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Diese Scooter-Sammlung ist ein Paradies für Zweirad-Liebhaber

In einem anonymen Gewerbegebiet am östlichen Mailänder Stadtrand verbirgt sich eine außergewöhnliche Sammlung von rund 160 Lambrettas, Vespas und anderen zweirädrigen Kuriositäten aus aller Welt. Der Kurator des Museums, der sein ganzes Leben den fabelhaften alten Motorrollern gewidmet hat.

In über 40 Jahren hat Vittorio Tessera mit großer Hingabe eine unschlagbare Sammlung aus rund 160 Motorrollern zusammengestellt, die große Mehrheit davon mit dem berühmten Lambretta-Emblem. Seine Begeisterung für diese zweirädrigen automobilen Terrier geht bis in die 1960er Jahre zurück. Da kaufte sein Vater, ein Apotheker, eine bescheidene Laverda 50 ccm für seinen Heimliefer-Service. „Sie ging so oft kaputt, dass mein Vater sie außer Dienst stellen musste“, erinnert sich Tessera liebevoll. „Doch anstatt sie zu verschrotten, brachte er sie zu unserem Haus, als Spielzeug für mich und meinen Bruder. Wir verbrachten Tage damit, um das kleine Ding herumzulaufen und uns draufzusetzen. Von da war war ich mit dem Virus infiziert.“ 

Es war 1975, als der nunmehr 15-Jährige seinen ersten eigenen Roller bekam, eine Lambretta 125 LD Baujahr 1953. Schon da wurde ihm bewusst, dass es zu jener Zeit in Italien nur sehr wenige Leute gab, die Interesse an solchen alten Zweirädern hatten und sie sammeln wollten. „1981 gründete ich einen Club für Freunde historischer Motorroller. Um ein Forum zu schaffen, in dem ich über meine Passion sprechen und diese mit anderen teilen konnte“, erklärt Vittorio. „Ich dachte zuerst, ich sei allein, doch wie ich mich täuschte! Heute haben wir über 3.000 Mitglieder, was mich dennoch erstaunt, denn man sieht in Italien nur ganz selten eine klassische Lambretta öffentlich herumfahren.“ Da lobt er schon eher die britischen Fans, die viel öfter ihre alten Schätzchen aus der Garage holen und sie weitaus öfter benutzen würden. 

Die Sammlung konzentrierte sich anfangs auf die italienischen Roller-Ikonen Lambretta und Vespa, ehe Tessera ab den 1990er-Jahren auch ausländische Modelle erwarb. Da es wenig verlässliche Fachliteratur gab, stützte er sich auf Erzählungen und Informationen älterer Experten und eine zehnbändige, von einem italienischen Magazin herausgegebene Motorrad-Enzyklopädie. 

Als dann mehr und mehr Publikationen über Scooter erschienen, eröffnete sich für Tessera eine völlig neue Welt. „Eines der ersten Bücher war über englische Roller, also begann ich, solche zu sammeln. Das nächste handelte von japanischen Scootern, also waren diese an der Reihe. Vor den Zeiten des Internets war das Sammeln weitaus schwieriger – ich musste nach jedem einzelnen Roller regelrecht jagen.“ Mit der Zeit eignete er sich zugleich viel technisches Wissen an, um alte Scooter reparieren und restaurieren zu können, und gründete den ersten Betrieb in Italien, der sich auf auf dieses Geschäft spezialisierte. Wer heute auf Amazon geht, findet zahlreiche von Vittorio Tessera verfasste Bücher zur Geschichte von Lambretta sowie diverse Reparaturhandbücher. 

Müßig zu betonen, dass Tessera als Folge all dieser Aktivitäten bald ein formidables Netzwerk aufbauen konnte. Längst erhält er regelmäßig Anrufe von Leuten, die ein seltenes Zweirad gefunden haben und es ihm anbieten wollen. Zu den herausragenden Exemplaren der Sammlung gehören eine Vespa 98, der erste in Italien produzierte Roller; eine Nibbio 98, der erste in der Lombardei gebaute Scooter, und eine von nur zwei britischen Oscars aus den 1950er Jahren, zugleich eines der ersten Motorräder mit einer Glasfaser-Karosserie. 

