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Walter Wolfs Porsche 935 war ein straßentauglicher Le-Mans-Gewinner

Er ist der einzige Kremer-Porsche 935 K3 der Welt mit Straßenzulassung: 1979 geordert vom austro-kanadischen Ölmagnaten und Rennstall-Besitzer Walter Wolf, war der Renner zu 98 Prozent Le Mans-Sieger, zu zwei Prozent 930 Turbo – und durch Umwege mit Classic Driver verbunden.

Malen Sie sich aus, Sie würden sich an ein Motorsport-Entwicklungsunternehmen wie Prodrive oder Michelotto wenden und nach einem Aston Martin oder Ferrari in Le Mans-GTE-Konfiguration und Straßenzulassung fragen. Komplett mit einem personalisierten Lederinterieur aus einem Straßensportwagen und einer Audioanlage, die laut genug wäre, um selbst noch den Motorsound unter Volllast auf der Hunaudières-Geraden übertönen zu können. Man würde Sie wahrscheinlich auslachen und Ihnen noch einen guten Tag wünschen. Doch als sich Walter Wolf 1979 mit seinem Wunsch nach einem Porsche 935 K3 mit Straßenzulassung an die Kölner Kremer-Brüder wandte, erhielt er eine komplett gegenteilige Antwort. Vielleicht aufgrund seiner hervorgehobenen Stellung als Formel 1-Teamchef, vielleicht aber auch  schlicht dank seines unermesslichen Reichtums. 

Der 1939 in Graz in ärmlichen Verhältnisse geborene Wolf wanderte 1960 ohne einen Penny in der Tasche nach Kanada aus, wo er zuerst als Bauunternehmer tätig wurde, dann aber ins Ölgeschäft einstieg und damit ein Vermögen machte. Wie man es von einem Selfmademan erwarten kann, fand er mit der Zeit Gefallen an den luxuriöseren Seiten des Lebens – nicht zuletzt an exotischen Autos und am Motorsport. Eine Begegnung mit dem damals kurz vor der Pleite stehenden Frank Williams verschaffte dem Austro-Kanadier 1975 das Entree in den Formel 1-Zirkus, dem schon bald darauf die Gründung seines eigenen Teams folgte. Beim Grand Prix von Argentinien 1977 gelang der neuen Truppe mit dem von Harvey Postlethwaite konstruierten und von Jody Scheckter gesteuerten Wolf WR1 gleich beim ersten Start ein sensationeller Sieg – vor Ferrari und McLaren.

Der nie ohne seine Ray Ban General-Sonnenbrillen auftretende Walter Wolf hatte auch ein Faible für Supersportwagen, was ihn fast zwangsläufig zu Lamborghini führte. Wie bei den meisten seiner Projekte reichte es ihm auch hier nicht, einfach nur etwas von der Stange zu kaufen. So war es auch mit seinen Lamborghini Countach Walter Wolf Specials, die er in Kleinserie bei Gian Paolo Dallara bauen ließ – mit mehr PS, besseren Bremsen, fetteren Reifen und Aufklebern mit dem kanadischen Ahorn. Doch irgendwann kam wohl der Punkt, an dem ihm auch sein Lamborghini nicht mehr vom Hocker riss. Und wo schaut man sich wohl um, wenn selbst ein Countach nicht mehr jenes große Theater, jenen Thrill vermittelt, den man sich wünscht? Man geht in die Welt des Motorsports, in diesem Fall zu den Brüdern Manfred und Erwin Kremer aus Köln, bekannt geworden durch ihre großen Erfolge mit privaten und in Eigenregie modifizierten Porsche in der Welt des GT- und Langstreckensports. Doch stand ihm nicht der Sinn nach einem Porsche 935 K3 für Renneinsätze, sondern nach einem solchen Boliden, mit dem er selbst quer durch Europa fahren könnte. 

Die Kremers setzte sich mit Wolf zusammen und betonten, dass nahezu jede mechanische Komponente des Autos weiter personalisierbar wäre. Doch Wolf bestand vielmehr darauf, den K3 so nah wie möglich am Rennwagen bleiben zu lassen. Und so kam es, dass das Auto laut Kremer zu 98 Prozent identisch mit jenem K3 ist, der 1979 mit Klaus Ludwig und den Brüdern Don und Bill Whittington sensationell die 24 Stunden von Le Mans gewann.

Bis auf ein neu angefertigtes Auspuffsystem, ein etwas komfortableres Fahrwerk, eine leicht erhöhte Bodenfreiheit und einen Tacho mit km/h-Angaben handelte es sich um denselben 3,0-Liter-Sechszylinder mit Bi-Turboaufladung und 740 PS, der flammenspuckend fast alles, was sich ihm damals auf den Rennstrecken der Welt entgegenstellte, verblies. Sogar die Kevlar-Karosserie, lackiert im identischen Dunkelblau von Wolfs Formel 1-Boliden, blieb unverändert – bis auf winzige Positionslichter und Blinker. 

