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Die Rétromobile 2018 war für einige Überraschungen gut

So viel Schnee wie diese Woche hatte Paris seit Jahren nicht mehr erlebt. Aber ein noch größeres Spektakel bot die Rétromobile als Auftakt der Klassikersaison. Hier sind die Highlights vom Parc des Expositions an der Porte de Versailles – von verrückt bis skurril.

Zunächst ist die Rétromobile in Paris vor allem eine großartige Gelegenheit, um die Begeisterung für klassische Automobile zu erleben und hautnah zu spüren. Während die berühmtesten Namen in der Szene die edelsten unter den edlen Klassiker auf ihren Messeflächen inszenieren, entdeckt man aber auch bekannte Gesichter aus „unserer” Welt,  die begeistert an den Ständen mit Modellen und obskuren Ersatzteilen stöbern oder mit eindeutigem Käuferinteresse lustige, kleine und erschwingliche Klassiker ins Auge fassen. Hier gibt es etwas für jeden Besucher – das kann man nicht von jeder Veranstaltung im Kalender sagen.

Ausgelassene Abarths

Wer sich die Mühe machte, bis ans andere Ende der Ausstellungshallen zu wandern, wurde mit einer Ausstellung der Möll Collection aus der Schweiz belohnt – einer einzigartigen Abarth-Sammlung von, über die wir bei Classic Driver kürzlich berichtet haben. Es war das erste Mal, das so viele Exemplare – 20 an der Zahl – gemeinsam die Schweiz für einen Auftritt verließen. Und es war dann auch eine bestechend präsentierte Hommage. Die Gelegenheit, den frechen kleinen Abarth 1000 TCR Seite an Seite mit rassigen offenen Prototypen wie dem Abart 2000 Sport „4-Fari” als einem der schönsten je gebauten Rennwagen zu erleben, war ein Hochgenuss. Man kann nach dieser Premiere nur hoffen, dass diese ungestümen Schönheiten auch in Zukunft immer wieder ein Gastspiel bei Events geben werden.

Es geht noch mehr

Wie man sich vorstellen kann, zeigten Händler aus ganz Europa eine starke Präsenz im Parc des Expositions. Historic Cars beispielsweise war mit einer Augenweide von einem sensationellen Porsche 906 Carrera in Dunkelgrün angereist. The Ascott Collection zeigte eine außergewöhnliche Sammlung von Bodeneffekt-Rennwagen – wer vorhat, an Peter Autos neuer Gruppe-C-Rennserie teilzunehmen, hatte hier die Qual der Wahl. Vollends in den Bann gezogen wurden wir bei Movendi einem Porsche 935, dessen verrückte Geschichte wir demnächst noch genauer erzählen werden. Und wir können bestätigen: Der Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer von Paul Newman aus der Kollektion von Classic Sport Leicht sieht in Natura genauso gut aus wie auf Rémi Dargegens Bildern. 

Die Briten kommen

Ein temperamentvoller Alfa Romeo T33/2 „Daytona” neben einem bissigen Lancia Delta S4 Gruppe B belegten wieder einmal Max Girardos eklektischen Geschmack für alle wunderbaren Automobile „Made in Italy“. Und Fiskens hatte vermutlich nicht nur den größten Stand bei der Rétromobile, sondern auch Reihen von fantastischen Autos wie Jean Behras ehemaligen Maserati 250F aufgefahren, während man bei William I’Anson die vermutlich am sorgfältigsten kuratierte Auswahl unter den angereisten britischen Händlern bewundern konnte. Zu seinem Schatz zählte der allererste einsitzige Lotus (ein 16), den Jim Clark einst steuerte, sowie der mögliche heilige Gral der Werks-Alpine-Prototypen, einen A220 von 1968 mit einer umfangreichen Geschichte und nur zwei Vorbesitzern. Einer davon war Alpines ehemaliger Chassisdesigner Jean-Pierre Buirette. Eine besondere Erwähnung verdient auch der Fiat 8V Supersonic bei JD Classics, der für uns mit einem der schönsten Armaturenbretter überhaupt aufwartet.

Short Wheelbases stehlen die Schau

 

Lukas Hüni hat als eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Szene wieder einmal allen Ausstellern die Schau gestohlen – dieses Mal mit einer Präsentation von zehn Ferrari 250 GT Short Wheelbase, darunter ein Speciale mit Bertone-Karosserie, der für Nuccio höchstpersönlich gebaut worden war. Unser persönlicher Favorit ist der einfach umwerfend hinreißende Scuderia Serenissima SEFAC Hot Rod. Wenn wir ein paar Millionen zur Hand hätten und nur ein Auto aussuchen dürften, dann würde sich die Wahl allerdings zwischen zwei Automobilen entscheiden, die noch dazu nur wenige Meter von einander entfernt auf dem Messestand von Cartique by Mechantronik parkten. Es handelt sich um den einzigen straßenzugelassenen Kremer Porsche 935, der als Sonderanfertigung für Walter Wolf gebaut wurde und noch immer 340 km/h laufen soll, sowie den ehemaligen N.A.R.T. Ferrari 512M – inklusive Nummernschild und englischer Steuerplakette. Dieses Auto muss man einfach bei der Tour Auto fahren!

