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Sind Autos Kunst? Neue Antworten auf eine alte Frage

Nicht erst seit den BMW Art Cars rücken Kunst und Mobilität im Museum zusammen. Die Grand Basel unterstreicht ab dem 6. September den Rang großer Automobile. Aber was noch schöner ist: In das Kunstobjekt Auto kann man einsteigen und losfahren.

„Können Autos Kunst sein?” Das ist die Frage, welche sich die Organisatoren der Grand Basel gestellt und zum Motto ihrer ersten Veranstaltung erklärt haben. Diese jüngste Automobilmesse, die ihre Premiere am 6. September in Basel feiert, soll höchste Ansprüche erfüllen. Nach dem viertägigen Debüt in der Schweiz wird es im Februar 2019 eine zweite Auflage in Miami geben, gefolgt von der dritten Grand Basel im Mai in Hongkong. Allein die Baseler Messe als Veranstaltungsort ist Beweis genug, dass zumindest die Macher der Grand Basel ihre rhetorische Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten – findet hier doch seit 1970 alljährlich mit der Art Basel die größte und wichtigste Kunstmesser der Welt statt.

Wir sind uns ziemlich sicher, dass nur wenige unserer Leser nicht die Haltung teilen, dass Autos Kunstwerke sein können – doch die Kunstszene selbst hat sich mit dieser Einsicht lange Zeit schwer getan. Doch bereits im Herbst 1951 erkannte das Museum of Modern Art (MoMA) in New York, dass Autos weit mehr sein können, als die Summe ihre funktionalen Teile. Die über zehn Wochen dauernde Ausstellung „Eight Automobiles” war in dieser Hinsicht ein Meilenstein. 

Die etwas steif geratene Pressemitteilung von damals existiert noch in den Archiven des MoMA und stellt fest: „Die Automobile wurden aufgrund ihrer Exzellenz als Kunstobjekte ausgewählt und weil sie für aktuelle Ansätze im Pkw-Design relevant sind. Die Ausstellung umfasst Fahrzeuge, die zwischen 1930 und 1951 in den USA, Frankreich, England, Deutschland und Italien entworfen wurden. Zusätzlich zu den acht Autos, die auf einer erhöhten Fahrbahn mit eingearbeiteten Marmorstücken in den Galerien des Erdgeschosses bewundert werden können, gibt es auch 13 vergrößerte Fotografien von gut gestalteten Automobilen.”

Zu den Marken, die in dieser Ausstellung berücksichtigt wurden, zählten Lincoln, Cord, Cisistalia und Jeep. Sie bildeten den Grundstock für die offizielle Autosammlung des MoMA, die zwar immer noch relativ klein ist, aber inzwischen bedeutsame Massenmodelle wie den VW Käfer und einen Smart umfasst.

Doch immer noch scheuen sich eher konventionell eingestellte Kunstkritiker davor, Autos oder überhaupt alle rollenden Fahrzeuge als museale Nachbarn bedeutender Kunstwerke anzuerkennen.

Als im Jahr 1998 der Direktor der Solomon R. Guggenheim Foundation grünes Licht für die Ausstellung „The Art of the Motorcycle” im New Yorker Guggenheim Museum gab, waren etliche führende Kritiker ausgesprochen wütend: In ihren Elfenbeintürmen verfassten sie Kommentare darüber, dass das Sujet nicht akademisch genug sei, um diesen wichtigen Ort zu beanspruchen. Als sich dann aber herausstellte, dass gerade diese Schau mit gut 4.000 Besuchern pro Tag die populärste in der Geschichte des Guggenheim war, verstummten die Stimmen.

Andererseits tauchte das Auto in der Kunstgeschichte immer wieder als Leinwand für kreative Experimente auf. Ein Pionier in dieser Hinsicht war vielleicht der Beatle John Lennon, dessen berühmter psychedelischer Rolls-Royce Phantom V 1967 im Stil des Sgt. Pepper-Plattencovers von dem englischen Künstler Steve Weaver bemalt worden war. Dieser erhielt für seine Mühe übrigens 290 Pfund Aufwandsentschädigung.

