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Genfer Salon 2010: Elektrischer Frühlingsanfang

Aufbruchstimmung in Genf: Der Schock der Absatz- und Umweltkrise scheint überwunden, die automobile Luxusindustrie zelebriert auf dem 80. Salon d’Automobile ihren zweiten Frühling. Als größter Hoffnungsträger gilt der Hybrid- und Elektromotor – kaum ein Sportwagen oder eine Limousine, die nicht unter Strom gesetzt wird. Doch es gibt auch andere zukunftsträchtige Mobilitätskonzepte.

Das Schlimmste scheint überstanden – zumindest, was die Außenwirkung angeht. Nachdem die großen Autohersteller auf den Messen von Frankfurt, Tokyo und Detroit vorzugsweise mit Abwesenheit und Ideenlosigkeit glänzten, tritt die Industrie auf dem Genfer Salon wieder vollzählig und mit offenkundig wiedergekehrtem Selbstbewusstsein an zum Rapport. Natürlich drückt die Absaztkrise gerade im Segment der teuren Prestige-Automobile auf die Entwicklungsbudgets. Auch die neuesten Prognosen versprechen keine Besserung der Marktlage. Und dennoch wurde vielerorts wieder beherzt in die Zukunft investiert. Allgemeingültiger Trend – das zeigten ja bereits die vergangenen Schauen – ist hierbei weiterhin die Elektromotorisierung, die in ihren verschiedenen Aggregatszuständen zwischen Mild-Hybrid und Vollblut-Elektro die Genfer Premierenlandschaft dominiert. Gleichzeitig gibt es wieder viele neue Exoten aus dem Design- und Performance-Bereich, die zwar oftmals nur wenig effizienter ausfallen als ihre Vorgänger aus den Wachstumsjahren, aber immerhin wieder die zwischenzeitlich verloren geglaubte Freude am Automobil durchblicken lassen.

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Die Verbindung von großer automobiler Emotion mit zukunftsweisender Hybrid-Technik gab es denn auch zu bestaunen. Porsche etwa gelang mit der überraschenden Enthüllung des 918 Spyder Concepts, einem potenziellen Carrera-GT-Nachfolger mit 718 PS starkem Hybrid-Antrieb, beim VW-Konzernabend die Sensation des Salons. Der ultraflache, schnittige Zweisitzer soll in 3,2 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigen, durchschnittlich 3,0 Liter Benzin verbrauchen – und sehr wahrscheinlich gebaut werden. Mit der aufregenden Konzeptstudie präsentieren die Zuffenhausener in Genf derweil nur eines von drei Hybrid-Modellen: Der Porsche 911 GT3 R Hybrid und die elektrifizierte Variante der neuen, zweiten Cayenne-Generation, die in Genf ebenfalls ihre Weltpremiere feiert, kommen sogar noch in diesem Frühjahr auf den Asphalt. Aus dem Stellenwert, den Volkswagen der schwäbischen Neuakquise im Messeballett einräumt, lässt sich vieles ableiten. Sicher ist zumindest, dass die Wolfsburger in den kommenden Jahren noch große Pläne mit Porsche haben.

Lamborghini, die zweite Sportwagen-Tochter des Konzerns, scheint derweil etwas vernachlässigt. Statt eines dringend benötigten Nachfolgers für das Zwölfzylinder-Topmodells Murciélago präsentieren die Ingenieure aus Sant’ Agata eine Leichtbau-Variante der zweiten Gallardo-Generation. Der Lamborghini Gallardo LP570-4 Superleggera verringert die Spurtzeit auf 3,4 Sekunden bis 100 km/h und könnte zumindest bei den Zehnzylindern für mehr Schwung in den Verkaufszahlen sorgen. Ein wahres Premieren-Feuerwerk wurde derweil bei Audi abgefeuert: Als neuer Markenbotschafter präsentierte Justin Timberlake bereits beim Konzernabend den neuen, großflächig beworbenen Audi A1. Der Kleinwagen, mit dem die Lifestyle-Dominanz des Mini gebrochen werden soll, ist in Genf auch als Elektro-Studie im Sinne der neuen Ingolstädter Elektro-Linie e-tron zu sehen. Ob der recht nüchterne Kleinwagen bei der relevanten urbanen Zielgruppe ankommt, bleibt abzuwarten. Einen guten Start in der Presse hat bereits der neue Audi A8 hingelegt, der auf dem Salon ebenfalls als seriennaher Hybrid zu sehen ist und mit seinem leisen Auftritt ganz dem aktuellen Understatement-Trend in der Oberklasse entspricht. Einen Emotionsträger nach klassischer Gangart präsentiert Audi dagegen mit dem lang erwarteten RS 5 – das Basiscoupé A5 debütierte in Genf bereits vor drei Jahren.