 

Große Überraschung dann beim Öffnen der federleichten Tür! Statt einer Mischung aus blankem Aluminium und Kevlar wird man vom Interieur eines serienmäßigen Porsche 930 Turbo gegrüßt. Die dunkelblauen Leder-Recaros nehmen mit ihren roten Kedern das Farbthema des Exterieurs auf. Sie sind sehr aufrecht installiert und tragen Renngurte. Darauf abgestimmt sind die Türverkleidungen mit Ablagefächern, und es gibt sogar elektrische Fensterheber. Es finden sich jedoch auch subtile Details, die auf die Motorsport-Wurzeln des Wolfschen K3 schließen lassen, wie etwa das klassische und hier zwischen den Sitzen angebrachte „Dampfrad“ zum Verstellen des Ladedrucks (drehen Sie es hoch bis in Position elf!) und der versetzt installierte, von einem Sack aus blauem Teppichstoff umhüllten Schaltknüppel aus blankem Aluminium. Bei noch genauerem Hinsehen entdeckt man nur mehr schlecht als recht kaschierte Notaus-Schalter, Ladedruckanzeigen und LED-Schaltdioden. Verzeihen Sie das Wortspiel, aber dies ist wirklich ein Wolf in einem leicht schmuddeligen Schafskleid. Dieses Auto spielt halt nichts vor. 

Personalisierung war Walter Wolf ein großes Anliegen. Für ihn war es wichtig, dass vom Mechaniker im Formel 1-Fahrerlager bis zu den Radfahrern, die er beim Aufstieg zum Stilfser Joch hinter sich ließ, jeder wusste, wem dieser Wagen gehörte. Interessanterweise kommt an diesem Punkt Classic Driver ins Spiel. Vor der Gründung von Classic Driver betrieb unser Herausgeber in Hamburg ein Individualisierungsstudio für Luxusautos namens Car & Driver. Und als Wolf nach einer Stereoanlage suchte, die es mühelos mit dem Geräuschpegel des Motors aufnehmen könnte, war er bei den Spezialisten in der Hansestadt an der richtigen Adresse.

Car & Driver installierte ein State-of-the-art-Stereosystem – mit 16 Lautsprechern, einer im Handschuhfach untergebrachten und stufenlos verstellbaren Kontrolleinheit und dem „Must have“ der damaligen Zeit: einem grafischen Equalizer. Wolf war nach einer persönlichen Testfahrt in Hamburg hochzufrieden über den Soundcheck, auch wenn zum Schrecken unseres Herausgebers lieber deutsche Volkslieder hörte als die zu Demozwecken eingespielten Synthesizer-Stücke! 

In Köln testete derweil Erwin Kremer den K3 auf Autobahnabschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung und erreichte im vierten Gang über 335 km/h. Der Wagen war also fertig zur Auslieferung. Dank seiner Verbindungen in Kanada gelang es Wolf wundersamerweise, eine Zulassung und Nummernschilder für sein neues Mobil zu erwerben, auch wenn es gar nicht in seinem Heimatland bewegen wollte. Nein, vielmehr nutzte er die Kennzeichen, um den Porsche in Europa einzusetzen. In einem Interview mit dem Magazin Road & Track verriet Wolf, dass er vor jeder längeren Reise ein kleines Flugzeug mit einem frischen Satz Reifen an Bord zum Zielort vorausfliegen lassen würde, weil er die hinteren Gummis fast jedes Mal durchbrennen lassen würde. Insgesamt legte Wolf über 9600 Kilometer mit dem einzigen straßenzugelassenen Porsche 935 K3 zurück, ehe er den Wagen 1987 an den ehemaligen Schweizer Rennfahrer und Sammler Angelo Pallavicini verkaufte, der ihn stolz in seinem Museum ausstellte. 

Heute steht dieser wunderbar originale Kremer K3 zum Verkauf beim Classic Driver-Händler Cartique, einem Ableger des Stuttgarter Mercedes-Benz-Spezialisten Mechatronik für andere Marken. Es ist die Authentizität (er steht immer noch auf den originalen Vorderreifen!), die den Reiz dieses Porsche ausmacht. Zugegeben, der glänzende Lack der frühen Jahre ist ab, aber ist das nicht bei allen alten Rennwagen so? Setzen Sie also ihre Ray-Bans auf und machen Sie sich bewusst, in eine rollende Zeitkapsel zu steigen, die seinen Besitzer mit der geballten Kraft einer Rakete zurück ins Jahr 1979 katapultiert. Es ist zugleich eine wunderbare Erinnerung an den heute 78-jährigen Walter Wolf, eine der schillerndsten Figuren der Motorsportgeschichte. Wenn Sie das nötige Kleingeld haben, sollten sie nicht zögern – schließlich steht doch auch die Le Mans Classic wieder vor der Tür.

Fotos: Mathieu Bonnevie für Classic Driver © 2018

Walter Wolfs Porsche 935 Kremer K3 von 1979 steht derzeit bei Cartique by Mechatronik im Classic Driver Markt zum Verkauf.