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Atelierbesuch beim großen Automobilkünstler Antoine Dufilho

Von der Autokultur inspirierte Skulpturen haben so ihre Tücken. Aber diese beeindruckenden großformatigen Werke des französischen Künstlers Antoine Dufilho verkörpern einzigartig Ästhetik und Speed auf vier Rädern. Rémi Dargegen und Etienne Raynaud haben sein Studio in Nordfrankreich besucht.

„Ich mag die Freiheit das zu erschaffen, was ich in meinen Träumen finde“, sagt Autodidakt und Bildhauer Antoine Dufilho, als wir ihn in einem Dorf außerhalb der nordfranzösischen Stadt Lille treffen, wo sich sein Studio befindet. Sein zukünftiges Heim liegt übrigens gleich nebenan und besteht aus Containern und verschiedenen industriellen Komponenten, die sich in verschiedenen Stadien der Konstruktion befinden. „Studio und Haus sind Ausdruck meines Bedürfnisses nach absoluter Schaffenskraft“, erklärt er. „Von den Fundamenten bis zu den Möbeln und sogar bis zu den Türgriffen.“

Nach drei Jahren Medizinstudium und einem Abschluss in Architektur rückte die Bildhauerei bald ins Zentrum von Dufilhos Kreativität. „Skulptur und Modellieren wurden mir sehr früh von meinem Großonkel, dem Schauspieler Jacques Dufilho, nahegebracht“, erinnert er sich. „Wir besorgten uns etwas Lehm von einem Teich in der Nähe und ich machte meine ersten Versuche.“

Bugatti spielte auch eine ganz wesentliche Rolle in Dufilhos Kunst, weil er einer Familie von prominenten Bugattisti entstammt. Sein Großonkel war eine tragende Kraft im französischen Bugatti Club und sein Vater besaß eine Type 57 Ventoux und einen Type 37 – er fährt immer noch seinen Type 35B und zählt nicht weniger als drei extrem seltene De La Chapelles zu seiner Sammlung. 

Zum 60. Geburtstag seines Vaters schuf Dufilho seine allererste Skulptur: Natürlich von einem Bugatti. „Meiner Familie gefiel das Werk so gut, dass ich Lust bekam, weiterzumachen. Ich legte sogar dann meine Arbeit als Architekt auf Eis. Da ich vom Selbermachen überzeugt bin, war das Erlenen des Umgangs mit neuen Materialien und Maschinen ein kontinuierlicher kreativer Prozess.“ Sein Alltag verwandelte sich so in ein dauerndes Hin und Her zwischen schöpferischer Schnelligkeit und der sorgfältigen und rigorosen Arbeit, die von rarer Präzision geprägt ist. 

In 2011 zeigte Dufilho erstmals seine Werke – nur drei Objekte aus gehämmerten und geschweißten Aluminiumblechen – bei der Rétromobile. Es war ein Vorgeschmack auf künftige Entwicklungen. Tatsächlich besitzt einer von Dufilhos ersten Kunden heute 14 seiner Werke! Im Jahr 2013 stellte er im Grand Palais von Paris aus und gleich mehrere Galerien boten ihm an, ihn zu vertreten. Inzwischen wurde eine seiner ersten Skulpturen für 5.000 Euro versteigert. Da erkannte Dufilho, dass er seine Kunst zu seiner Lebensgrundlage machen könnte.

Heute hat Dufilho drei Mitarbeiter und stellt zwischen 20 und 35 Stücke pro Jahr her. Es erfordert sieben bis zu 30 Tage um eine Skulptur aufzubauen, weil die 60 bis 300 Komponenten geschnitten und dann maschinell bis zu einem Zehntel eines Millimeters bearbeitet werden. Jedes Werk wird in einer Auflage von nur acht gefertigt, plus vier für die Korrekturen des Künstlers. Damit sind diese Schöpfungen weltweit unheimlich begehrt. MB&F zeigt Dufilhos Kunst in deren M.A.D.-Galerien in Dubai, Taiwan und Genf, außerdem kann man diese Skulpturen in Galerien in Miami, Los Angeles und Paris bewundern.

Dufilhos Ansatz ist sehr klar: Von der Medizin hat er die menschliche Mechanik gelernt sowie die Kunst und Architektur des Skeletts. Aber Autos sind beileibe nicht die einzige Quelle seiner Inspiration. Architektur spielt natürlich auch eine wesentliche Rolle. Seine Interpretation des Chrysler Building als New Yorks Meilenstein unter den Art Deco-Hochhäusern und auch der Burj Khalifa verlangten einen Monat Arbeit. Bei seiner Freiheitsstatue waren es zwei Monate, nicht zuletzt, weil 1.400 Schweißpunkte gesetzt werden mussten, um die 800 einzelnen Metallteile zusammenzufügen – eine Kombination aus poliertem und gebürstetem Stahl.

