen BMW 320 mit Formel 2-Triebwerken hallen noch immer in unseren Ohren wider. Die Greenwood-Corvette hingegen bevorzugte die Basstöne, bei jeder Vorbeifahrt schien mit ihr ein Donnergrollen anzurollen.

Es gab einige Schlüsselmomente, die uns vom 76. Members Meeting noch längere Zeit in Erinnerung bleiben werden. Doch war es dieser farbenfrohe und klanggewaltige Mob, der uns heute Morgen noch ein wenig strahlender als sonst in die Redaktion kommen ließ. 

Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2018

Classic Driver hat mit freundlicher Unterstützung von IWC Schaffhausen vom 76. Goodwood Members’ Meeting berichtet. Sie finden unsere gesammelte Berichterstattung hier.