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Wie das Merlin-Monster für Angst und Schrecken bei Rolls-Royce sorgte

In den frühen Siebzigern wurde der englische Exzentriker John Dodd stolzer Besitzer einer Skurrilität in Eigenbau, die von einem Rolls-Royce-Merlin-Triebwerk mit 27 Litern Hubraum angetrieben wurde. Der Motor war für die Marke eher nicht das Problem, sondern der legendäre Kühlergrill an der Nase.

Das Merlincar dürfte eines der merkwürdigsten Autos sein, die man zu Gesicht bekommt. Die Glasfaser-Karosserie ist handgefertigt und der gewaltige Merlin-V12 mit 27 Litern Hubraum - ohne Supercharger - ist rückwärtig montiert, die Kraftübersetzung auf die Hinterachse liefert ein zusätzlich verstärktes Getriebe. Dieses Ungetüm war für Eigner John Dodd wenig überraschend  auch ziemlich kostspielig. Es kam als Rolling Chassis in seinen Besitz nachdem er dem Voreigner bei einer technischen Herausforderung geholfen hatte: ein Getriebe zu finden, das sich mit dem Merlin-Motor verpaaren ließ. Als die Arbeit am Chassis abgeschlossen war, bemühte er sich gleich um eine Straßenzulassung.  Selbst ohne die künstliche, zusätzliche Beatmung durch die Supercharger wurde es damals vom Guinness Buch der Rekorde zum leistungsstärksten Auto auf den Straßen gekürt. 

Unruhestifter mit Merlin-Antrieb

Und natürlich erregtes dieses Ding in positiver wie negativer Hinsicht großes Aufsehen. Die schlechten Nachrichten kamen aber vor allem von Rolls-Royce, wo man sehr streng über den markentypischen Kühlergrill und die Spirit of Ecstasy wachte. Was das Fass vollends zum Überlaufen brachte, war Dodds Reise nach Deutschland. Auf der Autobahn schoss er an einem deutschen Baron in einem Porsche vorbei. Der Aristokrat rief bei Rolls-Royce an und erkundigte sich über dieses „neue Modell”, das an ihm vorbei gedonnert war. Kurz danach wurde Dodd vor das Oberste Gericht des Königreichs wegen Verletzung des Schutzrechts von Markenzeichen zitiert. „Ich bin zur Anhörung jeden Tag in meinem Merlincar gefahren und parkte direkt vor dem Gericht. Die Vertreter von Rolls-Royce parkten ihren Silver Spirit mit Kennzeichen „RR 1” genau gegenüber. Komischerweise wurden sie abgeschleppt, nicht ich. Am letzten Vormittag der Verhandlung hat sich mein Anwalt selbst entlassen - mit der Begründung, dass ich das Oberste Gericht des Landes verhöhnen würde. Sein letzter Rat war allerdings, an diesem Tag nicht dem Auto vorzufahren, weil es sonst konfisziert und ich es nie wieder zurückerhalten würde.”

Freunde zum Pferde stehlen

„Sie sagten, ich würde mich wie ein Outlaw aufführen. Ich dachte: Vielleicht sind 1.000 Pferdestärken dann doch ein wenig übertrieben und bat einen Freund mit mehreren Ställen im Hyde Park um einen Gefallen. Ich, meine Frau und meine Kinder nahmen uns von dort jeweils ein Pferd und trabten so zum Portal des Gerichtshofs. Das war eine noch größere Sensation als das Auto!” Dodd verlor letztlich seinen Prozess. Er hatte noch dazu an jedem Tag einen Pullover mit dem verschränkten RR des Emblems getragen. Auf Grund seiner lebhaften „Einsprüche” während der Verhandlung hat er auch noch sein Haus und verschiedene Besitztümer wie ein zweimotoriges Flugzeug wegen Missachtung des Gerichts eingebüßt. Aber an dem Biest konnte er erfolgreich festhalten. Allerdings erhielt das Auto einen neuen Grill mit Dodds Initialen. „Zum Glück hatte ich immer ein Händchen für Getriebe. Als ich alles verloren hatte, fing ich in Spanien wieder ganz von vorne an. So habe ich auch Windsurfen und Wasserskifahren und eine ganze Reihe von anderen Dingen gelernt, zu denen ich sonst nie die Chance gehabt hätte.”

Heute ist Dodd 84 Jahre alt und verbringt seine Tage damit, in seiner Werkstatt in Malaga Bentley- und Rolls-Royce-Getriebe wieder flott zu machen. Sein Biest ist natürlich längst ein Local Hero. „Die alte Dame ist noch recht munter. Ich mache mit ihr noch regelmäßig Ausfahrten, aber nicht mehr ganz so oft, weil sie gerade einmal fünf Stundenkilometer schafft. Leider begleicht BP auch nicht mehr die Tankrechnung.”

Photos: Marriner / ANL / REX / Shutterstock