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Bentley Continental Supersports: First Round Knockout

Bentley kehrt mit dem neuen, trefflich schlicht als Supersports betitelten Continental zu seinen sportlichen Wurzeln zurück. Kein Modell aus Crewe war bisher so schnell, keines so puristisch. Trotz Allradantrieb hat unser britischer Classic Driver-Autor Steve Wakefield es vorgezogen, den neuesten Athleten aus Crewe nicht im knietiefen englischen Schneegestöber zu testen, und die Produktion auf die größtenteils eisfreien Straßen von Wales verlegt.

Champions werden nicht im Turnunterricht gemacht. Champions entstehen aus etwas, das sie tief in sich tragen – ein Verlangen, ein Traum, eine Vision. Diese Einsicht stammt nicht von mir, sondern von Muhammed Ali. Und wenn Sie sich daran erinnern, wie Ali in der Blüte seiner Jugend die Fußarbeit eines Balletttänzers mit Haken und Stößen auf Dampfhammer-Niveau kombinierte, bekommen Sie auch eine Vorstellung davon, was es bedeutet, das Steuer des neuen Bentley Continental Supersports zu übernehmen.

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Zu Beginn gleich das Wesentliche: Mit 621 PS Leistung und 800 Nm Drehmoment ist das neue, in Anlehnung an die Supersports-Modelle der 1920er Jahre benannte Topmodell der Bentley Continental-Baureihe noch ein wenig stärker als der bisherige Leistungsträger, der 610 PS und 750 Nm starke Continental GT Speed. Wichtiger als das Leistungsplus ist jedoch die Gewichtsersparnis von 110 Kilogramm, die durch Leichtbau und den Wegfall zahlreicher Komfort-Elemente erreicht werden konnte. In Kombination mit einigen subtilen Karosserie-Modifikationen bringt die Diät wichtige Sekunden bei der Beschlunigung: Nur 3,7 Sekunden dauert der Sprint bis 100 km/h, die Höchstgeschwindigkeit ist mit stattlichen 328 km/h beziffert. Erstaunlich, bemerkenswert, sicherlich, doch was am meisten überrascht, ist seine Straßenlage.

Da ganz Großbritannien zum Zeitpunkt unseres Straßentests noch mehr oder weniger im Griff des Winters ist, entscheiden wir uns, den Testwagen mit Pirelli Sotto Zero-Reifen im 20-Zoll-Format anzufordern. Sicher ist sicher – und ich selbst habe die Reifen bereits am Ferrari 599 GTB als hervorragende Winterpneus kennengelernt. In Kombination mit dem serienmäßigen Allradantrieb, an dem Bentley trotz des Mehr-Gewichts festgehalten hat, steht uns also ein durchaus adäquates Paket zur Seite, um die mehr als 600 PS auch dann im Griff zu halten, wenn die Temperaturen wieder unter Null fallen sollten.

Teil der Gewichtsreduktion war die Demontage der hinteren Sitzbank – der einstige GT präsentiert sich demnach als reinrassiger Zweisitzer. Wo einst die – sowieso selten genutzten – Notsitze zu finden waren, haben die Ingenieure ein wunderbar verarbeitetes Gepäckabteil integriert. Um abgelegte Mäntel oder Weekender-Bags auch bei rasanterer Fahrt im Zaum zu halten, wurde zudem eine Querstange aus Carbon integriert. Ich nehme an, dass man Kunden, die trotz besseres Wissens nicht auf die Rückbank verzichten wollen, ihren Wunsch dennoch nicht abschlagen würde.

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Auch die Carbonfaser-Sparco-Schalensitze für Fahrer und Beifahrer sind meiner Meinung nach schlichtweg brilliant. Obwohl man nur die Längsrichtung und den Winkel der Rückenlehne manuell verändern kann, sind die mit Alcantara bezogenen Sitze das Bequemste, worauf ich seit sehr langer Zeit in einem Automobil gesessen habe. Es ist ein klassischer Fall von „weniger ist mehr“ – einmal korrekt justiert, möchte man die Fahrposition nicht mehr verändern, und weint der elektrischen, multidimensionalen Sitzverstellung keine Träne nach.

Von Null bis 60 km/h – und noch weit darüber hinaus – fährt sich auch der Continental Supersports wie ein klassischer Bentley: Das Wort „Gleiten“ ist nicht gut gewählt, da es ein jeden Gefühles beraubtes Fließen impliziert. Nein, viel mehr Beschleicht einen das Gefühl, ein eigens für diesen Job ausgebildeter aber sehr kleiner Mann würde während der Fahrt vor der Wagenfront jungfräuliche Asphaltplatten verlegen, so herrschaftlich ist die Bewegung nach vorn. Und wer weiß, vielleicht ist der kleine Mann bei einem Preis von 230.000 Euro tatsächlich inbegriffen. Wenn Sie beim nächsten Mal einen Bentley auf der Autobahn sehen, achten Sie darauf.

