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Ferrari 410 S Berlinetta by Scaglietti

Dieser wunderbare Ferrari 410 S in einem beinahe unverschämt eleganten Kleid von Scaglietti ist scharf und schnell, sehr schnell. Und doch hat Chassis 0594 CM nie ein Rennen auf sich nehmen müssen. Dieser seltene Ferrari ist eine einzigartig erhaltene Pretiose – und: ausdrücklich käuflich!

 

Dabei hätte alles ganz anders kommen können. Denn dieser Ferrari war sehr wohl zum Renneinsatz gemeldet. 1955 sollte er beim gefährlichen mexikanischen Straßenrennen zum Einsatz kommen. Dass Chiffre „CM“ in der Chassisnummer gibt hier einen Hinweis, denn es steht für „Carrera Messicana“. Doch das Rennen wurde abgeblasen – aufgrund der zahlreichen Unfälle der Vorjahresausgabe. Ferrari hatte sich entschieden, den 1954er 375 Plus Spider, der bereits in Le Mans und bei der Carrera Panamericana obsiegte, nochmals stärker zu machen. Stärkerer Motor, kürzeres Chassis, tieferer Schwerpunkt – so lautete die Ansage. Und tatsächlich war der rund 340 PS starke V12 der erste mobile Auftritt des 4,9 Liter messenden Superamerica-Aggregats. Zum Einsatz kam ferner eine De-Dion-Hinterachse, an der in diesem Fall ein manuelles Fünfgang-Getriebe in Transaxle-Bauweise angedockt wurde. Das Ergebnis war eine nahtlose Kraftübertragung, die nicht nur hohe Geschwindigkeiten ermöglichte, sondern auch ein Gefühl von Sicherheit vermittelte.

 

Ferrari 410 S Berlinetta by Scaglietti
Ferrari 410 S Berlinetta by Scaglietti Ferrari 410 S Berlinetta by Scaglietti

 




Das Blechkleid für diesen Ferrari schneiderte natürlich auch ein Italiener. Aber nicht Pininfarina, sondern eben die Carrozzeria Scaglietti. Das Ergebnis ist umwerfend. Heute vielleicht noch mehr als damals. Denn im automobilen Einerlei sind wunderschöne Proportionen die Ausnahme. Perfekte Proportionen indes kennzeichnen diesen 410 S. Der kürzere Radstand wirkt sich unmittelbar positiv auf die gesamte Erscheinung aus. Insbesondere im direkten Vergleich mit den insgesamt längeren Coupé-Varianten des Jahrgangs 1954. Das Auto ging in dieser einmaligen Ausführung an einen besonders anspruchsvollen Kunden: Michel Paul-Cavallier. Der leidenschaftliche Gentleman Driver sollte später noch im Management von S.E.F.A.C. – einer separaten Motorsportgesellschaft, die in den späten 1960er Jahren Ferrari-Rennwagen an den Start brachte – von sich reden machen.

Heute präsentiert sich dieser Ausnahme-Ferrari noch immer in seiner damaligen Farbkombination aus Elfenbein und blauem Leder Interieur. Er ist das, was viele vorgeben, aber nur wenige sind: Ein echter „Time-Warp“. Das Fahrzeug wird am 17. und 18. August als eines der wichtigsten Lots bei der spektakulären RM Auktion im Rahmen der Monterey-Woche versteigert. Nie wurde der Wagen beschädigt oder „verbessert“. Der Scaglietti ist durch und durch original und mechanisch kerngesund. Ferrari Classiche stellte denn auch anstandslos die begleitenden Papiere aus. Aber: Wie fährt sich dieser Italiener? Flink hinter das große Volant geschwungen, die Beine auf den Pedalen sortiert, die leichte Tür zugezogen – und: los geht’s!

 

Ferrari 410 S Berlinetta by Scaglietti
Ferrari 410 S Berlinetta by Scaglietti Ferrari 410 S Berlinetta by Scaglietti



Sofort feuert die Weber-Vergaseranlage los. Die zwölf Brennzellen zünden und der 5,0 Liter Block heizt auf. Schnell ist der typische Ferrari-Klang der 1950er Jahre zu vernehmen. Wunderbar. Das Lenkrad sitzt dicht am Oberkörper, denn das gesamte Cockpit ist kleiner, als man auf den ersten Blick denkt. Doch für schnelles Fahren auf der Rennstrecke ist genau das ideal. Die Pedale sind eng gestaffelt und verlangen in ihrer Bedienung etwas Übung – schmale Rennschuhe sind daher dringend empfehlenswert. Die Handbremse gelöst und den soliden Ganghebel in Position gebracht: links und zurück – der erste Gang. Klack. Sitzt und ist drin. Drehzahl rauf und Kupplung ganz zurück. Der Ferrari nimmt die Zügel auf und geht gleich in den Galopp. Denn der erste Gang ist sehr lang ausgelegt. Geräuschkulisse und Tempo schwellen mit der Drehzahl an. Reichlich Endorphine gibt es ungefragt und gratis dazu.

Ruhig eine Weile im ersten Gang bleiben. Motor und Getriebe aufwärmen. Aber sachte. Noch schön alles unter Kontrolle halten. Der Motor hat Reserven und zieht den Wagen bis zu einer Drehzahl von 5.000 Touren praktisch überall hin. Und das mit Leichtigkeit. Einige Kilometer weiter: Am schönsten ist der Wechsel vom vierten in den fünften Gang. Wenn das ganze Metall warm geheizt ist und der Abgasstrang munter trompetet. Man schalte schnell und konzentriert. Bei 6.000 Touren ist es gerade richtig. Gut 220 km/h liegen an. Und: Da geht noch was! Lenkrad und Schalthebel streifen die Beine. Ihre eng beieinander liegende Position erschließt sich jetzt ganz. Exakt so muss ein klassisches Ferrari-Cockpit geschnitten sein.

 

Ferrari 410 S Berlinetta by Scaglietti


Dieser Ferrari ist ein Flaneur mit Sitten bei moderatem Speed. Er läuft gehorsam geradeaus und wartet nicht mit unangenehmen Überraschungen auf. Mit zunehmendem Tempo allerdings fordert er mehr – und bietet auch mehr. Ein perfektes Sportgerät. Für eine Fahrt im 410 S auf langen und freien Strecken steht man gerne früh auf. Mit dem Morgengrauen. Den Schlüssel greifen und das Elfenbein hervor holen. Frühes Sonnenlicht auf dem Lack und dann raus auf die Strecke. Die Ideallinie beschreiben. Es muss kein Traum bleiben. Doch die Angabe „Estimate on Request“ lässt einen speziellen Preis erwarten. Sicher zu Recht. Denn dieser Ferrari war immer schon anders. Vom ersten Tag an.

 

Video & Fotos: Simon Clay

RM Auctions: www.rmauctions.com

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