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Magazin

Silvretta Classic Rallye Montafon 2002

Fast wie im richtigen Leben: Die deutschen Automobilfirmen entsenden bei der Silvretta Classic Rallye Montafon ihre besten Leute und polieren das Familiensilber, bis es glänzt wie die Aluminiumkarosserie eines Rennwagens. Der Phalanx der Werksautos aus den Museen zum Trotz gewinnt der schöne rote Spyder mit der Startnummer eins, noch dazu ein Privatteam. Aus 141 Fahrzeugen lodert mehr als nur die olympische Idee des „Dabeiseins“, als sie über die Startrampe rollen.

Tachometer und Kilometerzähler sind geeicht, die rückläufigen Stoppuhren gehen bis auf die Hundertstelsekunde genau. Die Copiloten sind im Beifahrerlehrgang wie eine Elitetruppe geschult. Die Piloten haben alle Kehren der Silvretta-Hochalpenstraße verinnerlicht, dazu die Funktion einer Lichtschranke gelernt. Die Silvretta Classic ist eine ernste Angelegenheit geworden, zumindest zwischen den gelben und roten Schildern am Ende der Wertungsprüfungen, wo eine Hundertstelsekunde Abweichung von der Sollzeit bereits einen ganzen Strafpunkt bedeutet. Das österreichische Brüderpaar Rudolf und Heinz Schraml wiederholen ihren Vorjahressieg mit einer Kombination aus Wiener Nonchalance, deutscher Verbissenheit und italienischem Automobilcharme.

„Geduld“ lautet ihr offizielles Erfolgsgeheimnis, und mit dieser Antwort zaubern sie ein stilles Lächeln auf das Gesicht von Peter Falk. Der ehemalige Porsche-Rennleiter entwirft als sportlicher Spiritus Rector der Silvretta Classic jenes engmaschige Geflecht aus Wertungsprüfungen mit Lichtschranken, Schlauchwertungen und den geheimen Kontrollen der Durchschnittsgeschwindigkeit, in dem sich jedes Zucken der Gasfüße verfängt. In einer geheimen Radarkontrolle verschenkte die Audi-Mannschaft Frank/Dreyer auf einem dezenten Audi 100 S Coupé den Gesamtsieg ebenso wie Peter Kraus. Der Sänger hat seinem Jaguar XK 120 S gerade dann Rock'n'Roll-Tempo erlaubt, als Piano angesagt gewesen wäre, und lamentiert wegen der deswegen fälligen 340 Strafpunkte wie jemand, der zwei teure Chronographen verloren hat. Sonst hätten Kraus/Reschreiter nämlich nicht nur mit sechs Punkten Vorsprung, sondern auch die beiden Chronoswiss-Uhren für den Gesamtsieg gewonnen.

Silvretta Classic Rallye Montafon 2002 Der Ehrgeiz, nicht zweiter Sieger werden zu wollen, erfasst bei der Silvretta Classic auch jene Beifahrerinnen, die ursprünglich nur mitgenommen wurde, weil die Stoppuhren ja irgendjemand halten muss. Nach der ersten halben Stunde, bekennt eine inzwischen arrivierte Copilotin, habe ich gedacht, jetzt steige ich aus und mein Mann kann mich im Mondschein grüßen. Jetzt freue ich mich sehr, wenn wir uns von Platz 70 auf 42 vorarbeiten. Diese Zeit-Geschichten entstehen wie Anglerlatein, quasi automatisch, wenn ein Beifahrer vergisst, nach einer Zeitkontrolle die Uhr wieder auf null zu stellen, und ein anderer alle Unterlagen inklusive Roadbook und Bordkarte beim Mittagessen liegen lässt.

Silvretta Classic Rallye Montafon 2002 Die Zeit-Geschichte dagegen rollt auf hohen dünnen Reifen an, oft genug auf Holzspeichenrädern, und vorlauter Pionierarbeit haben die Besatzungen von Rolls-Royce Silver Ghost 1921, Vauxhall 30-98 1925, Bugatti 35A 1927, Mercedes 630 K 1930 und Mercedes SSK weder Zeit noch Muße, eine Wertungsprüfung zur Anekdote zu vergeigen. Die Berge gewähren keinen Bonus auf das Baujahr, weder auf der Bielerhöhe noch am Furkapass werden Seniorenkarten für die Oldtimer ausgestellt. Der Silver Ghost mit einer Roadster-Karosserie von Harrison, der Mercedes 630 Kompressor mit Pullman-Aufbau und dieser weiße Elefant von einem SSK mit 7,1 Liter Hubraum und 225 PS bezwingen die Steigungen mit der brachialen Gewalt von Hubraum und Kompressor und die engen Kehren mit der Kraft durchtrainierter Piloten-Arme. Rennwagen wie der Bugatti 35A, der Alfa Romeo 8C 2300 Touring und der Aston Martin Ulster wieseln die Berge flink wie Gemsen hoch und genauso vorsichtig wieder ins Tal, schließlich müssen beide Gattungen ohne Scheibenbremsen leben.

Silvretta Classic Rallye Montafon 2002 Letzte Wertung, 70 Meter mit fliegendem Start in zehn Sekunden. Die Schramls, unerbittlich, leisten sich eine Abweichung von exakt einer einzigen Hundertstelsekunde. Da will der Lamborghini 350 GT aus dem Werksmuseum in Sant'Agata Bolognese nicht nachstehen. Dem Piloten gelingt ein fliegender Bilderbuch-Start. Der Copilot zählt im Sekundentakt von zehn bis eins. Doch der Druckluftschlauch wird nicht wie beabsichtigt von den Vorderrädern überfahren, sondern liegt noch etwas vor der Lambo-Schnauze. Die Zeitnahme weist den Idealwert von zehn Sekunden aus.

Die menschlichen Stoppuhren Schraml werden von einem Damenteam um eine Hundertstelsekunde geschlagen. Dabei hatte der Lamborghini-Techniker Giorgio Gamberini seiner Frauen-Mannschaft immer wieder das heimliche Credo der Silvretta Classic Rallye Montafon heruntergebetet: Keine Punkte, keinen Spaß. Leider hören Damen nicht immer zu, wenn's um wichtige Dinge geht. Andererseits spüren sie halt intuitiv, wann Genauigkeit durch nichts, nicht einmal durch Schönheit, zu ersetzen ist: Bei dieser Wertung liegen 108 Teams innerhalb einer Sekunde.

Peter Kraus dagegen hat Gamberini ebenso begriffen wie die Mannschaft Hartmut Schick und Max-Gerrit von Pein in einem Mercedes 300 SLS. Bei der Zieldurchfahrt lässt von Pein, eigentlich ein Nordsee-Leuchtturm von einem Mann, einen Jodler los, dass der Piz Buin erzittert – ein bisschen zumindest. Und Peter Kraus schluckt bei der Siegerehrung die Enttäuschung wie Salzburger Nockerln herunter, schnappt sich das Mikro und gibt live und ohne Band eine Zugabe zu seinem vierten Platz: Sugar Baby – was sonst?

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Text & Fotos: