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Wie gerne sähen wir eine moderne Auflage des Alfa Romeo Scarabeo

Mit der Wiederentdeckung des originellen Scarabeo Prototypen im Museo Storico Alfa Romeo in Arese fanden wir das perfekte Gegengift zur Fixierung moderner Autobauer auf absolute Höchstleistungen. Würde man uns doch nur mit einer modernen Inkarnation beglücken...

Wann wird die Automobilindustrie endlich lernen, dass die pure Geschwindigkeit allein nicht die Antwort auf alles sein kann? Zwar sind Autos seit den Anfangstagen fast automatisch immer schneller geworden. Doch haben wir längst einen Punkt erreicht, an dem es schlicht unmöglich ist, ein 2000 PS starkes elektrisches Hypercar, einen 700 PS starken Super-Kombi oder einen „Hot“-Hatch mit 400 PS auf öffentlichen Straßen bis an die Leistungsgrenze auszufahren.

Angesichts einer Zukunft, in der sich die Elektromobilität zunehmend schneller weiterentwickelt und gewisse Regierungen die Tage des Verbrennungsmotors kategorisch für beendet erklären, sähen wir es gerne, wenn sich der Fokus von auf Papier gedruckten Superlativen und neuen Nürburgring-Rekordrunden auf kompaktere, leichtere und cleverer konzipierte Sportwagen verlagern würde. Die absolute Höchstleistung zugunsten erschwinglicherer Modelle mit hohem Fahrspaßfaktor und höherer Effizienz opfern würden. 

Nur zu gerne würden wir eine moderne Inkarnation des Alfa Romeo Scarabeo sehen, jenes federleichten Prototypen aus dem Jahr 1966, der mit seiner weit nach hinten versetzten Sitzanlage und Vierzylinder-Motor das Herz jedes fahraktiven Enthusiasten in Wallung brachte. 

Nachdem sich Alfa Romeo entschlossen hatte, seine eigenen Ingenieure außen vor zu lassen und die Fertigstellung des Tipo 33 Prototypen Carlo Chitis Firma Autodelta zu überlassen, kam es verständlicherweise einige zerknirschte Gesichter in Mailand. Giuseppe Busso, der das Tipo 33 Projekt angeschoben hatte, ehe man ihm den Boden unter den Füßen wegzog, schlug daraufhin einen günstigeren und leichteren Prototypen mit dem Motor aus dem Giulia Sprint GTA vor.

Zusammen mit seinem Ingenieurskollegen Orazio Puliga entschloss er sich für ein Konzept, das der frühere Alfa Romeo-Testfahrer und gelegentliche Werkspilot Consalvo Sanesi bereits Anfang der 50er-Jahre vorgeschlagen hatte. Sanesi hatte angeregt, die Sitzanlage so weit wie möglich nach hinten zu rücken. So würden der Fahrer oder die Fahrerin die bestmögliche Kontrolle über das Fahrverhalten erhalten. 

Das erste Ergebnis des insgesamt drei Fahrzeuge (zwei Coupés und eine nie fertiggestellte Barchetta) umfassenden Projekts Scarabeo – so genannt nach dem Skarabäus, dem heiligen Pillendreher aus der Familie der Blatthornkäfer – stand auf dem Pariser Salon von 1966. Eingekleidet in einem dramatischen Karosseriekleid aus der Feder von Sergio Sartorelli aus dem Turiner Studio O.S.I. (eine kurzlebige Tochter von Ghia, für die zeitweise solche Größen wie Tom Tjaarda und Giovanni Michelotti arbeiteten), unterschied sich der Prototyp von allem, was sonst noch auf der Messe ausgestellt war. Die tief am Boden kauernde und einem Schneepflug nicht unähnliche Bugpartie stand im scharfen Kontrast zum abrupt abgeschnittenen Kammheck. Noch eindrucksvoller war die Panorama-Windschutzscheibe, die sich ohne Unterbrechung durch eine A-Säule bis in die Flanken fortsetzte und sich komplett mit den Türen nach vorne aufklappen ließ. Die Sicht aus dem Cockpit war entsprechend exzellent. 

