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Crewe Confidential - Geschichten eines Bentley-Chauffeurs

Einst galt ein Rolls-Royce als die einzig wahre Chauffeurslimousine, während ein Bentley eher dem sportlichen Selbstfahrern vorbehalten war. Ein Trugschluss - zumindest aus der Sicht von David Vernon, einem von zwei offiziellen Chauffeuren im Bentley-Firmensitz in Crewe.

Was gibt es nach einer langen Reise im Flugzeug oder Zug für einen angenehmeren Anblick, als die aufgehaltene Hintertür einer Bentley-Limousine?

Was gibt es nach einer langen Reise im Flugzeug oder Zug für einen angenehmeren Anblick, als die mit einem Lächeln für einen aufgehaltene Hintertür einer Bentley-Limousine, die einen sanft gleitend zum finalen Bestimmungsort chauffiert? Als unser Regionalzug mit der obligatorischen Verspätung im Bahnhof von Crewe eintrifft, erwartet uns David Vernon bereits vor seinem Bentley Flying Spur - und versucht dabei erst gar nicht zu verstecken, wie stolz er ist auf seinen prestigeträchtigen Job.

Ein herzliches Willkommen

Der zweifarbig lackierte und äußerst elegante Bentley fällt auf - und das nicht nur zwischen den Taxis, die hier vor dem Bahnhof auf Fahrgäste warten. Doch sobald sich die Tür hinter uns sanft geschlossen hat und wir es uns in den abgesteppten Ledersesseln bequem gemacht haben, ist die Welt da draußen verschwunden und vergessen. "Für mich und meinen Kollegen sind hier am Bahnhof immer zwei Plätze reserviert", berichtet David und zwinkert uns über den Rückspiegel vielsagend zu. "Meist erkennt man schon im ersten Augenblick, ob ein Gast sich gerne unterhalten oder lieber seine Ruhe haben möchte." In unserem Fall ist die Sache natürlich einfach: Je mehr Anekdoten aus dem Alltag eines Bentley-Chauffeurs, desto besser. Und wir kommen nicht zu kurz. 

Der Crewe-Spirit

Als Mann aus Crewe verkörpert David den Geist des traditionsreichen und vor allem in der Region hoch angesehenen Herstellers Bentley perfekt. "An Kreuzungen lassen einem die Einheimischen oft höflich den Vortritt", erzählt David mit sichtlicher Freude. Eine seiner liebsten Fahrten ist es, die Direktoren der Marke zur Preisverleihung für altgediente Mitarbeiter - die oft nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte für Bentley gearbeitet haben - zu befordern. Nach 17 Jahren als Transportfahrer bei Bentley und weiteren 13 Jahren als Chauffeur, wäre David wohl auch bald an der Reihe, um einen Service Award zu erhalten. Doch bis dahin gibt es noch einige Dinge, die er uns im Hauptquartier gerne zeigen möchte.

Elegante Geschwister

Angekommen, bittet uns David im Auto zu warten, während er für ein Telefonat nach draußen verschwindet. Augenblicke später gleitet ein Bentley Mulsanne in der selben grau-silbernen Farbkombination wie der Flying Spur auf den Hof. Am Steuer sitzt Davids Chauffeurskollege Mike, mit dem er sich die Schichten teilt. "Die beiden Autos werden kommende Woche ausgemustert", erklärt David mit einem Deut Melancholie in der Stimme. "Es ist wohl das letzte Mal, dass wir sie hier zusammen sehen." Die Zweifarb-Lackierung war ausgewählt worden, um Besuchern die Möglichkeiten der Individualisierung vor Augen zu führen. "Wir hatten über die Jahre viele wunderbare Farbkombinationen. Der erste Bentley, den ich fahren durfte, war ein Arnage R in "Verdent Green" mit magnolienfarbenem Interieur. Unsere nächsten Dienstwagen werden einfarbig lackiert sein - in knalligem "Jetstream Blue"." Da ist es wieder, das vielsagende Lächeln.