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Dass mittlerweile die gefühlte Hälfte der Ausstellungsfläche im Palexpo unter dem Patronat des Volkswagen-Imperiums besetzt wird, ist nicht für alle Besucher eine angenehme Vorstellung. Die Frage nach der Eigenständigkeit der Marken taucht gerade mit Blick auf die zweieiigen Zwillinge Cayenne und Touareg immer wieder auf. Doch es gibt sie noch, die Einzelmarken – auch wenn sie in Zukunft näher zusammen rücken müssen. BMW – mit Mini, Rolls-Royce und der jüngst angekündigten Sub-Brand für kleine Stadt-Elektromobile – ist ja selbst kein Mittelständler. Und dennoch halten sich die Bayern beim Salon eher zurück: Ein dezentes Facelift für den BMW X5 und ein Hybrid-Konzept auf Basis des neuen Fünfers ohne konkretes Release Date hätten durchaus noch Platz gelassen – etwa für eine neue Entwicklungsstufe des Elektrosportwagens Vision EfficientDynamics. Wenigstens gibt es am Mini-Stand den neuen Countryman zu sehen. Bei Mercedes-Benz scheint nach dem Marketing-Marathon zum SLS zwar ebenfalls die Luft raus zu sein, mit dem elektrischen Forschungsfahrzeug F 800 Style wird aber zumindest der entstaubte Look kommender Modellpremieren wie C- oder CLS-Klasse vorweg genommen. Ebenfalls erfrischend: Die Smart "Sprinkle"-Edition, bunt bespritzt vom Schweizer Designer Rolf Sachs.

Im Gegensatz zu den eher pragmatischen Branchenterminen wie IAA oder NAIAS ist der Genfer Salon ja von jeher eine glamouröse Veranstaltung. Aus diesem Grund hat wohl auch Alfa Romeo entschieden, den 100. Markengeburtstag am Lac Léman zu begehen. Und weil die neue Giulietta als Highlight zum Hundertsten nicht genügend Strahlkraft verspricht, haben die Mailänder bei Italiens größten Designstudios zwei weitere Jubiläums-Modelle geordert: Pininfarina präsentiert mit dem unaussprechlichen aber umwerfenden Alfa 2uettottanta eine Spider-Studie und Bertone zeigt mit der eindrucksvollen Zukunftsvision Pandion, was im Autodesign abseits der Norm noch alles möglich ist. Weniger emotional, dafür entschieden alternativer geht es mittlerweile am Stand von Ferrari zu: Zwar kann man dem in plakatives Grün getauchten Hybrid-Prototypen namens Hy-Kers über den verspiegelten Messeboden unter die Röcke lugen. Dass Ferrari sein Öko-Engagement auch zügig in die Tat umsetzen wird, ist allerdings kaum zu erwarten. Immerhin gibt es den California nun auch mit Start-Stopp-Automatik.

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Wesentlich gewitzter präsentiert sich dagegen Aston Martin: Die Briten zeigen in Genf erstmals die Cityflitzer-Studie Cygnet auf Basis des Toyota iQ. Ein kontretes Startdatum lässt sich die Marke zwar noch nicht entlocken. Dass der japanische Ziehsohn mit dem markanten Aston-Gesicht auf die Straße kommt, stellt aber niemand mehr in Frage – schließlich könnte der Cygnet bei einem geplanten Absatz von bis zu 4.000 Exemplaren die CO2-Bilanz der Marke deutlich frisieren. Jenseits solcher Planspiele findet man in Genf natürlich auch die freien Radikalen, die mit nach außen völlig unerklärlichen Finanzmitteln immer wieder neue Super- und Hypersportwagen auf die Räder stellen. Ob die Entwicklungsgelder für den neuen, 390 km/h schnellen Koenigsegg Agera aus schwedischer Erbmasse oder dem Orient stammen, lässt sich auf der Messe sicher nicht klären. Ebenso erübrigt sich die Frage, ob es für den Pagani Zonda Tricolore, mit dem der Modeneser Kleinstserienhersteller eine italienische Fliegerstaffel ehrt und höchstwahrscheinlich auch die Modellreihe abschließt, schon einen Käufer gefundet hat. Im automobilen Grenzbereich gelten nunmal eigene Regeln.

Auch die üblichen Frühjahrs-Auferstehungen gibt es zu vermelden: So kehrt die legendäre Marke Hispano-Suiza auf dem Genfer Salon in die Öffentlichkeit zurück. Wie lange sie dort zu verweilen gedenkt, lässt sich nur schwer sagen – bisher ist nicht viel mehr zu sehen als ein bis zur Unkenntlichkeit, jedoch nicht ohne Charakter modifizierter Audi R8. Ein Name, den man ebenfalls schon lange nicht mehr auf der Ausstellerliste gesehen hat, ist Touring Superleggera. Die Mailänder Karosseriemanufaktur ist mit einem wunderbar exzentrischen Bentley Shooting Brake namens „Flying Star“ angereist, der dem taxigelben Continental Supersports Convertible auf dem offiziellen Bentley-Stand zumindest beim Nutzwert die Show stielt. Wie weit man den Begriff britischer Eleganz dehnen kann, zeigt sich schließlich am Stand des persischen Luxus-Tuners Mansory, wo der neue Rolls-Royce Ghost mit goldenen Beschlägen und königsblauer Lackierung defiliert. Für europäische Augen eine, ähem, Herausforderung – in Moskau, Peking und am Golf wahrscheinlich der letzte Schrei.

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Ein weiter Spagat, den man auf dem Salon vollzieht: zwischen dem Wunsch der westlichen Welt nach Downsizing, Zurückhaltung, Vernunft – und dem Faible der arabischen und asiatischen Boom-Märkte für PS-starken Prunk. Immerhin findet man in Genf kaum mehr eine Sportwagen-Studie, die unter ihren dramatischen Karosseriekurven nicht irgendwo einen Elektromotor und eine Lithium-Ionen-Batterie versteckt. Dass es mittlerweile auch bei den Serienmodellen zahlreiche Hybrid-Varianten mit Preisschild und Liefertermin zu sehen gibt, ist nach den vollmundigen Versprechungen der letzten Monate ein wichtiges Signal.

Text: Jan Baedeker
Fotos: Nanette Schärf



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