Unter seiner ungewöhnlichen Außenhaut präsentierte sich der Scarabeo als ein Musterbeispiel für cleveres Packaging. Wie später beim Alfa Tipo 33 waren zu beiden Seiten Benzintanks in die großvolumigen Röhren des H-förmigen Gitterrohrrahmen-Chassis integriert, was eine ausgeglichene Gewichtsverteilung garantierte. Dahinter wurde der Vierzylinder aus dem Alfa GTA quer eingebaut, im Paket mit Getriebe und Kupplung. Über eine im ungewöhnlichen Winkel von 45 Grad angeordnete Kardanwelle gelangte die Kraft zum Differential. Die (aus Kostengründen) vom Renault R8 übernommenen Aufhängungen sorgten dafür, dass jedes Rad einzeln gefedert wurde. Zwecks Verringerung der ungefederten Massen rückten die hinteren Scheibenbremsen nach innen.

Trotz der positiven Resonanz von Seiten der Messebesucher und Fachpresse ruhten sich Busso und Puliga nicht auf ihren Lorbeeren aus. Da sie erkannten, dass ein solch radikales Konzeption selbst in einer Kleinserie nicht umsetzbar wäre, gingen sie noch einmal zurück ans Zeichenbrett und entwickelten zusammen mit O.S.I. eine etwas abgemilderte Version des ersten Scarabeo Prototypen. 

Es ist das Auto, dass Sie nun hier in allen Details sehen. Mit etwas weicheren und ästhetisch ausgewogeneren Linien und Flächen verrät der Baby-„Breadvan“ am Bug Anleihen von Porsche 904 und Fiat Abarth OT 2000 Periscopio, mehr als nur einen Hauch von Alfa TZ2 um seine Hüfte und am Heck zarte Parallelen zum Cheetah von Bill Thomas. Zusammengebaut ist er – typisch für einen 60er-Jahre-Prototypen – eher ungehobelt – dafür aber mit sehr viel Charme. 

Das Beste am Scarabeo ist aber sein Gewicht von gerade einmal 700 Kilo. Zusammen mit dem innovativen Layout, dem Go Kart-artigen Radstand und dem lebhaften Vierzylinder muss es in der Theorie dem Auto zu einem fantastischen Handling verholfen haben. Leider werden wir nie erfahren, wie es ist, all die Power und Dynamik auf einer kurvigen italienischen Landstraße oder einer Rennstrecke zu erkunden. Denn der Scarabeo rollt keinen Meter. Wirft man einen näheren Blick ins Cockpit, so wird deutlich, dass der zwischen den Sitzen angebrachte Schaltknüppel mit nichts verbunden ist. Vielleicht sollte wir eine Petition starten, mit der Bitte ans Museo Storico Alfa Romeo, das Auto wieder fahrbereit zu machen! 

Wir sind nicht naiv und wissen nur zu gut, dass solch ein Auto heute weder eine Homologation noch eine Straßenzulassung erhalten würde. Doch gibt es Aspekte am Scarabeo und an seiner Gesamtphilosophie, an denen sich die Sportwagenbauer von heute wieder stärker orientieren könnten. Wie wir es bei der Technik von Mobiltelefonen, Batterien und Elektromotoren erlebt haben, geht die Entwicklung zu leichteren, kompakteren und effizienteren Konstruktionen. Warum können wir also nicht ein wenig bescheidener mit neuen Superlativen sein, und in Zukunft wieder mehr Leichtbau-Sportwagen sehen, egal ob nun mit Verbrennungsmotor, Hybrid- oder vollelektrischem Antrieb? 

Reichlich Stoff zum Nachdenken. Derweil hängen wir dem Tagtraum nach, im frechen kleinen Scarabeo mit vollem Einsatz über unseren Lieblings-Alpenpass zu preschen. 

Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2020 

Ein herzliches „Danke schön“ an das Museo Storico Alfa Romeo für die Erlaubnis, diesen extrem speziellen Scarabeo Prototypen fotografieren zu dürfen.  

Sie finden eine große Auswahl an zum Verkauf stehenden Alfa Romeo im Classic Driver Markt.