Erschwinglich und eklektisch

Erstmals reservierten die Organisatoren eine ganze Messehalle für erschwingliche Klassiker zum Kauf. Es ist eine Sache, ob man im Classic Driver Markt auf der Suche nach Autos unter 25.000 Euro ist, und wieder eine völlig andere Erfahrung, wenn man – das Metall vor eigenen Augen – die Fülle sieht, die man für diese Summe erstehen kann. Angesichts eines riesigen Bentley Turbo R von 1988 und einem nicht weniger prächtigen Maserati Quattroporte von 1982, bis hin zu einem makellosen Porsche 914 und einem Lancia Fulvia Zagato von 1973 kann man sich nicht vorstellen, dass die Portemonnaies lange in den Jackentaschen blieben. 

Jenseits der Millionenautos

Natürlich gab es für die Besucher, die gerade nicht über die Mittel für den Erwerb eines millionenschweren Ferraris – oder überhaupt eines Klassikers – verfügten, immer noch genügend Entdeckungen zu machen. Man konnte sich im Studium der unterschiedlichsten Modellautos und Sammlerstücke ebenso verlieren, wie über den Kauf eines thematischen Kunstwerks fürs Büro nachdenken. Gerade für diese Enthusiasten gab es in der wunderbaren Gallery des Artistes die jüngste Zusammenarbeit von Unique & Limited und McLaren, die einen gewissen Herrn Senna würdigt, zu bewundern. Außerdem präsentierte unser guter Freund Etienne Salomé, Head of Interior Design bei Bugatti, seine atemberaubende Skulptur des Type 57SC Atlantic. 

Behüter der Tradition

Obwohl die Rétromobile in erster Linie als Fachmesse für Händler fungiert, lassen es sich die größten Hersteller nicht nehmen, der Veranstaltung an der Porte de Versailles ihre Aufwartung zu machen. Schließlich zählt diese Messe zu den wenigen Möglichkeiten, die eigene Tradition zu feiern. Alpine würdigte beispielsweise das 40. Jubiläum des Sieges in Le Mans mit einer fulminanten Schau von kräftig gelben A442B zusammen mit den Helmen der berühmten Fahrer, die sie pilotiert haben. Citroën zeigte dagegen eine Handvoll der Présidentielle-Modelle, darunter auch den etwas skurrilen SM von Georges Pompidou. 

Aus alt mach neu

Jaguar nutzte die Messe, um seinen „new original” D-Type zu zeigen, von dem 25 Stück gebaut werden sollen. Wir haben auch einen ersten Blick auf den in Le Mans siegreichen Porsche 911 ST werfen können – der Rennwagen wurde umfassend restauriert, nachdem er völlig verwahrlost auf einem amerikanischen Schrottplatz entdeckt worden war. Inzwischen sieht er nach seiner Behandlung fantastisch aus. Die einzige wichtige Uhrenmarke, welche die Rétromobile beehrte, war Richard Mille: Sie erzählten die Geschichte von McLaren an Hand einer begeisternden Auswahl and Fahrzeugen, zu denen auch der F1 GTR als Le Mans-Sieger von 1995 gehörte. 

Eine appetitanregende Auswahl

Als Vorspiel zu den kommenden Veranstaltungen der neuen Saison, weckt die Rétromobile auf ihre gelungene Art den Hunger nach klassischen Automobilen – zumal gefühlt der Winter schon zu lange andauert. Insgesamt waren die Händler optimistisch und begeistert. Eine positive Erfahrung vor dem Hintergrund eines Marktes, der sich immer anspruchsvoller entwickelt. Der britische Händler William I’Anson brachte es perfekt auf den Punkt: „Die Nachfrage ist wieder zu jenen zurückgekehrt, die wirklich ihre Autos benutzen wollen, sei es bei Events oder auf der Straße.” Zusammen mit diesem spürbaren Enthusiasmus, der die Stimmung der Messe prägte, sind das auch gute Nachrichten für die nächste Saison. Wer kann jetzt schon ahnen, wie viele der Autos, die in Paris den Besitzer wechselten, demnächst in freier Wildbahn erlebt werden dürfen?

Fotos: Mathieu Bonnevie for Classic Driver © 2018