Natürlich liegt Bugatti dem französischen Künstler besonders am Herzen. Einer seiner atemberaubendsten Schöpfungen ist dem Type 57SC Atlantic gewidmet, einem Automobil, das man in seiner realen Form durchaus als Skulptur beschreiben könnte. „Es wurde aus extrem dünnen Metallschichtungen geformt, und so entstand ein Gerüst, das die Linien, die Dynamik und Bewegung des Autos offenbart.“ Diese kinetische Vision eines statischen Objekts ist die einmalige Handschrift dieses Künstlers, konzentriert sie doch den Blick auf die Formgebung dieser schönen Fahrzeuge. Zugleich eröffnet sie radikal veränderte Perspektiven – je nach Blickwinkel des Betrachters.

Auf Wunsch des angesehenen Sammler Peter Mullin wird Dufilho eine einmalige Edelstahlskulptur auf einem 90 cm großen Sockel entwerfen. Dieses Werk wird dann neben dem echten Auto im Petersen Museum in Los Angeles ausgestellt werden. „Ich liebe Bewegung, und Asymmetrie ist per definitionem nichts anderes als Bewegung! Ein flacher Kubus ist symmetrisch und statisch, aber wenn man ihn um einige Grade kippt und ihn auf einer der Ecken balanciert, wird er asymmetrisch. In unserer Wahrnehmung wirkt diese Situation, als würde er fallen, um sein Gleichgewicht wiederherzustellen. Bewegung ist Leben.“

Dieser Aspekt lässt sich sehr gut bei der Riva von Dufilho beobachten, die eine Mischung aus fein geschmirgeltem Mahagoni und Edelstahl darstellt, die mit unglaublicher Präzision zusammengeschraubt worden sind. „Jede Oberfläche besitzt ihre eigene charakteristische Identität. Ich favorisiere Metall, vor allem Corden-Stahl, der Rost auf der Oberfläche entwickelt, aber nicht im Kern. Somit hat man eine „wärmere“ Textur, die an Holz erinnert. Das polierte Metall, das so viel markanter ist, reflektiert seine Umgebung, mattierter Stahl hingegen ist homogener und bietet einen moderneren Look.“

Dufilho hat immer das Experimentieren mit Materialien gereizt. Das ist beispielsweise der unglaubliche Mercedes-Benz W196 Streamliner, der Elfenbein mit Stahl verbindet. „Diese Skulptur hat vermutlich die meiste Zeit in Anspruch genommen und erforderte auch das sorgfältigste Herangehen“, gesteht er. Als frühe Schöpfung seiner Künstlerkarriere besticht das Objekt durch Sinnlichkeit. Man muss dieses Objekt einfach in die Hand nehmen, sein Gewicht spüren und den Kontrast zwischen kaltem Stahl und warmem Elfenbein erleben. Im Lauf der Zeit setzt das Elfenbein Patina an und beginnt so, sich auf natürliche Art „zu bewegen“. Es muss angeblich faszinierend sein, diesen Prozess zu beobachten.

Kürzlich eroberte sich der Künstler ein neues Gebiet des Ausdrucks: Hunderte von dünnen Bronzestäben auf denen kleine Edelstahlkugeln platziert sind, lassen die Kurven eines Lamborghini Aventador erahnen. Seine jüngste Innovation ist der Einsatz von gefärbtem eloxierten Aluminium. Es muss eine riesige technische Herausforderung an Dufilho gestellt haben, denn er musste zunächst eine Werkstatt finden, die solche dünnen Stücke – geschnitten bis zu einem Zehntel eines Millimeters – auch in kleinsten Serien herzustellen in der Lage und zugleich mit einer ultragenauen Farbtafel ausgestattet ist. Die Karbonfaser, die ihm zur Schöpfung eines Ferrari 250 GTO diente, kommt nun für einen Ford GT40 zum Einsatz.

Übrigens haben Ferrari und Ford Antoine auch für sein nächstes Projekt Pate gestanden. „Die erste Skulptur wird vom Ferrari 330 P4 inspiriert sein. Es wird ein großes Objekt, das vier Meter lang und zwei Meter breit ist und aus 100 roten Aluminiumblechen, die in unterschiedlichen Winkeln gesetzt sind, um die Form der Karosserie nachzuspüren.“ Mit einem Gewicht von 800 Kilo sind diese Platten dank zwei großer Leisten mit dem 400 Kilo schweren Sockel verbunden. Die Skulptur wirkt sehr viel leichter durch den Wechsel von gefülltem und leerem Raum und einem Satz unterschiedlich montierter Platten, die den Eindruck von Geschwindigkeit betonen. Drei Stücke sind in Planung, ehe der GT40 auf ähnliche Weise konstruiert wird, um in der Ford-Zentrale ausgestellt zu werden.

Welche weiteren Ideen und Wünsche kann sich Dufilho für seine Zukunft vorstellen? „Ich will eine Skulptur entwickeln, die von den Wally-Yachten inspiriert ist, aber ich will mich auch an einem Zug versuchen und sicherlich auch an anderen legendären Automobilen“, erzählt er. „Ich will mich auch noch mit abstrakten Skulpturen beschäftigen, ein Weg, den ich jetzt schon verfolge.“ Und auf diese sind wir besonders gespannt.

Text: Etienne Raynaud / Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2020