Das Wasserglas auf dem Armaturenbrett

Nun führt uns David hinein ins Hauptgebäude und weiter in einen Raum, in dem - auf Leinwand aufgezogen - ein Foto an den größten Moment seiner Karriere erinnert: Im Jahr 2003 fuhrt er direkt hinter Derek Bells siegreichem Le-Mans-Rennwagen, einem Bentley Speed 8, in der Siegesparade um den Arc de Triomphe in Paris. "Das ist es, was ich an meinem Job so liebe - man weiß nie, was als nächstes passiert. Am einen Tag fahre ich einen Blower-Bentley über die Champs-Elysées, am nächsten Tag trainiere ich Polizisten, wie sie fahren müssen, um VIPs zu eskortieren. Gasgeben können sie alle ganz gut. Aber ein Auto so sanft zu bewegen, als stünde auf dem Armaturenbrett ein volles Glas Wasser, dass nicht überschütten darf - das bedarf schon Übung. Die Passagiere sollten im Idealfall gar nicht mitbekommen, wenn ich Anfahre, Einlenke oder Bremse. Außer natürlich, sie wollen es unbedingt - dann stehe ich ebenfalls für eine sportliche Fahrt gern zur Verfügung." David hat jedoch nicht nur einen sensiblen Gasfuß, er weiss auch einiges über die Geschichte von Bentley zu berichten - wie er uns bei einer Tour durch das Museum demonstriert. 

Die Downing Street Nummer 10 von Crewe

Die letzte Station auf unserer Fahrt (das erinnert uns unwillkürlich an unsere Zugfahrt zurück nach London) ist das Anwesen, in dem der CEO von Bentley während seiner Amtszeit residiert - die Downing Street Nummer 10 von Crewe, sozusagen. Doch das Haus von Wolfgang Dürheimer, derzeit der oberste Mann in der Firma, schlägt das Heim von David Camerom um Längen. Das ehemalige Dienstbotenhaus wurde von Bentleys Interior Design Team in ein äußerst luxuriöses Domizil verwandelt. Der Esstisch besteht aus demselben Holz, das auch in den Autos verwendet wird, und die berühmten Weihnachtskarten der Marke schmücken die Wände im Großformat. David geht hier ganz offensichtlich ein und aus: "Immer wenn Mister Dürheimer oder seine Kollegen aus dem Aufsichtsrat im Land sind, stehen Mike und ich für sie parat. Und sie halten uns ganz gut auf Trab. Wenn wir besonders früh antreten oder besonders lange bleiben müssen, nehmen wir die Autos mit zu uns nach Hause. Es ist immer ein lustiger Anblick, wenn in meiner Auffahrt ein Bentley Mulsanne steht, der mehr wert ist, als das ganze Haus."

Bitte steigen Sie ein, Sir

Nun wollen wir es aber doch wissen: Was war denn die eindrücklichste Fahrt in seiner Karriere? "Nicht lange, nachdem ich den Job angenommen hatte, besuchte ein älterer Herr unsere Firma", schmunzelt David auf dem Fahrersitz. "Er war etwa 90 Jahre alt und hatte seine Ausbildung in Cricklewood unter W. O. Bentley persönlich gemacht. "Wie es der Zufall wollte, war er an der Produktion eines Autos beteiligt gewesen, das nun in unserem Museum stand. Es war eine Experimentalstudie. Er erinnerte sich auch noch daran, wie er den Bentley Boys auf dem Weg nach Le Mans zum Abschied nachgewunken hatte. Als ich ihn schließlich zum Bahnhof brachte, verabschiedete er sich mit den Worten: Danke David, W.O. wäre stolz darauf, was Ihr hier alle heute leistet. Ein oder zwei Jahre später ist er gestorben - aber die Geschichten, die er erzählt hat, uns seinen letzten Satz zum Abschied werde ich nicht vergessen." Als David auch uns schließlich die Türe ein letztes Mal öffnet, verlassen wir Crewe mit der Einsicht, dass Bentley seine Authentizität vor allem durch seine Mitarbeiter bis heute erhalten konnte. Und dass es noch immer etwas ganz Besonderes ist, einen Bentley zu fahren - egal ob hinter'm Steuer oder im Fond.

Fotos: © Tom Shaxson for Classic Driver

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