Tritt man das Gaspedal etwas weniger sanft, beginnt der immernoch recht gewaltige Wagen auf seinen 20-Zoll-Reifen zu tanzen – und es ist kein Blitzeis im Spiel. Und ganz gleich, wie stark man ins Steuer greift, der Supersports findet die perfekte Position auf der Straße. Die Drehmomentverteilung des Allradantriebs von 40/60 zugunsten der Hinterräder ermöglicht diese satte Straßenlage, bei der sowohl jede einsetzende Untersteuerung sofort ausgebügelt wird. Vergessen können sie auch die gewohnten Auf- und Ab-Beweungen anderer Sportwagen. Denn obwohl das Team um Bentleys respektablen Chefingenieur Dr. Ulrich Eichhorn für das markentypische Motorengrummeln den Begriff „Distant Gunfire“ eingeführt hat, konnten die Entwickler doch der Versuchung widerstehen, die Front beim Beschleunigen aufsteigen zu lassen.

A propos Beschleunigung: Alle Bentley Continental sind unglaublich schnelle Automobile und in nullkommanichts bei 300 km/h. Der GT Speed hatte die Benchmark ab 2007 noch einmal nach oben verschoben – nur 4,2 Sekunden benötigte der „Speedster“ bis 100 km/h, die Vmax lag bei 324 km/h. Mit dem Supersports hat Bentley nun den Werkseigenen Bob Beamon auf die Startbahn gestellt (Anm. d. Red: Beamon stellte 1968 einen Weltrekord im Weitsprung auf und konnte diesen noch vierzig Jahre später halten). Der Wagen fühlt sich tatsächlich leichter und deutlich überarbeitet an. Die nur dem Supersports vorbehaltene Quickshift-Variante der Sechsgang-Schaltung reduziert derweil jeden Gangwechsel unter die Zeit eines Synapsensprungs. Und die Carbon-Keramik-Bremsscheiben (vorn mit einem stattlichen Durchmesser von 420 mm) fangen den Wagen nicht nur im Grenzbereich wieder ein, sondern funktionieren ungewöhnlicherweise auch im urbanen Start-Stopp-Verkehr ohne Beanstandungen. Dieselbe Bremsanlage dürfte vielen Bentley-Kunden allerdings schon aus den Speed-Modellen bekannt sein.

Zugegebenermaßen haben wir bei unserer ersten Testfahrt doch einige Liter Hochoktaniges verbrannt – rund 19 Liter auf 100 Kilometer waren dem Display als Durchschnittswert zu entnehmen. Da es sich um den ersten Bentley mit FlexFuel-Technologie handelt, hätten wir genauso gut Biotreibstoff (E85) oder ein Benzin-Biofuel-Gemisch tanken können. Bis 2012 plant Bentley, diese Kombinationsmöglichkeiten für die gesamte Modellpalette anzubieten. Von Umweltgesichtspunkten abgesehen wäre es natürlich interessant, den Supersports im direkten Vergleich mit dem Ferrari 599 GTB, dem Aston Martin DBS oder dem Audi R8 V10 zu erleben. Die Schneelandschaften Großbritanniens waren nicht ideal, und ich hätte den Wagen liebend gerne einmal auf der Rennstrecke erlebt. Dennoch ist die Alltagstauglichkeit, die der Neue mit Winterreifen und Allradantrieb vorgeführt hat, mehr als beeindruckend. Und allen Chaletbesitzern kann ich versichern: Dieses Auto macht jede Alpentour spielend mit.

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Auch optisch hat der Supersports einen Sprung gemacht. Neue 20-Zoll-Räder und eine um 50 Millimeter verbreiterte hintere Spur zogen auch eine subtile Karosserieverbreiterung mit sich. Von vorn erkennt man das neue Modell an den vertikalen Lufteinlässen, die den zentralen Kühlergrill flankieren. In der Heckansicht sind es die beiden elliptischen Endrohre, die Kennern sofort ins Auge springen dürften. Alle Elemente, die früher einmal verchromt waren, sind zudem in einem Verfahren mattiert worden, das in der Luxus-Uhren-Branche als „Physical Vapour Deposition“ bezeichnet wird. Die besonders haltbar machende, in ihrem Ergebnis leicht rauchig wirkende Oberflächenbehandlung steht dem dynamischen Supersports durchaus zu Gesicht. Wie man es in England diplomatisch ausdrücken würde: It suits the car’s character.

Sollte man sich also gegen den Speed und für den Supersports entscheiden? Ich würde sagen ja, zumal die Preisdifferenz zwischen den beiden Modellen bei Ausstattung des Speed mit Keramikbremsen sowieso dahin schwindet. Und um noch einmal auf den großen, anfangs erwähnten Muhammed Ali zurückzukommen: Ali bezeichnete sich einmal als „Astronaut des Boxsports“, während seine Rivalen Joe Louis und Jack Dempsey bloß Piloten waren. Er befinde sich, so Ali, „in seiner eigenen Welt“. Dasselbe trifft meiner Meinung nach auf den Bentley Continental Supersports zu.

Text: Steve Wakefield (aus dem Englischen)
Fotos: Nathan Morgan


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