Le Mans, 15. Juni 2010: Gebrochene Herzen in der Box von Peugeot, als die vermeintlich unaufhaltbaren Peugeot 908 HDi FAB einer nach dem anderen ausscheiden – und die makellose Konkurrenz aus Ingolstadt sukzessive die Führung übernimmt. Rang eins, zwei und drei belegen nach 24 Stunden allesamt die gründlich überarbeiten Audi R15 TDI, die im letzten Jahr so kläglich gegen die starken Peugeot scheiterten. Während ein sichtlich gerührter Dr. Wolfgang Ullrich, Audi Motorsport-Chef, gebührend den Sieg seiner Mannschaft feiert, blickt man einige Boxen weiter, bei den Verantwortlichen der Teams Peugeot Total und Oreca Matmut, in sorgenvolle Gesichter. Sie scheinen sich immer wieder die eine Frage zu stellen: Was wäre gewesen, wenn…?
Es ist der alles entscheidende Moment, der im Motorsport über Triumph und Tragödie entscheidet. Doch bevor wir nun emotional werden, betrachten wir die Szenen des 78. Langstreckenrennens von Le Mans erst einmal sachlich. Es war schließlich nur ein Rennen. Für viele ist es allerdings das großartigste Rennen des Jahres und für Hersteller eine gute Gelegenheit, die Qualität ihrer Technik unter Beweis zu stellen. Peugeot ging mit drei Werksrennwagen der Baureihe 908 HDi an den Start und vertraute ein viertes Fahrzeug dem Team Oreca Matmut an. Dieses startete unter der Regie von Langstrecken-Veteran Huhues de Chaunac.
Audi setzte drei R15 TDI ein, die nach dem Debakel im letzten Jahr aufwendig modifiziert wurden – vor allem hinsichtlich der Aerodynamik. Unterstützt wurde die Marke vom Team Kolles Racing, die ein Doppelpack Audi R10 TDI (Vorgängermodell) ins Rennen entsandten. Aufgrund des kolossalen Entwicklungs-Budgets, das den Diesel-Teams jedes Jahr zur Verfügung steht, war es für die Benzin-Rennställe kaum möglich, unter die Top-Six zu kommen, wenngleich es hier in diesem Jahr eine Regeländerung gab. Dennoch schaffte es ein Benziner in der LMP1-Klasse auf Platz sechs: Es war der Lola Aston Martin vom Team Aston Martin Racing mit dem Fahrergespann Fernandez/Mücke/Primat.
Hinter der LMP1, der Königsklasse von Le Mans, startete die leichtere und weniger extravagante LMP2-Klasse. Dass die „Zweitklässler“ jedoch nicht nur ausreichend Power haben, sondern auch entsprechendes Durchhaltevermögen, um vorne mitzufahren, zeigt das Rennergebnis: Die Hälfte der Top-Ten-Gesamtplatzierungen ging an die LMP2-Renner, angeführt vom Team Strakka Racing (Leventis/Watts/Kane) im HPD ARX-01C auf Rang fünf – noch vor dem Lola Aston Martin!
In zwei GT-Kategorien gingen Aston Martin, Porsche, Ferrari und Corvette an den Start. Sie duellierten sich in der LM GT1 (stark modifizierte Serienfahrzeuge) und der LM GT2 (näher an der Serie). Für die GT1-Klasse war es der letzte Auftritt in Le Mans, denn schon im nächsten Jahr soll die GT1 in der GT2-Klasse starten. In der GT1 siegte der Saleen S7R vom Team Gardel/Berville/Canal nach einem harten Fight mit Ford GT, Aston Martin und Corvette. Erstaunlicherweise lag der Saleen am Ende sieben Runden hinter dem erstplatzierten Porsche der LM GT2-Klasse.
Das gefeierte „Art Car“ von Jeff Koons, der BMW M3 GT2, enttäuschte in Le Mans. Sein fantastisches Aussehen konnte leider nicht über die Getriebeprobleme und das vermutete Kraftstoffleck hinweghelfen. Noch am Samstag schied der Design-Renner aus.
Doch nun noch einmal zurück zum emotionalem Part und dem großen Konkurrenzkampf zwischen Audi und Peugeot: Als am Samstag um 15.00 Uhr Ortszeit die Ampeln auf Grün sprangen, klang es so, als würde französische Luftwaffe eine erneute Parade über dem Circuit du Mans fliegen. Es war jedoch die einzigartige Symphonie der Diesel-Rennwagen, Aston Martin V12 und amerikanischen V8-Boliden, die den Klang von tausenden Pferdestärken in die Luft posaunten. Nach den ersten Stunden war klar, dass Peugeot – ungeachtet möglicher technischer Probleme – das Rennen machen würde. Bis um 17.28 Uhr der erste Peugeot-Werksrenner wegen defekter Radaufhängung in der Box stand. Sorgenfalten legten sich über die Gesichter der Akteure.
Zu Recht. Etwa nach der Hälfte des Rennens lag Peugeot nur noch auf Rang eins, vier und sechs. Dazwischen die Audi R15 TDI auf Rang zwei und drei. Sechs Stunden später waren die Karten wieder neu gemischt, erneut zu Gunsten der Ingolstädter: Audi auf Rang eins und zwei. Ein weiterer Peugeot war mittlerweile wegen Motorschaden ausgefallen. Der verbliebene Peugeot mit der Startnummer eins lag mittlerweile auf Rang drei mit drei Runden Rückstand zum führenden Audi. Für Audi hieß es also nur noch: durchhalten. Der Rest ist Geschichte.
Mit dem Le Mans-Sieg verbuchte Audi gleichzeig einen neuen Rekord: Alle drei Audi R15 TDI stellten mit ihrer erreichten Distanz den als unschlagbar geltenden Rekord des Porsche 917 aus dem Jahr 1971 ein – der erstplatzierte Audi hatte nach 24:01.23,694 Stunden eine Strecke von 5.410 Kilometern zurückgelegt.
Nun, das waren die dramatischen 24-Stunden von Le Mans. Eine geglückte Revanche für Audi, nach einem enttäuschenden Rennen im letzten Jahr. Dem Peugeot Sport-Chef Olivier Quesnel blieb nur noch der optimistische Blick in die Saison 2011: „Das Spiel beginnt 2011 von Neuem – und wir spielen mit.“
Top-Ten Platzierungen:
Piloten | Team | Rennwagen |
1. Bernhard/Rockenfeller/Dumas | Audi Sport North America | Audi R15 TDI |
2. Treluyer/Lotterer/Fässler | Audi Sport Team Joest | Audi R15 TDI |
3. Capello/Kristensen/McNish | Audi Sport Team Joest | Audi R15 TDI |
4. Ayari/Andre/Didier/Meyrick | AIM Team Oreca Matmut | Oreca 01 AIM |
5. Watts/Leventis/Kane | Strakka Racing | HPD ARX.01 |
6. Fernandez/Mücke/Primat | Aston Martin Racing | Lola Aston Martin |
7. Charouz/Lahaye/Moreau | OAK Racing | Pescarolo - Judd |
8. Wallace/Newton/Erdos | RML | Lola HPD Coupe |
9. Nicolet/Yvon/Hein | OAK Racing | Pescarolo - Judd |
10. Ojjeh/Greaves/Chalandon | Team Bruichladdich | Ginetta - Zytek 09S |
Text: Classic Driver
Fotos: Steve Wakefield / Strakka Racing
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