Im Jahr 1975 schlug die Geburtsstunde des eigentlichen Kunstautos: Der Rennfahrer, Sammler und Auktionator Hervé Poulain bat den großen modernen Bildhauer Alexander Calder, ein von Hand aufgetragenes Design für einen BMW 3.0 CSL-Rennwagen zu gestalten. Daraus erwuchs die Tradition der BMW Art Cars und eine Sammlung, die heute mit 17 Exemplaren von so unterschiedlichen Künstlern wie David Hockney, Roy Lichtenstein, Andy Warhol sowie Robert Rauschenberg aufwartet. Aber auch Autos, die als Solitäre von bekannten Customisern wie Von Dutch und George Barris geschaffen wurden, gelten längst auch als „Kunstwerke”. 

Wir bei Classic Driver sind trotzdem überzeugt, dass es die Maschinen selbst sind, die den Rang eines Kunstwerks für sich reklamieren dürfen – und zwar in der reinsten und ehrlichsten Form. Klassiker verdienen den Ehrentitel Kunst wahrscheinlich eher als moderne Autos. Nicht zuletzt, weil aktuelle Fahrzeuge sich aufgrund der vielen internationalen Regeln und Bestimmungen formal immer mehr ähneln und weniger Raum für Kreativität und individuelle Ideen lassen.

Diese Sorgen hatten Gestalter in den guten, alten Tagen natürlich nicht. Man denke nur an die extremen Flossen, die einem General Motors-Designer einfielen und es bis in die Serie geschafft haben. Zagatos „Double Bubble”-Dach entsprang zwar der Überlegung, mehr Kopffreiheit für Insassen zu bieten, aber es war auch ein charakteristisches, optisches Highlight. Malcolm Sayers Hintergrund als Designer in der Aeronautik hat natürlich seinen Jaguar E-Type stark beeinflusst, von dem Enzo Ferrari generös sagte, es sei „das schönste Auto, das ich je gesehen habe”. 

Auch die Innenräume waren mitunter von hoher Kunstfertigkeit und Kreativität. Zum Beispiel die detailreiche Ausstattung und Möblierung vieler Vorkriegslimousinen mit ihrem gestickten und aufwändig genähten Leder, den gesteppten Dachhimmeln, geätzten Glasscheiben und liebevoll verarbeiteten Furnieren. 

Als handfester Beleg dafür, dass Automobile heute durchaus denselben Rang wie Kunstwerke genießen können, ist in ihrem finanziellen Wert zu sehen und bei den Menschen, die bereit sind, astronomische Summen für sie zu bezahlen. Tatsächlich lässt sich der Rang von Klassikern als Asset durchaus mit der konventionellen Kunstwelt vergleichen, wo sich Wert und Attraktivität eines Picasso, Bacon, Warhol oder Koons durchaus mit Marken wie Ferrari, Aston Martin, Mercedes-Benz oder Jaguar messen lassen. 

Für uns weniger exaltierte Lebewesen, die bei RM Sotheby’s während der Monterey Car Week keinen Ferrari 250 GTO für die Rekordsumme von 48,2 Millionen Dollar ersteigern können, bleibt der Trost, dass ähnlich wie in den klassischen Kunstformen die Schönheit letztlich im Auge des Betrachters ruht. Man kann beim Anblick eines klassischen Autos aus tiefstem Herzen gerührt sein und sich daran erfreuen, ohne sich überlegen zu müssen, ob es ein kluges Investment darstellt.

Wenn Sie also das nächste Mal Ihren Fiat 500 aus der Garage holen, den Ölstand in Ihrem BMW 2002 checken oder bei einem plötzlichen Regenguss das Dach Ihres MGB hoch wuchten, dann halten Sie für einen Moment inne und genießen sie dieses mechanische Ensemble. Drehen Sie den Schlüssel im Zündschloss und fahren los – und vergessen Sie dabei nie, dass Sie nicht nur der Besitzer eines Kunstwerks sind, sondern viel mehr: Ihr Automobil ist schließlich ein Stück Performance Art.

Fotos: Rémi Dargegen / BMW / MOMA / Guggenheim Museum / Stephan Bauer

Die erste Grand Basel findet vom 6. bis 9. September 2018 in Basel statt. Weitere Informationen finden Sie hier.