Tessera erinnert sich dran, wie er Mitte der 1990er Jahre in Belgien ein sehr seltenes „Bastert-Einspurauto“ der Bielefelder Bastert-Werke erwarb – ein 2,25 Meter langer Tourenroller mit strömungsgünstiger Leichtmetallkarosserie, von dem in Handarbeit zwischen 1951 und 1956 nur 1200 Exemplare gebaut wurden. Zu wenig, um die Firma vor dem Bankrott zu bewahren. „Der Besitzer wollte einen Haufen Geld, in heutiger Währung rund 20.000 Euro, denn er wusste um die Bedeutung des Modells. Ich bezahlte ihn gerade in meinem Haus, als er ein altes San Pellegrino Emaille-Schild an der Wand sah und voll darauf abfuhr. Ich lehnte alle seine Angebote ab, doch einen Monat später bot er mir sechs interessante Roller im Tausch gegen dieses Schild an! Völlig verrückt.“ 

1985 erkannte die Familie Innocenti, Gründer der Marke Lambretta, Tesseras Passion und gewährte ihm Zugang zum umfangreichen Unternehmensarchiv. Damit nicht genug, überließ man ihm für sein damals noch privates Museum in Rodano bei Mailand mehrere seltene Modelle. Seine besondere Beziehung zu dieser speziellen Marke hatte aber noch einen ganz profanen Grund: „Lambretta wurde – wie ich – in Mailand geboren. So erwuchs ein natürliches Interesse, denn es war einfacher für mich, die Geschichte der Modelle und die Menschen hinter der Firma zu erforschen.“

Wenn er auf Lambretta zu sprechen kommt, unterschätzt Tessera niemals den historischen und kulturellen Einfluss der kleinen Zweitakter: „Natürlich sind bestimmte Motorroller seltener oder wertvoller als andere. Doch für mich liegt ihre Bedeutung eher darin, was sie erreicht haben. Ich bin mir nicht sicher, ob ein nur einmal gebauter und längst vergessener Prototyp wichtiger ist als ein in großen Stückzahlen gebautes Modell, das die Art und Weise, wie Menschen sich fortbewegten, grundlegend verändert hat.“ Zwischen 1947 und 1971 baute das Stammhaus Innocenti im nahegelegenen Werk Lambrate über vier Millionen Lambrettas. Nimmt man die Lizenzproduktionen in verschiedenen Ländern Europas – in Deutschland NSU -, Südamerikas und in Indien dazu, gehört die Italienerin in der Tat zu den meistgebauten Zweirädern der Welt.

Es dauerte bis 2001, ehe Tesseras Museum unter dem Namen Museo Scooters e Lambretta einen offiziellen Status erhielt und auch in die Liste der Museen und kulturellen Highlights der Region Mailand („Milan Design City Museum“) aufgenommen wurde. Die fantastische Sammlung in der Via Kennedy liegt in einem eher glanzlosen Gewerbegebiet östlich des Flughafens Linate in Rodano und gleich über der Casa Lambretta, Tesseras Händler- und Reparaturbetrieb, der bis zum heutigen Tag in Betrieb ist. Das gesamte Projekt steht für die unnachgiebige Entschlossenheit eines Mannes, nicht so viele Roller wie irgend möglich zu sammeln, sondern das Wissen zu erwerben, sorgfältig die speziellsten und seltensten Stücke aufzuspüren und schließlich auch zu erwerben. Natürlich ist der 1960 geborene Vittorio Tessera noch immer auf der Suche nach etwas Neuem: „Nur zu gerne hätte ich eine 1947 in Mailand gebaute Marinella 125“, sagt er. „Davon wurden nur zwei oder drei gebaut; sie kamen aber nie über das Prototypen-Stadium hinaus. Niemand hat sie seitdem mehr gesehen und wahrscheinlich existieren sie auch nicht mehr. Aber vielleicht habe ich irgendwann Glück.“

Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2018

Für weitere Informationen zum Museo Scooters e Lambretta in Rodano/Millepini, wenige Kilometer östlich vom Flughafen Mailand-Linate gelegen, besuchen Sie am besten diesen Link.

Wenn Sie nach einem eigenen klassischen Roller suchen, schauen Sie doch einmal in den faszinierenden Katalog der Dorotheum Scootermania Auktion, die am 6. April 2018 in Wien stattfindet, oder in die große Auswahl an Motorrollern unseres italienischen Händlers Ruote da Sogno im Classic Driver Markt.